Aus dem Archiv: Gespräch mit dem Meisterkomponisten Petr Eben
Der Komponist, Musikpädagoge und Meister der Klavierimprovisation Petr Eben war ein leidenschaftlicher Förderer der zeitgenössischen Musik und hat selbst mehr als 170 Kompositionen verschiedener Genres komponiert – Oratorien, Kammermusik, Orgelkonzerte oder Kompositionen für Orchester und Chöre. Viele von ihnen werden auch oft im Ausland gespielt.
„Ich kam nach Prag nach der Matura mit einem Kopf voller Pläne. Der Hauptgrund war natürlich mein Studium. Ich habe damals schon die Orgel und das Klavier gespielt, auch komponiert, und am liebsten hätte ich auch dirigiert. Das alles wollte ich studieren, aber natürlich musste ich mich doch auf etwas beschränken. Und so habe ich Komposition und Klavier studiert. Prag war für mich natürlich mehr als ein Ort meines Studiums. Ich glaube, ich hatte eine gute Vorschule. Meine ganze Jugend habe ich in Cesky Krumlov (Krumau) verbracht. Das ist eine wirklich bezaubernde mittelalterlich Stadt mit engen Gässchen und ich habe mich schon dort daran gewöhnt, sozusagen mit hoch erhobenem Kopf auf den Himmel und dem Blick gerichtet auf die Renaissancegiebel der Häuser und all die Türme, durch die Stadt zu gehen. Prag war dann eine wunderbare Fortsetzung der gotischen und insgesamt mittelalterlichen Inspirationen.“
In den Jahren 1948 – 1954 studierte Eben an der Prager Akademie der Musischen Künste Klavier und Komposition. Eine Zeitlang beschränkte er sich als Pianist auf die Begleitung von Sängern und Intrumentalisten. Später kam noch seine pädagogische Tätigkeit an der Philosophischen Fakultät der Karlsuniversität hinzu. Die Oberhand gewann aber letzten Endes das Komponieren. Was hat ihn in seinem Werdegang beeinflusst?
„Wenn ich an die Einflüsse zurück denke, die für meinen ganzen Lebensweg und mein Werk ausschlaggebend waren, so denke ich, dass es eher die verschiedenen Fächer der Kunst waren, die auf mich stark gewirkt haben. Schon die mittelalterlichen Inspirationen, die ich in Cesky Krumlov und in Prag vorfand, haben auch mein Interesse für die mittelalterliche Musik hervorgerufen. Ganz stark ausgeprägt fühlte ich mich von der böhmischen Folklore beeinflusst, die besonders reich und inspirierend ist. Und nicht zukletzt war es auch die Literatur.“
An dieser Stelle muss besonders ein Name genannt werden: Rainer Maria Rilke. Zu diesem Dichter hatte der Komponist, wie er selbst sagt, bereits in seiner Kindheit eine tiefe innige Beziehung:„Ich habe ihn schon als Fünfzehnjähriger vertont und bin später zu seinen texten zurückgekommen. Ich möchte aus einem Lied zitieren, das vieles von Rilkes Bezogenheit zu der Prager Kultur und zu Böhmen überhaupt aussagt. Das ist das schöne Gedicht ´Mich rührt so sehr böhmischen Volkes Weise, schleicht sie ins Herz sich leise, macht sie es schwer. Wenn ein Kind sacht singt beim Kartoffeljäten, klingt dir sein Lied im späten Traum noch der Nacht. Magst du auch sein weit über Land gefahren, fällt es dir doch nach Jahren stets wieder ein´.“
