Volksmusik verschwindet aus unserem Leben
Multiinstrumentalist, vor allem aber Zymbal- und Geigenspieler, obendrein noch unermüdlicher Propagator der Volksmusik: Jan Rokyta, langjähriger Musikredakteur des Tschechischen Rundfunks Ostrava. Im kommenden Monat begeht er seinen 70. Geburtstag. Jan Rokyta ist in den folgenden Minuten zu Gast bei Radio Prag – in der neuen Ausgabe der Sendereihe Heute am Mikrophon.
Kein Wunder eigentlich, denn die Region der Walachei war seit eh und je durch spezifische Traditionen der eigenartigen Lebensweise in der dortigen Berglandschaft gekennzeichnet. Die Pflege der Volkskunst gehörte und gehůrt bis heute dazu. Herr Rokyta, können Sie sich noch erinnern, wann Sie die ersten walachischen Lieder vorsingen konnten?
„Ich war fünf oder sechs Jahre alt, kurz bevor ich zur Schule ging. Mein erster öffentlicher Auftritt, damals noch gegen meinen Willen, ereignete sich in meinem elften Lebensjahr. Ich wollte gar nicht auf die Bühne. Man hat mich gezwungen, ein schönes walachisches Lied auf einer Ausstellung zu singen, in der unsere Region vorgestellt wurde. Das war im Jahr 1949.“
An den Tag kann sich Jan Rokyta bis heute sehr gut erinnern:
„Ich sang in Begleitung des Zymbalspielers Jaroslav Jurášek, der eine bedeutende Persönlichkeit auf dem Gebiet der Volkskunst war. Und dort kam es zu der ausschlaggebenden Initialzündung, die mein weiteres Leben bestimmt hat. Ich gründete bald eine Zymbalkapelle, dann noch eine, und schließlich auch die berühmteste, nämlich die Zymbalkapelle ´Technik Ostrava´. Doch bald interessierte mich auch der Rundfunk, weil er mich mit Musik von anderswo vertraut machte.“
Noch einmal zurück in die Zeit, als Sie das Musikinstrument Zymbal bezaubert hat. Wann hat es eigentlich bei Ihnen so richtig begonnen?
„Ich war 14. Der Tonklang dieses Instruments und seine Möglichkeiten haben mich so verzaubert, dass ich sogar mit Hilfe meines Cousins ein Zimbal sozusagen „entwendet“ habe. Es stand eine Zeit lang rum im Haus des Turnvereins in Jasenná, ohne dass jemand darauf gespielt hätte. Eines Tages haben wir es gepackt, auf einen Schlitten gelegt und zu mir nach Hause transportiert. Danach habe ich das Zymbalspiel allein gelernt.“
Der Zymbal ist ein ungewöhnliches Musikinstrument und dies nicht nur durch seinen äußeren Bau. Man sagt auch, dass es recht schwer ist, auf dem Zymbal zu spielen. Jan Rokyta kann es bestätigen:
„Es ist eines der anspruchsvollsten Musikinstrumente. Wenn man am Klavier sitzt, bewegen sich die Hände in einer Geraden, nach links, nach rechts, doch beim Zimbalspiel muss man mal nach vorne, mal nach hinten, links und rechts oder auch schräg nach links und schräg nach rechts, wieder zurück, und das alles sehr schnell und präzise. Bei uns in Mähren sagt man, dass der Zymbalspieler von allen Musikanten am wenigsten Alkohol trinken darf, weil man es ihm am schnellsten anhört.“
Etwa zehn Jahre habe es gedauert, bis er – so Rokyta wörtlich – anständig spielen konnte. Ansonsten sei er immer noch am Lernen. Wie ist es eigentlich heutzutage um das Zymbalspiel und den Nachwuchs in Tschechien bestellt? In welchem Alter beginnen die heutigen Zymbalspieler?
„Da könnte man sich wundern. Die heutigen Zymbalspieler beginnen bereits mit fünf, sechs Jahren, im Vorschulalter also. Das sind die Begabteren. Sehr oft widmet man sich dem Erlernen auch an Kunstgrundschulen. In diesem Bereich kann man sagen, ist Tschechien europaweit eine Zymbalgroßmacht. Bei uns gibt es so viele gute Lehrerinnen und Lehrer und auch Schulen, in denen dieses Musikfach unterrichtet wird, dass es heute insgesamt auch viel mehr Zymbalspieler gibt, die mehr können, als es in meinen jungen Jahren der Fall war. Was sie zum Beispiel heute schon mit neun Jahren spielen, konnte ich erst mit etwa 15 oder 16 Jahren.“
Jan Rokyta hat vor 50 Jahren die erwähnte Kapelle „Technik Ostrava“ gegründet, geleitet und als Solist mitgespielt. Außerdem arbeitete er mit einer ganzen Reihe von anderen bekannten Folkloreensembles. Von 1970 bis 1980 war er auch als Kammerspieler tätig – neben dem Zymbal waren seine Musikinstrumente auch die Orgel, die Blockflöte, das Schlagzeug oder Tympanum. In dieser Zeit spielte er auch mit dem international bekannten Kammerensemble Prager Madrigalisten. Die mährische, vor allem aber die vertraut bekannte walachische Folklore ist für ihn sein Leben lang eine Herzenssache. Es gibt aber noch zwei Regionen hierzulande, zu denen er eine enge Beziehung hat:
“Besonders zwei böhmische Regionen. Erstens weil ich hier einen Freund auf Leben und Tod habe. Es ist Zdeněk Bláha vom Tschechischen Rundfunk in Pilsen. Und auch die Brüder Krček, die aus Budweis stammen. Also Westböhmen, namentlich das Chodenland, und Südböhmen. Die letztere Region ist mir vielleicht noch näher. Es hängt auch damit zusammen, wie es um die Pflege der jeweiligen Region bestellt ist. Wie viele Musikensembles es dort gibt und welche von ihnen in das Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit vorgedrungen sind. Ich sage immer: In Tschechien gibt es nicht folkloristisch schwache und starke Regionen, es gibt nur schwache und starke Unterstützung.“
Die Zeit der bedeutenden Volksliedersammler, von denen es in der tschechischen Geschichte recht viele gab – die bekanntesten sind zum Beispiel Leos Janáček und František Sušil – ist längst vorbei. Gibt es heutzutage überhaupt noch Liedersammler?
„Wissen Sie, Liedersammler gibt es zwar immer noch, aber das, was man sammeln kann, das heißt, man verzeichnet Lieder, die in der Regel bereits verzeichnet worden sind. Es geht aber um neue Versionen, denn die Musikalität entwickelt sich, jedoch leider in negativer Richtung. Heutzutage singen die Menschen wesentlich weniger als früher. Man sagt ´lasst´ ein Lied spielen“ und nicht etwa ´lasst uns ein Lied singen.´ Meiner Meinung nach sollten wir zum Singen wieder zurückfinden, kompromisslos, singen und wieder singen. Und damit sollte man schon bei den Kindern beginnen.“
Und das hat Jan Rokyta sein Leben lang gemacht. Schließlich ist auch sein Sohn, Jan Rokyta jr., ein renommierter und international anerkannter Musiker geworden.