„Wenn die Zeit reif ist“: Tschechien wartet mit Anerkennung des Kosovo ab

Foto: CTK

Etwas mehr als eine Woche ist vergangen, seitdem das mehrheitlich von Albanern bewohnte Kosovo seine Unabhängigkeit von Serbien proklamiert hat. In Serbien selbst und in etlichen anderen europäischen Ländern gab es dagegen Protestkundgebungen, auch in Prag demonstrierten am Samstag etwa 500 Menschen. Während die USA und mehrere EU-Staaten, darunter Deutschland, Frankreich und Großbritannien, die Unabhängigkeit des Kosovo bereits anerkannt haben, herrscht in anderen Ländern Europas noch vorsichtige Zurückhaltung. Der tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg will das Kosovo erst anerkennen, „wenn die Zeit reif ist“.

Mirek Topolánek reagierte prompt aber zugeknöpft. Kurz nachdem das Kosovo am Sonntag vor einer Woche die Unabhängigkeit ausgerufen hatte, veröffentlichte der tschechische Premierminister eine Erklärung. Er nehme die Entscheidung des Parlaments in Priština zur Kenntnis, das weitere Vorgehen werde Tschechien mit den anderen EU-Staaten koordinieren, so Topolánek. Gleichzeitig hoffe er, dass auch Serbien den Weg der europäischen Integration fortsetzt. Zur Frage, ob Prag den neuen europäischen Staat anerkennen wird, hielt sich der Premierminister aber bedeckt. Für Filip Tesař vom Prager Institut für Internationale Beziehungen keine Überraschung.

„Ich vermisse ganz allgemein einen Standpunkt der Regierung. Bis jetzt kennen wir eigentlich nur die Haltung von Außenminister Schwarzenberg. Er ist mit der Materie sehr gut vertraut und beschäftigt sich mit dem Thema schon seit langem. Aber die Regierung als Ganzes hat bisher nicht klar Stellung bezogen. Man hört meist nur, dass die Europäische Union einen gemeinsamen Standpunkt einnehmen soll, dass Tschechien warten muss, was die Europäische Union macht usw. – so als ob Tschechien nicht selbst ein Teil der Europäischen Union wäre. Schwarzenberg hatte während des gesamten vorigen Jahres das Problem, dass Premierminister Topolánek und das restliche Kabinett sich immer auf das Außenministerium berufen haben, das Außenministerium umgekehrt aber keinen wirklich ausgeprägten Standpunkt einnehmen konnte, eben weil ihm die Unterstützung der Regierung fehlte.“

Außenminister Karel Schwarzenberg will in der Frage der Anerkennung des Kosovo ebenfalls nicht vorpreschen, zeigt aber die ungefähre Marschrichtung an:

„Ich warte noch ab. Es wäre nicht angemessen, wenn Tschechien unter den ersten Staaten wäre, die das Kosovo anerkennen. Wir sind keine Großmacht, aber wir sind ein Mitgliedstaat der Europäischen Union. Außerdem ist es wichtig, wie sich die Situation im Kosovo weiter entwickelt, und ob dort Frieden, Recht und Ordnung eingehalten werden.“

Die oppositionellen Sozialdemokraten wiederum lehnen eine Anerkennung des Kosovo generell ab:

„Wir fordern die Verfassungsorgane dieses Landes auf, keinerlei Schritte zu unternehmen, die das internationale Recht missachten. Das heißt, wir fordern dazu auf, das Kosovo nicht anzuerkennen. Denn das wäre ein gefährlicher Sprengsatz“, so Lubomir Zaorálek, der außenpolitische Sprecher der Sozialdemokraten. Zaorálek beruft sich dabei auf einen erst wenige Wochen alten Beschluss des tschechischen Parlaments.

„Anfang des Jahres verabschiedete das Abgeordnetenhaus eine Erklärung, in der es an die Regierung appelliert, die UN-Resolution 1244 zu befolgen. Darin wird dem früheren Jugoslawien, dessen Rechtsnachfolger das heutige Serbien ist, die territoriale Integrität garantiert“, erklärt dazu Filip Tesař vom Institut für internationale Beziehungen. „Mittlerweile hat aber die Mehrzahl der EU-Staaten anerkannt, dass das unrealistisch ist. Auch der Plan des UN-Sonderbeauftragten Martti Ahtisaari sieht eine bedingte Unabhängigkeit des Kosovo vor, die UN-Verwaltung wird abgelöst von einer Verwaltung durch die Europäische Union. Das ist der gemeinsame Standpunkt der EU, und den nimmt auch Tschechien ein. Wenn der Aufruf, die UN-Resolution 1244 zu beachten, im Ausland also überhaupt von irgendjemandem wahrgenommen wird, dann wohl als weitgehend emotionaler Aufschrei, der ins Leere geht.“

Foto: CTK
Insgesamt, glaubt Tesař, überwiegen unter den tschechischen Politikern die Sympathien für Serbien:

„Dafür gibt es historische Gründe – auch wenn es sich bei den engen tschechisch-serbischen Beziehungen in gewissem Maße um einen Mythos handelt. In den Jahren des Kalten Krieges, als es zwischen Tschechen und Serben eigentlich nicht allzu viele Kontakte gab, hat sich dieser Mythos noch gefestigt, weil dadurch sozusagen der Phantasie genügend Raum gelassen wurde. Eine pro-serbische Orientierung gibt es jedenfalls nicht nur bei den Kommunisten, die ein unabhängiges Kosovo ganz klar ablehnen, und bei denen auch antiamerikanische und pro-russische Empfindungen eine Rolle spielen. Auch für die Sozialdemokraten ist eine gewisse pro-serbische Haltung charakteristisch, ja selbst für die Bürgerdemokraten, also die stärkste Regierungspartei.“

Doch mögen sich die Sympathien für die slawischen Serben auch quer durch fast alle Parteien ziehen: im EU-Staat Tschechien machen derlei Befindlichkeiten noch längst keine Außenpolitik. Minister Schwarzenberg jedenfalls erteilt einem kategorischen Nein zur Anerkennung des Kosovo eine klare Absage:

„Damit würden wir uns selbst von jeder weiteren Arbeit und von den Entscheidungsprozessen auf dem Balkan ausschließen. Bis jetzt ist es uns gelungen, eine Menge von Dingen durchzusetzen, die auch im Interesse Serbiens waren – zum Beispiel in der Visapolitik, bei der Vergabe von Stipendien usw. Wenn wir uns nun selbst ausschließen würden, dann hätte Serbien nichts davon, und wir auch nicht. Wir würden uns nur isolieren. Viel Sinn hat das nicht.“

Die Eckpunkte der tschechischen Balkanpolitik sind also die prowestliche Orientierung als NATO- und EU-Mitglied, eine schemenhafte Verbundenheit zum slawischen Brudervolk der Serben, das internationale Recht und die Tatsache, dass ohnehin kaum jemand nach Prag schielt, wenn er an Belgrad und Priština denkt. Neben der stillen Diplomatie in Teilbereichen der Politik ist in Tschechien daher vor allem zweierlei angesagt: Zurückhaltung und Pragmatismus.