Beginn des Prager Frühlings – eine Chronologie
Der 21. August 1968 - Die Invasion der Sowjetunion und der Armeen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei. Das Ende des Prager Frühlings. Heute der erste Teil unserer 68er-Serie - ein Überblick wichtiger Ereignisse.
Ein Wechsel in der Führung der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei gilt als Startschuss zum Prager Frühling:
5. Januar: Antonín Novotný wird auf der Plenartagung des ZK der von Alexander Dubček als Parteichef abgelöst, bleibt jedoch vorerst noch Staatspräsident: Ein erster, wenn auch noch kleiner Sieg des Reformflügels in der Partei.
Die Medien vermitteln jedoch zunehmend die neue Sprache der Parteiführung: Man müsse der Nation die Wahrheit darüber sagen, womit sich die Parteispitze befasse, signalisierte nur kurze Zeit später Josef Smrkovský, der als Vorsitzender der Nationalversammlung bald einer der bekanntesten Männer des Prager Frühlings werden sollte.
Das war ein Signal für viele Intellektuelle, die sich unüberhörbar zu Worte meldeten und nach Lösungen für konkrete Probleme der Gesellschaft riefen. Vehement verlangt wurde die Pressefreiheit.
„Warum sollte es ein Privileg Großbritanniens, Deutschlands oder irgendeines anderen Landes sein, dass dort ein Minister in der Presse kritisiert werden kann“, fragt am 5. Februar der Schriftsteller Jan Procházka im Tschechoslowakischen Rundfunk.
Ab Anfang April durfte der Schriftstellerverband nach dem Verbot im Herbst 1967 wieder eine eigene Zeitung herausgeben: die „Literární listy“ galten bald als Kultblatt.
Anfang Februar kommt der sowjetische Staats- und Parteichef Leonid Breschnew nach Prag. Bei jeder Gelegenheit wird das brüderliche Verhältnis zwischen beiden Ländern unterstrichen.
Am 26. Februar emigriert der ranghohe General Jan Šejna nach Italien und stellt sich in den Dienst der CIA. Zu diesem Zeitpunkt gilt bereits die von der Parteiführung abgesegnete Pressefreiheit, der Fall Šejna füllte die Medien.
Mit dem historischen Signal des russischen Kriegsschiffes Aurora im Jahr 1917 wird manchmal die Signalbedeutung des Treffens verglichen, das am 20. März zwischen der KPTsch-Führung und jungen Bürgern stattfand. Die mehrstündige offene Debatte mit Fragen und Antworten, an der zwischen 15 000 und 18 000 Menschen teilnahmen, konnte das ganze Land in einer Rundfunkdirektübertragung hören. In einem an das Parlament gerichteten Brief appellierte die Versammlung an die Abgeordneten, die laufenden Reformen fortzusetzen und dem unerträglichen Verbleiben der Konservativen in der Staatsführung, namentlich dem von Präsident Novotný, ein Ende zu setzen. Ein Manifest mit weiteren Forderungen verlas der Stundentenführer Jan Kavan:
Gefordert wurden unter anderem die unverzügliche Aufhebung aller Formen der Zensur, die Novellierung des Gesetzes über das Versammlungsrecht, Reisefreiheit, die Errichtung des Verfassungsgerichts und das Recht auf Wahrheit über den aktuellen Stand der Volkswirtschaft. Die Situation kam ins Rollen:
22. März: Präsident Antonín Novotný tritt zurück
30. März: Der reformorientierte Armeegeneral Ludvík Svoboda wird zum neuen Präsidenten gewählt
31. März: In Prag kommt eine Gruppe ehemaliger politischer Häftlinge zusammen und beschließt die Gründung des Klubs 231, bekannt unter „K231“, der binnen drei Monate etwa 80000 Mitglieder zählt. Bisher unbekannte Lebensgeschichten von Menschen, die in den 50er Jahren nach dem Gesetz 231 verurteilten wurden, werden von nun an in den Medien veröffentlicht.
Anfang April verabschiedet das ZK der KPTSCH ein grundlegendes Dokument – das „Akční program“, Aktionsprogramm, in dem die Partei seine Position in allen Bereichen des politischen und gesellschaftlichen Lebens neu definiert:
„Das Ziel der Partei ist es nicht, der Universalverwalter der Gesellschaft zu werden und alle Organisationen und jeden Schritt mit ihren Richtlinien zu verbinden. Ihre Mission ist vor allem, die sozialistische Initiative zu wecken.“