Alle mit an Bord – der europäische Gipfel der Städte und Regionen
Am 5. und 6. März fand in Prag das europäische Gipfeltreffen der Städte und Regionen statt. Alle zwei Jahre einmal werden solche Gipfeltreffen abgehalten. Vertreter von Gebietskörperschaften und von EU-Institutionen entwarfen die Konturen der künftigen Regionalpolitik der Europäischen Union. Veranstaltet wurde das Gipfeltreffen vom Magistrat der Hauptstadt Prag zusammen mit dem Ausschuss der Regionen. Der Ausschuss der Regionen berät die Institutionen der Europäischen Union in Sachen Regionalpolitik. Hierzu der folgende Beitrag:
„Der Ausschuss der Regionen vertritt nach wie vor die Position: Wir müssen fortsetzen, was wir in der Vergangenheit begonnen haben. Denn der größte Fehler, den die Politik machen kann, ist, eine Brücke zu bauen, ohne auf beiden Seiten der Brücke Zufahrtswege zu schaffen. Aus diesem Grund müssen wir auch bei der Kohäsionspolitik das Begonnene fortsetzen.“
Kohäsion – das ist im EU-Jargon das Wort für den Zusammenhalt zwischen den Gebieten der Europäischen Union, wie anders geartet und unterschiedlich reich diese Gebiete auch immer sein mögen. Kohäsionspolitik, das bedeutet Regionalentwicklung, Strukturpolitik und sozialer und wirtschaftlicher Ausgleich in einem.
Wie die Weiterentwicklung der Kohäsionspolitik der EU aussehen soll, die Luc Van den Brande forderte, um dieses Thema kreisten die Podiumsdiskussionen und die Wortmeldungen aus dem Publikum an diesen zwei Tagen in Prag. Dabei stand auch immer die Finanz- und Wirtschaftskrise als Bedrohung im Hintergrund. Denn deren Auswirkungen erleben die Vertreter der Regionen hautnah. Sie sind als Erste gefordert, wenn Unternehmen Schwierigkeiten haben und die Arbeitslosigkeit wächst. Die Politik müsse auf die Krise gezielt und effizient reagieren, mahnte Pavel Bém, Oberbürgermeister von Prag und Gastgeber der Tagung. Fehler dürfe man sich nicht erlauben:„Auch eine Grippe muss mit der ganzen ärztlichen Sorgfalt behandelt werden, die bei jeder Erkrankung geboten ist. Also: Eine Herztransplantation wäre bei einer Grippe hinausgeworfenes Geld. Auch Antibiotika wären in einem solchen Fall eine Geldverschwendung. Doch es gilt: Bei jeder Grippe ist eine fachgerechte Behandlung am Platz. Denn auch eine Grippe kann sich zu einer ernsten Krankheit verschlimmern, ja, in seltenen Fällen kann sie sogar tödlich enden.“
Pavel Bém, der selbst Arzt ist, spielte mit dieser Formulierung auf einen der jüngsten rhetorischen Kunstgriffe des tschechischen Staatspräsidenten an. Václav Klaus hatte sich darin gefallen, die Finanz- und Wirtschaftskrise mit einer Grippe zu vergleichen, die von selbst vorübergehen würde.
Von solcherart Sorglosigkeit war auf dem Gipfel der Städte und Regionen wenig zu merken. Immer wieder wurde Solidarität angemahnt. Sie stelle einen Grundwert der Europäischen Union dar, darüber war man sich im Prager Sophienpalais einig. Besonders in Zeiten der Krise dürfe man vom Ziel der Solidarität nicht abrücken. Andererseits dürfe auch niemand überfordert werden, gab Herwig van Staa, Parlamentspräsident des österreichischen Bundeslandes Tirol, am Podium zu bedenken. Gerade auch die wohlhabenden Städte und Regionen gelangten derzeit an ihre Grenzen. Krise hin, Krise her, für van Staa ist klar, wie man die Regionalpolitik der EU effizienter gestalten und damit allen helfen könnte:„Die Integration lässt zu wünschen übrig. Ich erinnere nur daran, dass es einen europäischen Fonds für regionale Entwicklung gibt, daneben aber auch einen europäischen Fonds für ländliche Entwicklung. Wir brauchen eine einheitliche Förderschiene mit ganz einfachen administrativen Grundlagen, aber einer sehr strengen finanziellen Kontrolle.“
Manche Hebel der Regionalpolitik sollten nach Herwig van Staas Ansicht von Grund auf geändert werden. So zum Beispiel das Programm Interreg. Aus ihm werden Zusammenschlüsse von Regionen über Staatsgrenzen hinweg gefördert.
