Irland sagt nein zum Lissabonner Vertrag. Erste Reaktionen aus Tschechien

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Am Freitagnachmittag herrschte Gewissheit: Die Iren haben in einem Referendum den Reformvertrag von Lissabon abgelehnt. Dessen Ziel war vor allem die Absicherung der Handlungsfähigkeit einer auf 27 Mitglieder angewachsenen Europäischen Union – unter anderem durch mehr Klarheit in der Kompetenzverteilung, durch die Stärkung des Europäischen Parlaments und durch die Einrichtung des Amtes eines gewählten Ratspräsidenten. 18 Staaten haben den Vertrag bereits ratifiziert. Doch nun, nach dem Nein in Irland, herrscht Verwirrung auf der Großbaustelle Europa. Vor dem Brüsseler EU-Gipfel Ende dieser Woche rauchen überall in der Union die Köpfe. Wie soll es weitergehen mit der europäischen Integration? Wir fassen erste Stimmen aus Tschechien zusammen.

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Die Reaktion von Präsident Václav Klaus überraschte wohl nur die wenigsten. Das tschechische Staatsoberhaupt, bekannt als einer der lautesten EU-Skeptiker unter Europas Politikern, liegt nach einer Hüftoperation im Krankenhaus und gab von dort noch am Freitag seine Erklärung ab: Das Ergebnis des Referendums in Irland sei ein „Sieg von Freiheit und Vernunft gegen die europäische Bürokratie“, der Lissabonner Vertrag ein für alle Mal gestorben.

Im Ton verbindlicher, doch in der Sache ähnlich die Stellungnahme von Premierminister Mirek Topolánek. Der Nachfolger von Václav Klaus als Parteichef der konservativen Bürgerdemokraten (ODS) sieht den Ratifizierungsprozess ebenfalls an einem toten Punkt:

Premier Mirek Topolánek
„Ich habe den Lissabonner Vertrag unterschrieben. Einen Vertrag, der laut Europäischem Recht erst dann in Kraft treten kann, wenn ihn alle 27 Mitgliedstaaten ratifiziert haben, also auch Irland. Die Situation ist nun sehr kompliziert, aber andererseits ist der rechtliche Rahmen für die Europäische Union derzeit ausreichend. Außerdem: Als 2005 bei den Referenden in Frankreich und den Niederlanden der so genannte Verfassungsvertrag abgelehnt wurde, da bedeutete das das Ende des Ratifizierungsprozesses. Das irische Nein hat jetzt nicht weniger Gewicht. Man kann ja nicht sagen, dass es wichtigere und weniger wichtige Staaten gibt.“

Ein weiterer prominenter Bürgerdemokrat schlägt in dieselbe Kerbe: Přemysl Sobotka, der Vorsitzende des Senats, also der Oberen Kammer des tschechischen Parlaments. Er hat auch gleich eine Empfehlung für die Verhandlungen der nächsten Tage parat:

„Jetzt müssen sich 27 Vertreter aus 27 Staaten zusammensetzen und die Situation in Ruhe besprechen. Aber sicher nicht so, dass sich 26 Staaten gegen Irland verbünden und als ein gemeinsames Kollektiv weiterverhandeln. Ich glaube, das wäre taktisch sehr unklug. Es würde im Wesentlichen zeigen, dass wir in der Europäischen Union nicht alle gleichberechtigt sind, und das wäre ein schlechtes Signal.“

Přemysl Sobotka
Die Bürgerdemokraten, die die größte Regierungsfraktion stellen, sind allgemein als eher EU-skeptisch bekannt. Übrigens im Gegensatz zu einem Großteil ihrer wirtschaftsliberalen Stammwählerschaft, die die Europäische Union laut Umfragen positiver wahrnimmt als die Parteispitze. Im Kabinett sitzen aber auch noch Christdemokraten und Grüne. Gerade in Fragen der europäischen Integration gibt es innerhalb der Regierung sehr unterschiedliche Auffassungen, entsprechend unterschiedlich sind auch die Reaktionen auf das Referendum in Irland. Cyril Svoboda ist christdemokratischer Minister ohne Portefeuille und Vorsitzender des Legislativrates der tschechischen Regierung. Als ehemaliger Außenminister war er am EU-Beitrittsprozess Tschechiens maßgeblich beteiligt.

