Dalimil-Chronik und ihre lateinische Übersetzung

Dalimil-Chronik

In ihrer Entstehungszeit hatte sie den Wert von einem kleineren Herrschaftsgebiet, etwa von einer Burg mit ein paar Dörfern in der Umgebung. Heute hat der tschechische Staat 10 Millionen Kronen (umgerechnet etwa 340.000 Euro) dafür bezahlt: Eine mittelalterliche Chronik, die die tschechische Geschichte auf Latein erzählt. Sie ist im Frühling dieses Jahres in Paris aufgetaucht und hat unter tschechischen Historikern und Kunsthistorikern für große Überraschung und Begeisterung gesorgt. Über die Bedeutung dieser lateinischen Übersetzung, aber auch über das ursprüngliche, tschechische Original der so genannten Dalimil-Chronik aus dem 14. Jahrhundert hören Sie mehr im folgenden Kultursalon.

Eine Nachricht aus Paris hat im Frühjahr die tschechischen Historiker und die Öffentlichkeit in große Aufregung versetzt. In einem Auktionshaus tauchte ein reich illustriertes lateinisches Fragment der tschechischen Vers-Chronik aus dem 14. Jahrhundert, der "Chronik des so genannten Dalimil" auf. Jahrelang lag das Werk, von dessen Existenz niemand etwas ahnte, unbeachtet bei einer Pariser Familie, bis es nun Vertreter der tschechischen Nationalbibliothek in einer Versteigerung für den tschechischen Staat erwarben. Über seine Gefühle nach Bekanntwerden der sensationellen Nachricht spricht der Leiter der Handschriftenabteilung der Nationalbibliothek, Zdenek Uhlír:

"Als ich davon zum ersten Mal gehört habe und die erste Kurzbeschreibung bekam, war ich innerlich erregt. Es sah so aus, dass es sich um eine Adaptation der Dalimil-Chronik handelt, von der man bisher gar nichts wusste. Das Manuskript hat insgesamt 12 Blätter, 24 Seiten. Eine Hälfte davon sind Illustrationen und die andere Textseiten. Als ich den Text gelesen habe, kam er mir, einem Menschen, der einige Artikel über die Dalimil-Chronik geschrieben und das Werk mehrere Male gelesen hat, sehr bekannt vor. Es dauerte kaum eine halbe Stunde und ich stellte fest, dass es sich um eine getreue Übersetzung der Dalimil-Chronik ins Lateinische handelt."

 Zdenek Uhlír  (Foto: Jana Sustova)
Nach der ersten Begutachtung durch französische und tschechische Kunsthistoriker wurde festgestellt, dass das Manuskript aus Oberitalien, d.h. z. B. aus Bologna, Padua oder Venedig, stammt. Es soll in einer dortigen Illuminationswerkstatt in den 30er oder 40er Jahren des 14. Jahrhunderts verfasst worden sein, also in der Zeit, als sich dort Karl IV., damals noch nicht Kaiser, sondern Thronanwärter, aufhielt. Hat der junge Prinz die Anfertigung der Übersetzung in Auftrag gegeben? Diese Hypothese wurde bereits in den Raum gestellt, eine Antwort werden die Wissenschaftler aber erst geben müssen.

Die "Chronik des so genannten Dalimil" ist das älteste Werk der böhmischen Geschichtsschreibung in tschechischer Sprache. Sie entstand um das Jahr 1310, wobei alle anderen früheren und zeitgenössischen Chroniken ausschließlich in Latein geschrieben wurden. Dargestellt ist darin die Geschichte von der Sintflut bis zur Wahl von Johann von Luxemburg zum böhmischen König. Eben zur Regierungszeit dieses Luxemburgers ist das Werk auch entstanden. Die Chronik ist in Versen geschrieben, was als Beleg gilt, dass sie eher für das laute Vorlesen als für individuelles Blättern bestimmt war. Bisher ist es nicht gelungen, den Autor des Geschichtswerkes zu bestimmen, der wohl zum böhmischen Adel gehörte. Die Bedeutung der Chronik liegt nicht nur darin, dass es sich um eines der ältesten tschechischen literarischen Werke handelt, sondern auch darin, dass sie die Interessen des böhmischen Adels zum ersten Mal in einer geschlossenen Form zum Ausdruck bringt. Die Geschichte wird aus der Perspektive des Adelsstandes beschrieben: der entscheidende Faktor in der Geschichte sei die Landesgemeinde, d.h. der Landesadel, der mit der königlichen, staatlichen Macht konkurriert.