„Interreg ist eine sehr gute Einrichtung, es ist ein hervorragendes Programm. Aber was wird denn dort gefördert? Radwege und kulturelle Zusammenarbeit. Meines Erachtens wäre es gut, einen großen Fonds zu haben für regionale Entwicklung; und jene Regionen, die an andere Regionen angrenzen, müssen davon einen Teil für interregionale Kooperation ausgeben. Das wäre mein Vorschlag.“
Also mehr Befugnisse der lokalen und regionalen Stellen, wenn es darum geht zu entscheiden, wozu Fördermittel verwendet werden sollen, dafür strenge Finanzkontrollen seitens der Europäischen Union.
Eine Stadt und die umgebende Region, das sei, sagte Herwig van Staa, ein Beziehungsgeflecht mit gemeinsamen Problemen und Lösungen. Im EU-Jargon heißt das „territoriale Kohäsion“. Der territoriale Zusammenhalt ist nichts Neues, rückt aber nun in den Brennpunkt der europäischen Regionalpolitik und ergänzt die Ziele der sozialen und wirtschaftlichen Kohäsion. Michael Schneider, Leiter einer Fachgruppe für Kohäsionspolitik im Ausschuss der Regionen, erklärt, worum es bei der territorialen Kohäsion geht:
„Das war schon immer Teil der Kohäsionspolitik, man hat nur nicht darüber gesprochen. Es sind nicht nur natürliche Gegebenheiten, um die es bei der territorialen Kohäsion geht. Es geht darum, dass räumliche Bedingtheiten keine Nachteile mit sich bringen sollen. Das tun sie heute, zum Beispiel der Stadt-Land-Gegensatz oder eine bestimmte Lage. Die Kohäsionspolitik soll daran mitwirken, diese Unterschiede, die es aufgrund der Gegebenheiten gibt, zu verringern. Aber das ist nicht nur eine Aufgabe der Kohäsionspolitik, sondern da sind auch andere Politiken gefordert.“Das soll unter anderem durch so genannte „Makroregionen“ erreicht werden, das sind größere Zusammenschlüsse von Gebieten mit gemeinsamen Interessen. Solche Makroregionen können innerstaatlich und grenzüberschreitend gebildet werden. Ein Beispiel ist die Ostseeregion. In ihr arbeiten die Gebietskörperschaften von über 100 Regionen aus allen Ostsee-Anrainerstaaten zusammen.
Gedanken machte man sich auf dem Prager Gipfeltreffen auch über die Ziel-1-Regionen. Das sind Gebiete, deren Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner unter 75 Prozent des EU-Durchschnitts liegt. Diese Gebiete werden aus den Strukturfonds der EU unterstützt. Viele Ziel-1-Regionen sind Schwellenregionen. Bis 2013, also der nächsten Planungsperiode der Regionalpolitik, könnten sie die 75-Prozentmarke überschreiten. Nach den jetzigen Regeln wären sie dann nicht mehr förderberechtigt. Man dürfe diese Regionen nicht im Regen stehen lassen, meinte Michael Schneider:
„Die Regionen haben sich weiterentwickelt, sind stärker geworden. Meine Sorge ist, dass viele dieser Regionen in ihrer wirtschaftlichen Selbstständigkeit gefährdet werden könnten nach 2013, wenn die Förderung von heute auf morgen wegfallen würde. Viele dieser Regionen sind noch nicht so weit, dass sie auf eigenen Beinen stehen können. Deshalb fordere ich, dass ein neues Ziel geschaffen wird. Es sollten Übergangsregionen geschaffen werden, damit diese Regionen über 2013 hinaus eine weitere Förderung erhalten. Das wird ein allmähliches Hinausbegleiten sein oder ein allmähliches Hineinbegleiten in die Selbstständigkeit.“
Ziel-1-Regionen sind in Tschechien derzeit alle Kreise und Bezirke mit Ausnahme von Prag, Schneiders Erwägungen betreffen also auch sie. Der Ausschuss der Regionen will, dass auch in Zukunft alle mit an Bord des Dampfschiffs EU bleiben. Das wurde auf dem Prager Gipfeltreffen deutlich. Niemand soll im Stich gelassen werden. Kommt der Dampfer der Europäischen Union bei seiner Fahrt ab und zu ins Stocken, dann will man nicht einen Teil der Fracht über Bord werfen, sondern den Kurs anpassen an die jeweiligen aktuellen Gegebenheiten.