Jan Petránek – eine Lebensgeschichte des 20. Jahrhunderts
Das ganze Jahr hindurch erinnert der Tschechische Rundfunk an sein 85-jähriges Bestehen, dessen Beginn offiziell mit dem 18. Mai 1923 verbunden wird. Über die ersten Jahre seiner Existenz kann man aber vieles nur aus den niedergeschriebenen Erinnerungen mehrerer Zeitzeugen erfahren. Ebenso über die damaligen Radiostars. Wie schön, dass man die Stimmen manches jüngeren Nachfolgers in verschiedenen Aufzeichnungen, die im Tonarchiv des Rundfunks aufbewahrt werden, nachhören kann. Noch schöner ist es aber, wenn man eine Radiolegende noch zu ihren Lebzeiten sprechen kann.
„Geben Sie mir bitte Ihre Telefonnummer für den Fall, dass ich sterben sollte, bevor wir uns treffen können, damit Sie meine Witwe benachrichtigen kann.“ Typisch: So etwas kann man von der durchaus vitalen 78-jährigen Rundfunklegende namens Jan Petránek als Antwort erhalten. Journalist, Publizist, Übersetzer, Liedermacher, Experte für internationale Beziehungen, Kosmonautik und nicht zuletzt auch Spaßmacher ist er nämlich. Heute wollen wir sozusagen in seine „Lehrjahre“ hineinhören. Sie waren für ihn ausschlaggebend, um festen Fuß im Tschechoslowakischen Rundfunk zu fassen.
Nur knappe zwei Jahre ging Jan Petránek zur Schule, als der Zweite Weltkrieg begann. Keine gute Zeit, etwas Ordentliches in der Schule erfahren zu können. Welches Schicksal war Ihrer Familie in jener Zeit beschieden?
„Meine Mutter war als Vertreterin der Arbeiterfrauenbewegung tätig. Im Herbst 1938 nahm sie am Frauenweltkongress in Marseille teil, wo sie Hitler als einen Vielfraß bezeichnete, der Europa verschlucken würde. Und so bekam sie etwas später eine Warnung von deutschen Demokraten, sie solle aus Prag verschwinden. Es würde ihr an den Kragen gehen, wenn die Gestapo nach Prag kommt.“
Drei Wochen vor der Besetzung des Landes im März 1939 konnte Vlasta Petránková in die USA fliehen. Am 14. März war sie in Chicago angekommen, wo sie am Bahnhof von Jan Masaryk erwartet wurde. In Europa war bereits der 15. März und die Zeitungsverkäufer auf den Straßen in der amerikanischen Stadt riefen: „No more Czechoslovakia, Hitler´s Army rolling to Prague.“ Petráneks Vater emigrierte nicht, dafür fehlte es der Familie an Geld. Das Kriegsgeschehen ging an ihr aber nicht vorbei. Onkel Jaroslav, Bruder des Vaters, verbrachte sieben Jahre im KZ Buchenwald. Ein anderer Onkel musste als Gewerkschaftsfunktionär vor der Gestapo fliehen.
„Als am 15. März 1939 deutsches Heer in Prag einmarschierte, kamen Soldaten auch zu uns. Die Tür flog auf und mein Vater wurde verhaftet. Ich selbst, damals etwa acht Jahre alt, habe auch etwas auf den Kopf bekommen. In dem Moment wußte ich, dass uns keine Lämmchen besuchen, sondern Diktatoren. Meine Mutter ist während des ganzen Krieges in den USA geblieben. Mein Vater wurde insgesamt dreimal verhaftet, aber dank seiner brillanten Deutschkenntnisse und auch dank der Fürsprache deutscher Schachgroßmeister, die meinen Vater als Schachgroßmeister aus Prag kannten, konnte er dem schlimmsten Schicksal entkommen, das zum Beispiel seinen Bruder ereilte.“
Sie haben mir erzählt, dass Sie häufig allein zu Hause waren, weil ihr Vater unterwegs war. Was haben sie allein gemacht?
„Mein Vater hatte eine umfangreiche Bibliothek. Er beherrschte acht Fremdsprachen und auch seine Jugendzeit wurde wie die meine von einem Krieg gezeichnet. Es war der Erste Weltkrieg, in dem er als Legionär in Russland tätig war. Nach der Rückkehr arbeitete er als Handelsreisender, da er keinen anderen Job finden konnte. Zu Hause hatten wir eine umfassende Bibliothek, und da es damals noch kein Fernsehen gab, Radio wurde auch nicht besonders oft gehört, habe ich vor allem am Abend, als ich allein war, sehr viel gelesen. Bis heute kann ich ganze Passagen aus verschiedenen Werken zitieren, zum Beispiel auch aus Goethes Faust.“
Wie kam es dazu, dass Sie so früh ausgerechnet aus dem „Faust“ etwas auswendig gelernt haben?