Dalimil-Chronik
Von der Existenz der lateinischen Übersetzung hat man bis zum Frühling 2005 nichts geahnt. Bekannt waren allerdings zwei deutsche Übersetzungen. Eine in Versen, etwa aus den Jahren 1342-46, und eine in Prosa, aus der Hussitenzeit. Zdenek Uhlír:

"In unserem Fall kommt also ein Vergleich mit dem älteren deutschen Text in Frage, sowie ein allgemeiner Vergleich der drei Sprachmutationen - des tschechischen Originals, der lateinischen und der deutschen Übersetzung. Schon jetzt ist eine Sache klar: die lateinische Übersetzung ist sehr originaltgetreu. Der Text erinnert an Verse. Der lateinische Übersetzer hat tatsächlich einen Vers nach dem anderen übersetzt und jeden in eine neue Zeile geschrieben. Man kann allerdings nicht sagen, dass es sich um Verse im Sinne der lateinischen Prosodie handelt. Im Lateinischen herrscht kein Prinzip des Metrums und des Rhythmus, sondern jeder Versfuß muss eine feste Struktur haben. Eine solche Struktur findet man in diesem Fall nicht. Diese Übersetzung sieht visuell wie eine poetische aus, sie steht aber in Prosa."

Dalimil-Chronik  (Kopie)
Die lateinische Übersetzung findet zahlreiche Parallelen in der deutschen Versübertragung aus den 40er Jahren des 14. Jahrhunderts. Die Verwandtschaft sei so stark, dass sie beweise, dass noch weitere tschechische Handschriften existiert haben müssen, die sich nicht bis heute erhalten haben, stellt Zdenek Uhlír fest. Und er betont noch einen Aspekt:

"Wir haben hier einen Beleg des tschechisch-deutsch-lateinischen Trilinguismus, der ganz deutlich ist. Man kann also nicht sagen, dass die Vorstellung über einen solchen Trilinguismus eine Erfindung moderner Kosmopoliten, moderner Globalisten wäre, was immer noch einige denken, sondern dass er in der Vergangenheit eine normale Tatsache war."

Der Kunsthistoriker Vít Vlnas von der Nationalgalerie spricht von der Bedeutung der Chronik nicht hinsichtlich des Textes und Inhalts, sondern hinsichtlich der reichen Illustrationen:

"Keines der Manuskripte der Dalimil-Chronik, die im Mittelalter entstanden sind, ist illuminiert. Interessant ist daran unter anderem gerade, dass die Illuminationen tschechischer Handschriftenchroniken sehr bescheiden sind. Dies wäre das am prächtigsten ausgestattete Manuskript eines tschechischen Chronikwerkes überhaupt."

Direktor der Nationalbibliothek,  Vlastimil Jezek  (Foto: Jana Sustova)
Nach ihrer Ankunft in Tschechien wurde die Chronik zunächst der Öffentlichkeit gezeigt. In den vergangenen zwei Wochen wurde sie zusammen mit anderen Exemplaren ausgestellt, die in Tschechien zur Verfügung stehen. Dabei handelt es sich um einige Bruchteile und tschechische Kopien der ursprünglichen Dalimil-Chronik sowie eine Abschrift aus dem 15. Jahrhundert. Das Original der Dalimil-Chronik aus der Zeit um 1310 befindet sich zurzeit in Cambridge. Nach der Öffentlichkeit sind nun Experten an der Reihe, die Chronik zu begutachten, sagt der Direktor der Nationalbibliothek, Vlastimil Jezek.

"Es gibt zwei Gruppen von Experten. Die einen werden eher die Texte erforschen. Die anderen werden sich mit den Illuminationen befassen und versuchen zu entschlüsseln, wer ihr Autor ist. Sollte dies gelingen, würde der Wert dieses Fragments meiner Meinung nach mindestens um das Zehnfache steigen. Ich glaube daran, dass es gelingt, zumindest die Schule zu finden, in der die Illuminationen entstanden sind."

Nach der nun bevorstehenden Erforschung werden die sechs vollständigen und fünf fragmentarischen Kapitel ihrer lateinischen Übertragung hinter dem Schloss eines Tresors verschwinden. Der Öffentlichkeit und den Forschern werden sie allerdings in digitalisierter Form zur Verfügung stehen.

www.klementinum.cz

www.nkp.cz

www.memoria.cz