Achtung Acht! Tschechien und die Achter-Jahre (1)

Prag 1968

In den Kapiteln aus der Tschechischen Geschichte nehmen wir heute den Jahreswechsel zum Anlass, den Blick ausnahmsweise einmal nicht zurück zu richten, sondern voraus zu schauen auf die kommenden zwölf Monate. Natürlich nicht auf die Ereignisse, die das Jahr bringen wird, sondern auf die Jahrestage, die anstehen. Und hier gibt es gleich eine ganze Reihe bedeutender Jubiläen und Gedenktage zu begehen. Denn die Achter-Jahre waren in Tschechien stets besonders geschichts- und schicksalsträchtig. Begeleiten Sie uns auf dem ersten Teil eines Streifzuges auf den Spuren der Acht.

Präsident Václav Klaus  (Foto: ČTK)
Ob die Acht in der tschechischen Geschichte eine Glücks- oder Unglückszahl ist, das lässt sich nicht leicht entscheiden. Sicher aber ist sie eine Schicksalszahl. Die Zahlenmystik des Jahreswechsels hat sogar Präsident Václav Klaus in seiner Neujahrsansprache nicht „außer Acht“ gelassen:

„Seien wir nicht abergläubisch, aber es beginnt ein Jahr, das eine Acht am Ende trägt. Auch wenn dahinter nur ein Zusammenspiel von Zufällen steht: Im 20. Jahrhundert haben sich die Ereignisse, die uns am meisten beeinflusst haben, gerade in diesen Jahren abgespielt.“

1938, 1948, 1968 - drei Schicksalsjahre des 20. Jahrhunderts haben den Tschechen zuletzt die Furcht vor der Acht gelehrt: Münchener Abkommen, kommunistische Machtergreifung und die Niederschlagung des Prager Frühlings - Wendepunkte in der Geschichte des Landes und in den Biographien zahlloser Tschechen. Bedeutende Achter-Jahre lassen sich quer durch die ganze tschechische Geschichte finden, so der Prager Historiker Petr Čornej gegenüber dem Tschechischen Fernsehen:

Prag 1968
„Es fängt an mit dem Jahr 1108, mit der Ermordung der Vršovci, der Konkurrenten der Přemysliden-Dynastie, und es hört auf 1998, als das tschechische Eishockeyteam bei den Olympischen Spielen in Nagano Gold geholt hat.“

Der Sieg ihrer Jungs beim Jahrhundertturnier in Nagano ist inzwischen fixer nationaler Mythos der Tschechen - ein Achter-Jahr, an das man sich gerne erinnert. Das Historiker-Ehepaar Peter Čornej und Ivana Čornejová hat quer durch die Jahrhunderte mehr als vierzig Jahre aus der Achter-Reihe aufgelistet, die in der böhmischen Geschichte tiefe Spuren hinterlassen haben:

„Schicksalsträchtige Achter-Jahre gibt es wirklich jede Menge. 1278 die Schlacht auf dem Marchfeld und der Tod von Přemysl Ottokar II. - der Beginn der 640-jährigen Habsburger-Herrschaft in Böhmen.“

„Die Karlsuniversität hat Epoche machende Achter-Jahre in ihrer Chronik – allen voran das Datum der Gründung am 7. April 1348. Bedeutend ist das Jahr 1348 auch wegen der Gründung der Prager Neustadt.“

Die Reihe lässt sich beliebig fortsetzen: 1618 beginnt mit dem Prager Fenstersturz der Dreiigjährige Krieg, 1848 erschüttert die Revolution auch die Böhmischen Länder, 20 Jahre später, 1868, markiert die Grundsteinlegung zum Nationaltheater einen ersten strahlenden Höhepunkt im erwachenden tschechischen Nationalbewusstsein. Der Mythos der Achter-Jahre ist jedoch vor allem im vergangenen Jahrhundert entstanden, erklärt Oldřich Tůma, der Leiter des Institutes für Zeitgeschichte:

Petr Čornej  (Foto: www.bbc.co.uk/czech)
„Vor allem im 20. Jahrhundert ist es so, dass die für Tschechien besonders bedeutenden Ereignisse in Jahren mit einer Acht am Ende stattgefunden haben. 1918, 38, 48, 68 – nur das kommunistische Regime hat es noch ein Jahr länger geschafft, da hat es mit der Acht nicht geklappt. Aber ansonsten ist die Acht über jedes statistisch-wahrscheinliche Maß hinaus häufig vertreten.“

Die erste Schicksals-Acht des Jahrhunderts ist Tschechien freundlich gestimmt. Während 1908 auch in Böhmen noch das 60-jährige Thronjubiläum des greisen Monarchen Franz Joseph gefeiert wird, geht zehn Jahre später, 1918, aus der zerfallenden Habsburgermonarchie die unabhängige Tschechoslowakei hervor.

