„1968: Lachen und Vergessen“ – Erinnerung an den Prager Frühling
„1968: Lachen und Vergessen“ – das war das Leitmotto des diesjährigen Schriftstellerfestivals, das in dieser Woche in Prag stattfand. Man möchte gerne glauben, dass die Jahreszahl unverkennbar jeden an die Ereignisse in der Ex-Tschechoslowakei erinnert, für die sich weltweit der Name „Prager Frühling“eingebürgert hat.
Um eine der eher wenigen Diskussionen der Gegenwart zum Thema „Prager Frühling“ haben sich, wenn auch indirekt, zwei herausragende Persönlichkeiten der damaligen Kulturszene verdient gemacht: Milan Kundera und Václav Havel. Die Diskussion begann aber eigentlich schon vor 40 Jahren. In der Weihnachtsausgabe der Wochenzeitung „Literární noviny“, genau am 27. Dezember 1968, zu einem Zeitpunkt also, als die Reformbewegung bereits vier Monate begraben war, veröffentlichte Kundera einen umfassenden Artikel mit dem Titel „Das tschechische Schicksal“. Es waren Kunderas Ausführungen über die angebliche Sternstunde seiner Nation, die sich durch ihre Leistung im Jahr 1968 zum ersten Mal seit dem Mittelalter einen bedeutenden Platz in der Weltgeschichte verschaffen habe. Václav Havel bezeichnete damals in derselben Zeitung Kunderas Ausführungen als „illusionistische Konstruktionen“.
Die scharfe, von absolut unterschiedlichen Positionen aus geführte Polemik der beiden Intellektuellen um den Sinn des Prager Frühlings ´68, wird offenbar noch heute von tschechischen Intellektuellen als eine Herausforderung zum Gedankenaustausch wahrgenommen. Diesmal jedoch in begrenztem Maße, wie die seit Jahresbeginn auf den Seiten der „Literární noviny“ laufende Debatte zeigt. Um den 40 Jahre alten Streit zwischen Kundera und Havel sind auch renommierte tschechische Literaten beim diesjährigen Schriftstellerfestival in Prag nicht herumgekommen, allerdings nur am Rande ihrer Debatte.
Zum ersten Mal im Leben habe ich sie beisammen in einer Gesprächsrunde gesehen – die exponierten Persönlichkeiten des Prager Frühlings: Vaculík, Klíma, Liehm, Lustig und Gruša, deren Artikel ich auch vor 40 Jahren, als Gymnasialschülerin und spätere Hochschulstudentin, wie Abertausende meiner Zeitgenossen, in mehreren, bald nach 1968 verbotenen Zeitungen und Zeitschriften mit Interesse gelesen habe. Damals musste man oft morgens recht zeitlig an den Kiosk rennen, um die erwünschte Zeitungsausgabe zu gehen.
Gerade diese Erinnerung schoss mir durch den Kopf beim Anblick der bejahrten Herren Schriftsteller, die bereits zu ihren Lebzeiten in die Geschichte eingegangen sind. Ihre Literaturwerke werden hoffentlich auch in Zukunft verhindern, dass die Lehre, die aus der Geschichte des Prager Frühlings zu ziehen ist, nicht allzu sehr verstaubt. Und auch nicht so kontrovers ist, wie einst im Dialog Kundera-Havel.