Ein Buch und viele Geschichten - Codex gigas kommt nach Prag

Biblia del Diablo

Wer das größte von Hand geschriebene Buch der Welt sehen möchte, kann dies in Prag in den nächsten Monaten tun. In einer Sonderausstellung zeigt wird die Nationalbibliothek den so genannten Codex gigas präsentieren. Das gigantische Buchwerk ist etwa 800 Jahre alt, 75 Kilo schwer und fast einen Meter hoch. Um die 624 Seiten zu entziffern, ist es leichter sich auf das Buch zu legen, statt es in die Hand zu nehmen. So ungewöhnlich wie die Maße des Werkes ist die Geschichte um seine Entstehung. Der Codex gigas, der auch Teufelsbibel genannt wird, hat nämlich trotz seiner ausgesprochenen Unhandlichkeit viele Wege in den vergangenen Jahrhunderten zurückgelegt.

Kriegsbeute, Schatz und achtes Weltwunder - das größte handgeschriebene Buch der Welt, der Codex gigas, besaß zu allen Zeiten einen besonderen Wert. Die Sonderausstellung der Nationalbibliothek ist ein Höhepunkt in der Geschichte des Buches, denn es kehrt als Leihgabe für einige Monate nach Prag zurück. Seine Heimat ist jedoch seit fast 360 Jahre in Stockholm. Politische Bemühungen von Staatsvertretern aus Tschechien und Schweden haben es ermöglicht, dass sich der Kreis der 800-jährigen Geschichte des Buches in den nächsten Wochen schließen wird. Zdenek Uhlir, Experte für mittelalterliche Handschriften der tschechischen Nationalbibliothek, erklärt die Besonderheit des Kodex:

"Schon im Mittelalter wurde er als eines der Weltwunder angesehen. Im Codex gigas selbst findet sich eine Niederschrift des Abtes des Prager Klosters Brevnov, Pavel Bavor aus Nectin, der das Buch bereits Ende des 13. Jahrhunderts zu den sieben Weltwundern gezählt hat."

Zdenek Uhlir
Im Mittelalter entstehen mehrere solcher Riesenbibeln, und das vor allem im italienischen und deutschen Raum. Der Codex gigas sprengt jedoch mit einem Umfang von insgesamt 312 Pergamentfolien, die aus über 150 Tierhäuten gewonnen werden mussten, alle bis dahin bekannten Dimensionen. Die außergewöhnlichen Größe und die Machart des Werkes entgingen auch den Augen der schwedischen Soldaten bei ihrem Siegeszug durch Prag nicht und so nahmen sie den Kodex 1648 als Kriegsbeute für die Königin Schwedens mit. Zdenek Uhlir:

"Die Schweden erbeuteten während des Dreißigjährigen Krieges und weiteren Kriegsaktionen viele Kulturgüter aus Mitteleuropa, von denen ein Großteil in der königlichen Nationalbibliothek in Stockholm untergebracht sind."

Doch selbst in den königlichen Schlossgemäuern ist der Codex gigas in Folge vorerst nicht in Sicherheit. Als im Jahr 1679 das Schloss lichterloh brennt, kann das Buch nur durch einen beherzten Wurf aus dem Fenster gerettet werden.

Im Jahr 1792 berichtet der tschechische Sprachwissenschaftler Josef Dobrovsky, dass er bei seiner Reise nach Schweden und Russland einen der ältesten Teile des Kodex, die "Chronik von Böhmen" des Chronisten Kosmas aus Prag, lesen konnte:

"Der Prager Bibliothekar Ungar bat einen schwedischen Gelehrten, dass er die Kosmas-Chronik mit jener vergleichen dürfe, die sich dort unter den schwedischen Schriften finden ließe, doch seine Bitte blieb unerfüllt. Erst ich habe hier vor Ort mit dieser anstrengenden Arbeit begonnen."

Womöglich ist es jener ältesten Chronik Böhmens, die vom Anfang des 12. Jahrhundert stammt, auch zu verdanken, dass der wissenschaftlich interessierte Kaiser Rudolf II. auf das Buch aufmerksam wurde. Im Jahr 1594 ließ er es von seinem bisherigen Bestimmungsort, dem Benediktinerkloster in Broumov, auf die Prager Burg bringen. Dort findet es seinen Platz unter den ausgewählten Raritäten aus ganz Europa, die zu den kaiserlichen Schätzen gehören, wie Zdenek Uhlir erklärt:

"Wir können voraussetzen, dass ein solches Buch aus jener Zeit, ein solcher Band, ein Kodex, etwa den Wert eines ganzen Dorfes hatte."

Dieser hohe materielle Wert, aber auch seine Einzigartigkeit machte den Codex gigas zu einem der begehrtesten Bücher des Mittelalters. Der Umfang des Inhaltes lässt sich mit der einer ganzen Bücherei vergleichen. Außer der Kosmas-Chronik, dem Alten und Neuen Testament umfasst der Riesenkodex älteste Zusatztexte zur Bibel, Bekenntnisschriften aus dem 6. Jahrhundert, Kalender und Regel der Benediktiner und weitere Texte, die in ihren Ausführungen einzigartig sind. Dazu gehören auch die Abbildung des Himmlischen Jerusalems sowie die Abbildung eines doppelzüngigen Teufels, die schon zu zahlreichen Spekulationen über die Entstehung des Buches und zur Bezeichnung "Teufelsbibel" geführt hat.

Der Bezeichnung liegt die Legende zugrunde, dass das Buch von einem Mönch in einer Nacht geschrieben worden sei. Um das außergewöhnliche Vorhaben zu vollbringen und sich auf diese Weise von seinen Sünden zu befreien, habe der Mönch den Teufel zu Hilfe gerufen.

Zdenek Uhlir begründet die Entstehung des Codex gigas in dem Benediktinerkloster Podlazice bei Chrudim hingegen eher mit dem abnehmenden Einfluss der Benediktiner:

"Der Codex gigas ist gerade in der Auswahl der Dinge, die vorliegen, ein Beispiel des Widerstandes dieser traditionellen Mönche. Sie lehnten sich gegen die neuen Formen des kirchlichen Lebens, wie es die Dominikaner und Franziskaner pflegten, und auch gegen das weltliche Leben auf."

Den langsamen Niedergang des Benediktinerordens konnte der Codex gigas nicht aufhalten, aber er bleibt Zeugnis der großen Leistung seines Schreibers. Dieser muss den Kodex als eine Art Lebenswerk angesehen haben. Zehn Jahre lang arbeitete er an dem Buch mit dem Ergebnis, dass es bis heute kein handschriftliches Werk vergleichbarer Größe gibt. Die Ausstellung in Prag trägt diesem besonderen Erbe tschechischer Geschichte Rechnung und lädt zu Recht zu einem besonderen Ereignis ein. Zu sehen ist die Ausstellung in den Räumen der Nationalbibliothek, sie startet am 20. September und wird bis zum 6. Januar kommenden Jahres dauern.

Autor: Anne Lungova
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