Traditionelle Reaktionen auf traditionelle Neujahrsrede
Mit der langjährigen Tradition der Neujahrsrede des tschechischen und früher auch tschechoslowakischen Staatsoberhauptes hängt noch eine andere zusammen. Nämlich die Tradition der politischen Parteien, auf die Ansprache des Präsidenten zu reagieren, sie zu analysieren, sprich zu sezieren, aufs Korn zu nehmen und letztendlich ein Urteil zu fällen - entsprechend der Position in der politischen Landschaft.
„Der Herr Präsident ist offenbar nicht in der Lage, einen Dialog mit der Gesellschaft zu führen. Als ob er vor der Präsidentschaftswahl Angst hätte, seine Ansichten, die in der Gesellschaft als kontrovers empfunden werden, offen zu sagen. Es scheint mir, dass Václav Klaus und die Demokratische Bürgerpartei (ODS), deren Ehrenvorsitzender er ist, eine unbestreitbare Hürde für die Entwicklung des Landes darstellen.“
Ebenso kritisch, aber wesentlich zurückhaltender war in seinen Äußerungen der kommunistische Parteichef, Vojtěch Filip (KSČM). In der Neujahrsrede des Präsidenten hätten Emotionen über politische Themen die Oberhand gewonnen. Außerdem habe sie viele Widersprüche enthalten, die er von einem logisch denkenden Václav Klaus nicht erwartet hätte. Zum Beispiel:„Er sagte, dass die Wirtschaftsreform notwendig sei und dass die Tschechen in der bisher wohl besten Zeit ihrer Geschichte leben. In dieser Aussage fehlt ein bisschen mehr Logik, weil sich die Situation für unsere Bürger wesentlich verschlechtert.“
Auch der Behauptung des Präsidenten, hinter den steigenden Lebensmittelpreisen sei die zunehmende Nutzung des Ackerbodens für die Produktion von Biobrennstoff zu suchen, konnte sich Filip nicht anschließen. Polemisch auf die, wie es buchstäblich hieß, „nicht wissenschaftlich fundierte“ Meinung des Präsidenten reagierte auch die Fraktionschefin der Koalitionspartei der Grünen Katerina Jacques:
„Es ist natürlich bekannt, dass der Preisanstieg bei Lebensmitteln auf andere Faktoren zurückzuführen ist, vor allem auch auf die Tatsache, dass es hierzulande Hunderttausende Hektar brachliegenden Ackerbodens gibt.“
„Staatsmännisch“ - so die Einschätzung der Präsidentenrede durch seine Mutterpartei ODS. Das darin enthaltene Appell, die Geschichte aktiv mitzugestalten anstatt passiv zuzuschauen, hob zum Beispiel die bürgerdemokratische Vizevorsitzende des Abgeordnetenhauses, Miroslava Němcová, hervor. Kurzum, wie gewöhnlich hörte auch diesmal jeder vor allem das, was er hören wollte und was in sein Konzept passt, oder auch nicht. Der Kommentator des Tschechischen Rundfunks, Petr Nováček, fasst zusammen:
„Die Rede wurde deutlich mit dem Ausblick auf die Präsidentschaftswahl geschrieben, die am 8. Februar beginnt. Die Sätze sind so formuliert worden, dass die Nation begreift, dass ein weiser und bedachter Präsident an ihrer Spitze steht und sie kaum einen noch besseren haben kann. Der Präsident sprach auch so, dass keine der Parlamentsparteien sich durch seine Rede beleidigt fühlt.“