Zwischen alter Heimat und neuer Welt - Jugendbuchautorin Iva Procházková erhält Evangelischen Buchpreis 2008

Iva Procházková (Foto: www.eliport.de)

Der Deutsche Jugendliteraturpreis, der Österreichische Jugendbuchpreis, der Friedrich-Gerstäcker-Preis für Jugendliteratur – das sind nur einige der Auszeichnungen, welche die 55-jährige Tschechin Iva Procházková im Laufe ihrer Schriftsteller-Laufbahn eingeheimst hat. Durch die vielen Jahre, die sie im österreichischen und vor allem im deutschen Exil verbracht hat, ist sie auch schriftstellerisch zu einer Grenzgängerin geworden. Anfang Mai erhielt die inzwischen wieder in Prag lebende Iva Prochakzova den Evangelischen Buchpreis 2008.

„Es war klar, dass wir nie zurückkommen. Und ich hab einfach festgestellt: Ja, ich habe aus ganz rationellen Gründen mich für die Emigration entschlossen. Es war bestimmt richtig, für meine Familie, für unsere Kinder. Aber ich werde, wenn ich wirklich nicht zurückkomme, ich werde bis zum Ende meines Lebens traurig sein, weil ich nie wieder Prag sehe, weil ich nie wieder... Es ging einfach um die Koordinaten hier, also um die ganze Umgebung, um die Luft, die Atmosphäre. Ich finde Bremen ist eine tolle Stadt. Konstanz am Bodenseee – wunderbar, historisch. Wien – natürlich sehr schön. Es geht nicht um die Schönheit. Ich glaube, ich könnte aus Ostrau stammen und aus einer noch viel hässlicheren Stadt und trotzdem könnte ich sehr traurig sein Heimweh haben. Ich bin sehr froh, dass wir diese Erfahrung der Emigration gemacht habe. Ich bin natürlich noch glücklicher, dass wir zurück konnten. Ich bin wahrscheinlich ein Mensch, der in sich für immer die Heimat trägt – im Herzen. Und deshalb musste ich weiter schreiben. Das war eigentlich die einzige Methode, der einzige Weg, wie ich diese Traurigkeit wenigstens für einen Moment aus mir heraus bekam. Ich habe sie also niedergeschrieben – ich konnte ausatmen. Und das war gut.“

Erzählt Iva Procházková heute rückblickend. 1983 war sie zusammen mit ihrem Mann und ihren Kindern aus der kommunistischen Tschechoslowakei geflüchtet. Denn die junge Iva hatte in ihrem Heimatland keine Perspektive, sie hatte die politischen Probleme ihres Vaters sozusagen geerbt. Jan Prochazka war Schriftsteller und ein führender Kopf in der Reformbewegung des Prager Frühlings von 1968. Mit einem Studium konnte Iva Procházková Anfang der 70er nicht mehr rechnen.

„Und da habe ich mir gesagt: Gut, ich werde mir eine Arbeit suchen, die von mir keine großen mentalen Kräfte fordert und ich werde jede Zeit, die ich kann, dem Schreiben widmen.“

Iva Procházková arbeitete viele Jahre als Putzfrau. Tag ein Tag aus, Trepp auf Trepp ab putzte sie große, schöne, alte, aber heruntergekommene Häuser auf der Prager Kleinseite.

„Und da wohnten sehr viele alte Leute. Und ich habe mit ihnen einfach geplaudert. Das waren alte Frauen, die sich langweilten vormittags. Sie waren mit mir im Treppenhaus und sie haben geredet, geredet, Geschichten erzählt und ich habe das natürlich nicht vergessen.“

Im Gegenteil. Iva Procházková schrieb es auf – für Kinder und Jugendliche und nicht nur für sie. Aber auf eine Veröffentlichung war kaum zu hoffen. Und die Flucht war schon beschlossene Sache. Wien, Konstanz und schließlich Bremen –Stationen ihres Exils. Sie schrieb weiter. Bald auch auf Deutsch. Von den 17 Büchern, die Iva Procházková mittlerweile vorgelegt hat, hat sie viele eigentlich zwei Mal geschrieben.

„Also, es sind immer zwei Versionen und die zweite Version, die deutsche, sie beeinflusst eigentlich die erste, die tschechische, weil ich zum Beispiel in der deutschen Version etwas anders schreibe. Ich sehe das plötzlich aus einem anderen Winkel. Und wenn ich fertig bin, dann sage ich mir: Aber es wäre gut, das auch in der tschechischen Version zu ändern. Also kein Buch ist identisch in diesen zwei Sprachen.“

Iva Procházková ist zu einer Autorin geworden, die schreibend ein Band zwischen der alten Heimat und ihrer neuen Welt knüpfte. Daraus sei ihre ganz eigene Form von einem magischen Realismus entstanden, erzählt Iva Procházková.