„An das Jahr 1918, das Entstehen unseres selbstständigen Staates, erinnern wir uns gerne, denn das war die Geburtsstunde einer freien und demokratischen Gesellschaft im Lande. Es ist gut, dass sich unsere Gesellschaft auch heute mit diesen Worten charakterisieren lässt“,

so Präsident Klaus in seiner Neujahrsansprache 2008. Der Start war für den jungen Staat nicht einfach - innerlich nicht gefestigt, von den Nachbarn bestenfalls reserviert betrachtet, kam wesentliche Unterstützung vor allem von den Siegermächten des Ersten Weltkriegs, von den USA, Frankreich und Großbritannien. Daran erinnerte auch der Staatsgründer und erste Präsident der Tschechoslowakei, Tomáš Garrigue Masaryk, in seiner Ansprache zum 10. Jahrestag der Unabhängigkeit am 28. Oktober 1928:

„Unser Staat ist erneuert worden, weil unser Staatsrecht von den Alliierten anerkannt wurde, weil sich die Nation zu Hause und im Ausland unseren Gegnern und den Verteidigern des alten Regimes tapfer entgegengestellt hat. Wir sind und bleiben den verbündeten Staaten für ihre Hilfe und Freundschaft, die sich auch nach dem Krieg gezeigt hat, dankbar.“

Es war die Halbzeitbilanz der Ersten Republik. Ihr Ende wurde genau zehn Jahre später, 1938, mit dem Münchener Abkommen eingeläutet. Im Glauben, den Frieden in Europa zu retten, lieferten die Verbündeten England und Frankreich die Tschechoslowakei an Hitler-Deutschland aus.

Die Zerschlagung der Tschechoslowakei 1938  (Foto: Wikimedia Commons / PD)
„An das Jahr 1938, das das Ende der Ersten Republik bedeutet, den Verlust der staatlichen Ganzheit und die Vorwegnahme der deutschen Okkupation, erinnern wir uns sehr ungern. Wir sagen zwar, wir wurden verraten, aber wir machen uns für gewöhnlich nur wenig Gedanken darum, ob und in wie weit wir zu dem, was damals geschehen ist, auch selbst direkt oder indirekt beigetragen haben“,

so Präsident Václav Klaus in seiner diesjährigen Neujahrsansprache. In der Geschichte erscheint die Tschechoslowakei 1938 als Spielball der Mächte. Am 1. Oktober 1938 besetzen deutsche Truppen das Sudetengebiet. Im südmährischen Znaim tritt Hitler selbst vor die Bevölkerung, die immer wieder in Heil-Rufe ausbricht.

„Von heute an ist dieses Gebiet endlich und unwiderruflich ein Reichsgau der deutschen Nation! Heil, heil!“

Ein Bunker der tschechoslowakischen Grenzbefestigung
Die tschechoslowakische Armee zieht sich beim Einmarsch der Deutschen kampflos aus ihren gut ausgebauten Verteidigungsstellungen zurück, es fällt kein einziger Schuss - bis heute ein nicht überwundenes Trauma der tschechischen Geschichte. Gefällt hat die Entscheidung der Armeegeneral Jan Syrový, der im Herbst 1938 die tschechoslowakische Regierung führte:

"Ich durchlebe die schwierigsten Augenblicke meines Lebens, denn ich erfülle eine so schmerzhafte Aufgabe, dass es leichter wäre zu sterben. Wir hatten die Wahl zwischen verzweifelter und aussichtsloser Verteidigung, die die Opferung nicht nur der gesamten erwachsenen männlichen Generation, sondern auch von Kindern und Frauen bedeutet hätte. Und zwischen der Annahme der Bedingungen, die in ihrer Rücksichtslosigkeit ohne Beispiel in der Geschichte sind. In tiefer Erregung haben alle Staatsführer gemeinsam mit der Armee und dem Präsidenten alle Möglichkeiten, die uns verblieben, abgewogen. Sie einigten sich darauf, dass in der Wahl zwischen einer Grenzverkleinerung und dem Untergang des Volkes es die heilige Pflicht ist, das Leben unseres Volkes zu erhalten."

Soweit der erste Teil unseres Streifzuges durch die Achter-Jahre in der tschechischen Geschichte. Das Jahr 1938 ist aber bei weitem nicht das letzte tschechische Schicksalsjahr, das mit dieser Ziffer endet. Mehr dazu erfahren Sie in einem zweiten Teil dieser Sendung in einem der kommenden Kapitel aus der tschechischen Geschichte.