Erste Tschechin erreicht den Nordpol zu Fuß
Auf dem Nordpol sollen bisher - insgesamt rund 18.000 Menschen gewesen sein. Unter ihnen waren aber nur ganz wenige Tschechen. Dem ersten ist es 1993 gelungen. Zu einer besseren Bilanz haben im diesjährigen Frühjahr gleich drei tschechische Polarexpeditionen beigetragen. In einer von ihnen war auch eine Frau, die als erste Tschechin den nördlichsten Punkt der Erdkugel per pedes, zu Fuß als, und genauer gesagt auf Schiern erreicht hat.
„Am Nordpol sind wir punkt 7.40 Uhr abends angelangt. Wir konnten nicht mehr so spät telefonieren, denn der Frost war schrecklich und wir konnten uns kaum noch bewegen. Zunächst haben wir das Zelt ausgepackt, um uns darin zu verstecken. Gesundheitlich sind wir alle wohl auf, allerdings sehr müde durch den Frost. Im Moment sind es minus 35 Grad Celsius.“
Erschöpfung, aber auch große Freude war in Netolickás Stimme zuhören. Zu diesem Zeitpunkt hatte aber offenbar kaum jemand von den drei Tschechen bereits Lust zu feiern, was auch aus folgenden Worten herausuhören war:
„Feiern werden wir später irgendwo, wo es wärmer ist – mit gutem Rotwein, jedoch erst nach einem warmen Bad und einem Schlaf im bequemen Bett. Momentan beten wir, dass der Helikopter so bald wie möglich kommt und uns nach Barneo fliegt, wo es schon etwas angenehmer sein könnte.“
Ja, in diesem Moment haben sie nicht geahnt, dass es noch fast ganze 24 Stunden dauern wid, bis die Maschine kommt. In der Polarstation Barneo mangelte es nämlich an Brennstoff für den Flug. Einzelheiten über die „Eroberung des Nordpols“ konnte man von Miluše erst einige Tage später hören. Da saß sie bereits im Studio des Tschechischen Rundfunks.Bis zum Nordpol möchte ich gerne gehen, wenn du lieb zu mir bist, heißt es in einem alten tschechischen Popsong, doch keine Liebeskummer war natürlich die Motivation für Miluše Netolická und ihre männlichen Tripgesellschafter Dušan Kunovský und Ladislav Franta. Im Prager Studio erzählte die erste Tschechin über das Zustandekommen ihrer Nordpol-Reise:
“Ich habe die Expedition mit den Kollegen mehrere Jahre geplant, eine Zeitlang aber nur um Spaß zu haben. Wie wäre es, wenn wir das machen würden und wenn wir es auch schaffen...und so weiter. Es ging mir nicht darum, die erste Tschechin am Nordpol zu sein. Später waren wir schon ernst daran interessiert, haben Informationen gesammelt und vor einem halben Jahr haben wir beschlossen aufzubrechen.“
Es habe sie der Gedanke gereizt, sich selbst auf Probe zu stellen, dass sie es schaffen kann. Nicht nur physisch, sondern auch psychisch. Wie lange haben Sie träniert?
„Ich persönlich tränierte etwa fünf Monate lang minimal zwei Stunden täglich. Ich habe vor allem die Ausdauer trainiert, um, wie vorgesehen war, ca. zehn Stunden nonstop marschieren zu können. Bei den Fitnessübungen habe ich mich auch auf die gesamte Körpermuskulatur konzentriert, um zu vermeiden, dass irgendein Muskel auf die Belastung mit Schmerz oder Krampf reagiert. In meinem Trainingsplan waren daher auch der Lauf, Skilanglauf, Radfahren, Schwimmen und klassische Muskelübungen.“
Das war also das Körpertraining. Genauso wichtig, wenn nicht wichtiger sogar ist die psychische Verfassung. Wie war es bei Ihnen?
“Das ist schon wichtiger, aber ehrlich gesagt, ich weiß nicht, wie man die Psyche trainiert. Ich glaube, man muss vor allen Dingen mit sich selber darüber im Klaren sein, warum man hingehen will. Dann geht es vor allem darum, in den Krisensituationen, die ganz sicher kommen, rationell und keinesfalls emotional zu reagieren und jedes Problem sofort untereinander vernünftig zu besprechen.“
Leicht gesagt! Immerhin, Miluše Netolická berichtet, man habe gemeinsam dramatische Situationen gemeistert. Wie verlief der Fußmarsch unter den herrschenden extremen Witterungsbedingungen?