„Also das Magische, das kommt von meiner Heimat, die immer sehr beeinflusst war von der Tradition der Märchen. Und Realismus natürlich, weil zum Beispiel in Deutschland die Jugendlichen viel sachlicher waren. Ich versuchte das zu verbinden und manchmal sind total verrückte Sachen entstanden, wie zum Beispiel der `Eulengesang`. Also `Eulengesang´ hab ich in Bremen geschrieben. Das ist eine Utopie oder Anti-Utopie könnte man das nennen“.

Im Roman „Eulengesang“ steckt der 17-Jährige Armin in einer Identitätskrise. Aber auch im Jahr 2046 weiß sein PCB – sein Persönlicher Computer Berater nicht auf alles eine Antwort.

„Und da ist wirklich so viel von mir als alte Iva Procházková, die tschechische, aber auch so viel aus Bremen, der neuen Welt, die ziemlich kalt war, die ziemlich unpersönlich war. Ich habe das an den Schülern im Gymnasium gesehen, wohin meine Kinder gegangen sind. Das waren nicht die warmen, herzlichen Beziehungen, die ich zum Beispiel von zu Hause kannte. Und ich habe das beides irgendwie gemixt und ´Eulengesang´ ist das Ergebnis.“

Das Scheitern der traditionellen Familie, die technische Entwicklung, aber auch die Medien seien Gründe für eine zunehmende Kälte in der Gesellschaft, sagt Iva Procházková:

„Das ist keine Kritik der Medien, sondern der Art, wie wir sie benutzen. Als ob wir glaubten, dass sie eine Beziehung ersetzen könnten. Viele Jugendliche benutzen Medien nicht nur als Informationsquelle, sondern als Partner. Und das ist natürlich schrecklich, weil sie dann nicht aktiv sind, keine Lust haben, neue Beziehungen anzuknüpfen. Ich will nicht pessimistisch sein, aber rein realistisch sehe ich, dass die jungen Leute es viel schwerer haben als wir in unserer Jugend, weil sie sehr wenige Werte haben, die sicher sind, die unverrückbar sind. Alles ist total in Bewegung und das heißt auch sie müssen in Bewegung sein. Und dann ist die Welt natürlich ärmer ohne tiefe Beziehungen.“

Die junge Iva Procházková selbst hat das noch anders erlebt. Sie ist die ersten Jahre ihres Lebens in einer Großfamilie aufgewachsen. Ihre Eltern wohnten mit den älteren Kindern damals in einem Prager Studentenzimmer. Es war einfach kein Platz für alle. Und so verbrachte Iva ihre erste Lebenszeit bei Großmutter und Urgroßmutter.

„Für mich war das total gut. Die Großmutter und Urgroßmutter, das waren so nette Wesen und sie waren so sanft und so klug und ich glaube, sie haben mich geprägt. Auch aus der Sicht der Religion vielleicht und mit so einer einfachen Philosophie. Ich habe sehr viel von ihnen bekommen.“

Die Gedankenwelt und die Traditionen der Alten und der Familie seien wichtig für die jungen Leute, sagt sie:

„Es müssen nicht unbedingt gute Traditionen sein, aber es ist gut, sie zu kennen. Also ich glaube, es ist so, dass vielleicht die große Familie eine bestimmte Brücke dazu ist, dem jungen Menschen oder dem Kind Sicherheit zu geben: ´Hier stehe ich. Das sind die Werte meiner Familie. Will ich sie erben oder in welchem Sinne will ich widersprechen´. Und durch dieses Widersprechen kommt es zu einer Identifikation der Persönlichkeit.“

Und so wird es verständlich, dass es nicht nur die Jungen sind, die in den Jugendbüchern von Iva Procházková im Mittelpunkt stehen, es sind immer wieder auch die Babičky – Großmütter. Starke Persönlichkeiten, die eine enorme Wirkung auf ihre Enkelkinder haben. Zuletzt im Buch „Wir treffen uns, wenn alle weg sind“. Der 18-jährige Roma Mojmír Demeter wird bald zu den wenigen Überlebenden einer pestartigen Epidemie gehören und sich in einer Welt wiederfinden, in der nichts mehr gilt, was zuvor wichtig war. Vorher aber pflegt Mojmír seine krebskranke Wahloma in der Bergen.

„Er spürt, die Frau braucht ihn und für ihn ist das halt keine riesige Opfergabe. Er macht das, weil man so was macht. Anständige Leute machen so etwas und eigentlich ist das vielleicht der Grund, warum das Buch von den Lesern und Leserinnen für diesen evangelischen Preis vorgeschlagen wurde.“

Vorgeschlagen und ausgewählt. Iva Procházková hat am 7. Mai den Evangelischen Buchpreis 2008 erhalten für ihren Roman „Wir treffen uns, wenn alle weg sind“. Der Preis geht nach Prag. Denn dahin ist Iva Procházková 1995 zurückgekehrt. Mit einer großen Portion Exil im Herzen.