Das umfangreiche Werk Petr Ebens weist ein ganzes Spektrum von Inspirationsquellen auf und mit Ausnahme der Oper sind darin alle Genres der ernsten Musik vertreten. Einem von ihnen widmete sich Petr Eben mit besonderer Vorliebe – dem Vokalschaffen. Auf die Frage, warum er so gerne Musik und Text miteinander verbinde, antwortete Eben:„Das hängt, glaube ich, damit zusammen, dass ich, ebenso wie eine Reihe anderer Komponisten, die Musik als eine Botschaft ansehe. Als etwas, das man möglichst konkret mitteilen möchte. Da die Musik so vieldeutig ist, kann jeder einen Inhalt in sie implizieren, aber doch ist die Sehnsucht des Komponisten groß, sich mit einem ganz konkreten Inhalt an die Hörer zu wenden. Und das ermöglicht ihm eben die Vokalmusik, weil er keine weiterführenden Wort zur Komposition geben muss, denn sie sich im vorhandenen Text schon erhalten. Wenn sie der Hörer gut anhört und verfolgt, so hat er gleichzeitig auch schon die Auslegung der Komposition vor sich.“
Petr Eben ließ sich nicht nur von tschechischen Texten inspirieren. Sein Oratorium „Apologia Sokratus“ basiert beispielsweise auf Platons griechischem Originaltext. Die griechische Sprache erschien Eben besonders klangvoll und als geradezu zur Vertonung verlockend zu sein. Es war ihm aber auch ein Anliegen, seiner Beziehung zu Prag musikalisch Ausdruck zu verleihen. Hier zunächst eine Liebeserklärung Petr Ebens an Prag, die gleichzeitig als Ausdruck eines für ihn so charakteristischen tiefen Humanismus zu verstehen ist:
„Wenn man bedenkt, wie viele Dichter schon Verse über Prag geschrieben haben, so ist auch der Komponist im magischen Zauber, im Bann von Prag eingefangen, wenn er so durch die Straßen geht, wandelt sich ihm eigentlich jeder Stein in einen Akkord. Es genügt, wenn der Autor in eine der historischen Büchereien eintritt, und schon umgibt ihn eine ganz phantastische vergangene Welt. Mir ist es auch so ergangen, als mir ein wertvolles altes Buch des Prager Glockengießers Vavrinec Kricka aus Bityska in die Hände kam. Kricka verkehrte am Hof Rudolfs II. Der Buchtitel lautet: ´Anleitung zur Vorbereitung und zum Gießen von Geschützen, Kanonen, Kugeln, Mörsern, Glocken und Springbrunnen. Ich habe mich entschlossen als ersten Satz der Kantate Pragensia Krickas Rezeptur, wie man Feuerkugeln macht, zu vertonen. Dieser Satz ist voll von Rauch und Schwefel, es donnern die Geschosse in Trommelklängen und hie und da flammt ein Trompetensignal auf.“
Nach dem Kanonendröhnen des 1. Satzes seiner Kantate kommt in den zwei nachfolgenden Sätzen die Bitte um Frieden und eine Arznei gegen die Probleme der Welt: Hungersnot, Krankheiten und Alter. Petr Eben beschreibt es mit folgenden Worten:
„Ich wollte aber aus diesen Texten durchaus nicht nur ein Mosaik von historischen Genrebildern machen. Es ging mir um einen solchen Inhalt der Komposition, der für immer lebendig bleibt und auch in unserer Zeit eine aktuelle Sprache redet. Immer ist der Mensch gefährlich, der bis an die Zähne bewaffnet ist, und immer wird auch die Glocke gegen ihn zum Alarm läuten und ihre Stimme ins weite Land entsenden - mit einer großen Bitte um Frieden. Als Kontrast zum kriegerischen Satz von den flammenden Kugeln, die Städte entzünden sollen, als weiteren Text Krickas Anleitung zum Glockengießen gewählt. So entstand der Satz „Da pacem, Domine, in diebus nostris“, der durch die Stimmen der Glocken um Frieden in unseren Tagen bittet.“
Im 3.Satz der Kantate richtet sich der Fokus auf das alchemistische Milieu von Prags des Rudolf II. Den Inhalt beschreibt Petr Eben mit folgenden Worten:
„Während im 1. Satz die Kanonen dröhnen und im 2. Satz die Angst und die Sehnsucht der Menschen nach Frieden die Glocke schwingen lässt, erhebt sich im 3. Satz noch eine andere Sehnsucht so alt wie die Menschheit selbst: Die Arznei gegen Armut, Krankheit und Alter zu finden.“