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„Ich persönlich bin enttäuscht“, so Svoboda. „Dieses Referendum wirkt sich sehr schlecht auf die Stimmung in Europa aus. Es bedeutet aber nicht unbedingt das Ende des Ratifizierungsprozesses. Jetzt kommt es darauf an, ob der Europäische Rat, der diese Woche zusammentritt, sich auf einen Plan B einigen kann, und wie dieser Plan B aussieht.“

Konsequenz des Nein der Iren könnte laut Svoboda sogar eine Verstärkung der Integrationsbemühungen in der EU sein:

„Ich glaube, dadurch können auch diejenigen Oberwasser bekommen, die wollen, dass Entscheidungen in der Europäischen Union nach dem Prinzip der qualifizierten Mehrheit fallen und nicht nach dem Prinzip der Einstimmigkeit. Sie werden sagen: Heute sind es die Iren, morgen ist es wieder jemand anders. Die Europäische Union ist ein Koloss aus 27 Staaten mit fast 500 Millionen Einwohnern, und wir sollten es nicht zulassen, dass das Veto eines einzelnes Landes den gesamten Entscheidungsprozess blockiert.“


Tschechien hat den Lissabonner Vertrag bisher nicht ratifiziert. Der Senat hatte beschlossen, ihn zuerst dem Verfassungsgerichtshof zur Prüfung vorzulegen. Senatsvorsitzender Přemysl Sobotka:

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„Wir wollten, dass das Verfassungsgericht uns sagt, ob dieser Vertrag im Widerspruch zu unserer Verfassung steht. Die Verfassung hätten wir dann gegebenenfalls ändern können, denn es nicht möglich, einen verfassungswidrigen Text anzunehmen. Ob wir diese Anfrage nun zurückziehen, weiß ich noch nicht. Aber meiner Meinung nach hat eine Stellungnahme des Verfassungsgerichts nun keinen Sinn mehr – es sei denn, es würde sich dabei um ein Signal für die Zukunft handeln, so dass wir bei Verhandlungen über einen neuen Vertrag wissen würden, ob diese bestimmte Stoßrichtung im Widerspruch zur tschechischen Verfassung steht oder nicht.“

Für die Tschechische Republik hatte das irische Referendum eine ganz besondere Bedeutung: Das Land übernimmt am 1. Januar 2009 für ein halbes Jahr den EU-Ratsvorsitz. Wäre der Vertrag bis dahin in Kraft getreten, dann hätte man bereits nach ganz neuen Regeln gespielt: Es hätte etwa einen gewählten Ratspräsidenten gegeben, der Regierungschef des Vorsitzlandes wäre nicht mehr automatisch in diese Rolle geschlüpft. Tschechien musste sich in seinen bisherigen Vorbereitungen deshalb immer auf zwei Szenarien einstellen. Nach dem Nein der Iren hat sich die Situation grundlegend geändert. Premierminister Mirek Topolánek:

Umweltminister Martin Bursík
„Für Tschechien bedeutet das eine enorme Herausforderung. Es ist nun evident, dass am 1. Januar 2009 noch kein neuer Vertrag in Kraft sein wird. Wir werden also eine vollwertige Präsidentschaft haben, mit viel mehr Verantwortung. Unsere Rolle als Moderator der Diskussion im Europäischen Rat und der Europäischen Union wird viel umfangreicher sein.“

Der Chef der besonders EU-freundlich eingestellten Grünen, Umweltminister Martin Bursík, gibt sich hinsichtlich der nahenden tschechischen Präsidentschaft skeptisch. Und das nicht so sehr wegen des administrativen Aufwands, sondern vielmehr deshalb, weil die Lösung der institutionellen Krise nach dem Nein der Iren für die EU-Neulinge aus Prag eine Nummer zu groß sein könne:

„Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass nach diesem Unfall die Tschechische Republik mit ihrer Präsidentschaft eine außergewöhnliche Verantwortung übernehmen muss. Man wird einen Weg suchen müssen, auf dem man weitergehen kann. Und dabei einen so schweren Rucksack zu tragen, das ist eher etwas für einen sehr erfahrenen Bergsteiger, und nicht etwas für jemanden, der das allererste Mal auf den Gipfel steigt, das Terrain noch nicht gut kennt und nicht weiß, wo die Gefahren lauern.“


Die Regierungsverantwortlichen in Prag haben also ihre Stellungen bezogen, ebenso wie Politiker in den anderen EU-Staaten. Von einem Europa der zwei Geschwindigkeiten über eine Sonderregelung für Irland bis zur Losung: Zurück zum Start! wurden aus ganz Europa die unterschiedlichsten Varianten ins Spiel gebracht. Wohin soll die EU nun gehen? Erste Wegweiser werden wohl frühestens am Brüsseler Gipfel Ende dieser Woche zu erkennen sein.