„Als ich einmal meinen Vater fragte, warum es Kriege auf der Welt gibt, öffnete er Goethes Faust und zeigte mir die Passage ´Klassische Walpurgis Nacht auf Pharsalischen Feldern´ und las vor, was die Hexe Erichtho sagt:
´Wie oft schon wiederholt sich's, wird sich immerfort ins Ewige wiederholen.´
Keiner gönnt das Reich Dem andern; dem gönnt's keiner, der's mit Kraft erwarb
Und kräftig herrscht. Denn jeder, der sein inneres Selbst
Nicht zu regieren weiß, regierte gar zu gern
Des Nachbars Willen, eignem stolzem Sinn gemäß.“
Bereits an der Handelsfachschule haben Sie sich als Literat versucht, Sendungen für den Schulfunk gestaltet und Ähnliches mehr. Auf Rat Ihres Klassenlehrers, sich nach dem Abitur statt der Buchhaltung zu widmen lieber nach einer journalistischen Betätigung umzuschauen, haben sie es beim Tschechoslowakischen Rundfunk versucht. Damals suchte man Mitarbeiter für drei oder vier freie Redakteursstellen. Sie gingen hin, aber auch 200 bis 300 weitere Bewerber.
„Ich habe also Kehrt gemacht und wollte das Funkhaus verlassen. Da klingelte gerade in einer Ecke das Telefon. Ich hob ab und am Apparat war ein Auslandskorrespondent des Tschechoslowakischen Rundfunks, dem es nicht gelungen war, die Nachrichtenredaktion zu erreichen. Ich wurde gebeten, der Nachrichtenredaktion einen Kurzbericht zu übermitteln. Den habe ich mitstenografiert und rannte in den zweiten Stock.“
Kurzum, wie so oft im Leben, hat auch damals der Zufall geholfen. In der Nachrichtenredaktion waren gerade einige Mitarbeiter krank, und so wurde Petránek die freie Mitarbeit angeboten: zunächst für eine Woche, dann kam ein Angebot für zwei Monate – als Probezeit. Es war im Juli und August 1951 und er konnte bis zum Antritt der zweieinhalbjährigen Wehrpflicht bleiben. Anschließend kam er ins Funkhaus zurück.
„Ich war im Januar 1955 zurückgekehrt, genau zehn Jahre nach dem Ende des Krieges. Damals überraschte ich die Redaktionsleitung mit dem Vorschlag, den Fokus auf das zurückliegende Jahrzehnt zu richten. Ich wollte darüber berichten, was in den zehn Jahren mit der Tschechoslowakei geschehen war, aber auch darüber, was in der damaligen Sowjetunion passierte oder in Japan und in allen bedeutenden Ländern, von Ost über West bis zu den USA. Meine Chefs waren von dieser Idee nicht sonderlich begeistert. Mir wurde gesagt, ich solle zunächst mit Japan beginnen. Ich wusste, dass ich nur einen sieben bis acht Minuten langen Beitrag schreiben sollte, aber meine Feder war einfach nicht zu stoppen. Die Sendung ist letztlich eine halbe Stunde lang geworden.“
Im Zusammenhang mit der Abkehr Japans von dem traditionellen Militarismus und dem neu eingeschlagenen Weg der Demokratisierung haben Sie eine Prophezeiung gewagt: Japan würde bis Ende des 20.Jahrhunderts zu den führenden Industrienationen der Welt gehören – dank des außergewöhnlichen Fleißes seiner Bevölkerung, der durch den neuen politischen Kurs eine demokratische Basis erhalten hätte. Die Sendung hat Ihnen nach der Wende 1989 eine Einladung nach Japan und viel Respekt eingebracht. Wie kam sie aber im Jahr 1955 hierzulande an, namentlich im Tschechoslowakischen Rundfunk?
„Sie hat großes Staunen hervorgerufen, und ich musste vieles erklären und begründen. Im Prinzip aber wurde sie akzeptiert. Anstelle von siebenminütigen Kommentaren habe ich letztlich halbstündige Sendungen gestaltet – über Frankreich oder Großbritannien Zum Beispiel über Großbritannien, das als eines der wenigen europäischen Länder während des Krieges nicht besetzt war. Im Unterschied zu Deutschland, dessen Industrie dank des Marshall-Plans einen neuen Aufschwung erlebte, mussten sich die stark verschuldeten Briten beim Wiederaufbau ihres in Trümmern liegenden Landes auf eigene Kräfte verlassen.“
Es war bestimmt nicht leicht, derartig umfassende Programme zu gestalten. Außerdem haben Sie in einem kommunistischen Land gelebt!
„Ich habe vom frühen Morgen an geschuftet. Um fünf Uhr bin ich aufgestanden und habe das Recherchieren erst gegen zehn Uhr abends beendet. Zu meinem großen Schrecken habe ich immer wieder feststellen müssen, wie wenig ich über diese Welt weiß. Ich konnte allerdings schon damals das, was die Tschechen allgemein beherrschen: zwischen den Zeilen lesen und zwischen den Sätzen hören!“
Anfang 60er Jahre beginnt für Jan Petránek eine neue Etappe seines Lebens. Ohne weiteres kann man von seinen Wanderjahren sprechen. Er wurde als Auslandskorrespondent nach Indien und später nach Russland entsendet. Über seine hoch interessanten Erlebnisse aus jener Zeit, bevor er nach der Invasion der Sowjetpanzer in 1968 aus dem Rundfunk gefeuert wurde, wird Ihnen der eingefleischte Journalist heute in zwei Wochen erzählen.