„Es wurde Schritt für Schritt zur Hölle. Gleich am Anfang wurden wir auf dem Weg zum Nordpol durch die in entgegengesetzter Richtung driftenden Eisschollen am Vormarsch gehindert. Das hat uns etwas mehr Zeit gekostet als vorgesehen war. Es war auch nicht vorgesehen, dass wir uns am Nordpol länger als zwei Stunden aufhalten würden. Dabei war alles genau eingeplant, die Nahrung für uns, der Brennstoff für die Kocher und das Futter für die Hunde. Letzten Endes war es so, dass kein Hundefutter mehr da war und auch wir hatten nichts mehr zu essen. Der Brennstoff war auch alle. So konnten wir nur im Zelt sitzen und auf die Information warten, wann der Hubschraucher uns abholen kommt.“
Das Warten war lang, wie wir mittlerweile wissen. Mussten Sie auch schweres Gepäck tragen?„Unser Weg zum Nordpol war etwas erschwert. Wir hatten ein Hundegespann mit, doch weil auch die Hunde viel Futter brauchten, musste jeder von uns drei einen Schlitten hinter sich her schleppen und einen vollen Rucksack auf dem Rücken tragen. In den ersten Tagen war es also ziemlich anstrengend, vor allem für mich. Mit der Zeit war es dann zunehmend besser, nachdem die Ladung auf den Hundeschlitten schrumpfte und wir konnten etwas von unserem Gepäck darauf legen. Wegen der Hunde mussten wir aber auch oft auf Umwegen gehen, weil nicht alle Hunde imstande waren, über die brechenden Eisschollen zu klettern. Dabei mussten wir selbst den Hunden beim Fortschieben der großen Schlitten helfen, um weiter zu kommen.“
Gab es Momente, in denen Sie Ihre Entscheidung, zum Nordpol zu gehen, bereut haben?
„Ich habe mir derartige Gedanken einfach verboten. Im Moment, wenn ich begonnen hätte es zu bereuen, wären die Emotionen immer intensiver geworden. Ich habe mir große Mühe gegeben, jede Situation rationell zu beurteilen und habe auch zu mir gesagt: Ich habe das gewollt und werde also versuchen, die Situation zu meistern - ich muss über das Wasser springen und darf nicht hinfallen, ich muss mich konzentrieren und weiter gehen. Ich weiß gar nicht, woher dieser Mut kam. Vielleicht von der Sonne, die ständig am Horizont schien.“
Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie wussten, das Sie am Nordpol sind?
„Als Siegerin natürlich! Es war ein phantastisches Gefühl. Wenn man nach fast zehntägigem Marsch das Ziel erreicht hat und weiß, dass man es geschafft hat, das ist einfach umwerfend. Unsere Begeisterung war enorm. Wir haben ja zunächst nicht gewußt, welche Probleme noch auf uns zukommen würden. Wir sollten dem Plan nach innerhalb von etwa zwei Stunden wegfliegen. In der Zwischenzeit haben wir fotografiert und auch das Zelt aufgestellt. Außer dem Frost herrschte dort nämlich auch sehr starker Wind. Niemandem von uns ist eigefallen, dass wir dort noch fast 24 Stunden bleiben würden“
Dass Miluše Netolická die erste Tschechin am Nordpol war, wurde bald von einigen in Frage gestellt. Vor ihr sollen dort schon andere tschechische Frauen gewesen sein. Dazu sagte sie:
„Hier geht es viel mehr darum, wie man den Nordpol erreicht hat. Ich bin die erste in dem Sinne, dass ich dorthin zu Fuß gegangen bin und nicht mit einem Eisbrecher oder einem Helikopter, der mich abgesetzt hätte. Ich bin fast zehn Tage lang marschiert.“
Ob erste oder nicht, fest steht, dass Netolická als Frau eine tolle Leistung vollbracht hat. Die Frage des Tschechischen Rundfunks, ob sie bereits wieder einen neuen Abendteuerplan schmiede, sagte sie:
„Momentan plane ich nichts. Vor allem will ich mich ausruhen und am liebsten würde ich zum Äquator reisen.“