Neuer Schwung für geschichtsbelasteten Ort: Internationales Musikzentrum Theresienstadt

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Konzentrationslager, Gedenkstätte - das sind die Begriffe, die Menschen aus dem deutschsprachigen Raum am ehesten mit dem nordböhmischen Theresienstadt, auf Tschechisch Terezin verbinden. Im Ort selbst spürt man vor allem eins: die schwere Last der Geschichte. Doch nun wurde ein weiterer Schritt getan, um Theresienstadt zurück in die Gegenwart zu holen. Ausgangspunkt ist dabei die Musik.

Mit Musik begann es, und zwar einer Aufführung von Haydns Stabat Mater. Die Camerata Filarmonica Bohemia spielte und neben den Solisten sangen drei Chöre, und zwar aus Tschechien, aus dem sächsischen Freiberg und aus Paris. Auf diese Weise präsentierte sich am 10. und 11. April erstmals öffentlich das Internationale Musikzentrum Theresienstadt, auf Englisch Terezin International Music Centre. Die Präsentation fand im Übrigen nicht irgendwo statt. Vor Ort natürlich auch, aber für das zweite Konzert stellte sogar der tschechische Senat seine Räumlichkeiten in Prag zur Verfügung.

Dass die Eröffnung eines Musikzentrums in einem kleinen Ort wie Theresienstadt eine Angelegenheit von Staatsinteresse sein kann, hängt natürlich mit der Geschichte zusammen. So sagte der Senator und Minister für europäische Angelegenheiten, Alexandr Vondra, in seiner Ansprache vor dem Einweihungskonzert im Senat:

"Theresienstadt ist einer der wenigen Orte in unserem Land, den - im Guten wie im Bösen - die ganze Welt kennt. Es ist ein Ort, den jedes Jahr Zehntausende oder Hunderttausende Ausländer besuchen, um die dortige Gedenkstätte zu besuchen und an eine der größten Tragödien der Menschheit zu erinnern - den Holocaust."

Vondra wies also auf die Zeit hin, als die Nazis aus dem Ort ein Konzentrationslager machten und die dortige Kleine Festung ein Gefängnis der Gestapo war. Als hier 35.000 Juden starben und weitere rund 90.000 in Vernichtungslager deportiert wurden. Also darüber, wie aus dem Ort des Militärs, als der Theresienstadt unter Kaiser Joseph II. angelegt worden war, ein Ort des Grauens wurde.

Die Besucher, die tagsüber kommen, sind aber schnell wieder weg. Zurück bleibt die Stadt, wie sie heute ist und wie sie Bürgermeister Jan Hornicek beschreibt:

"In der heutigen Zeit leben nicht einmal 2000 Menschen in Theresienstadt, wir haben vier oder fünf Restaurants. Davon sind vielleicht zwei auf der Höhe der Zeit, die übrigen sind Bierstuben. Für das heutige Leben sind dort viel zu wenig Menschen. Unternehmer können sich nicht über Wasser halten. Eigentlich müssen wir mehr Bewohner in die Stadt bekommen. Weil die Armee weggegangen ist, steht ein Drittel der Stadt leer."

Noch vor dem Zweiten Weltkrieg sah es dabei ganz anders aus. Bürgermeister Jan Hornicek zitiert die Beschreibungen seines Vaters und seiner Verwandten:

"Alle haben sich daran erinnert, dass Theresienstadt einem Kurort ähnelte. Eine Stadt voller Grün und außergewöhnlich gepflegt. Es gab viele große Parks, Restaurants, Kaffeehäuser. In der Stadt lebten rund 7000 Leute und es wurde gelebt. Jeden Tag gab es Militärparaden auf dem städtischen Platz, Wachwechsel. Der Ort hatte sein militärisches Leben, aber genauso auch das zivile."

Die tschechische Armee, das war im Übrigen der letzte große Arbeitgeber von Theresienstadt. 1996 zog das Prager Verteidigungsministerium die Truppen von hier ab. Seitdem sind die Last der Geschichte und die momentane Leere noch bedrückender geworden. Allerdings: Dass die Armee nicht zurückkommen wird, ist ja vielleicht auch gut nach der ganzen gewalttätigen Geschichte, die sich hier abgespielt hat.

Gideon Klein, dessen Trio wir gerade hörten. Hans Krasa, Viktor Ullmann. Es sind die Namen von Komponisten, die in Theresienstadt während des Holocaust ums Leben kamen. Die Gründung des Internationalen Musikzentrums bezieht sich auf ihre Tragödie, wie sein Leiter, Tomas Kvetak, sagt:

"Theresienstadt ist eine sehr bekannte Stadt, nach Prag wohl die zweit bekannteste im Land. Und gerade weil hier während des Holocausts viele Künstler eingesperrt waren, die Menschen unter Lebensbedrohung standen und zugleich Professoren Vorträge hielten, Musik komponiert und gespielt wurde wie zum Beispiel die bekannte Oper Brundibar, wollen wir an die Tradition anknüpfen. Wegen des Bekanntheitsgrades von Theresienstadt wollen wir Menschen hierher führen, die heute Kunst machen, die heute Musik machen."

Wie Kvetak weiter erläutert, sollen dabei Geschichte und Kunst zusammen Bildungscharakter haben, und zwar:

"Dadurch, dass wir gerade junge Leute nehmen. Dass sie sich den historischen Zusammenhang der Musik bewusst machen. Und dass auf Hintergrund des Leides in Theresienstadt eine neue Generation heranwächst, voller Humanität und Toleranz."

Hehre Ziele also für ein Kulturprojekt in einer Kleinstadt. Allerdings ist das Musikzentrum Teil eines größeren Ganzen. Und zwar der Erneuerung der Gemeinde Theresienstadt, so dass hier später ein großes Kultur-, Sport- und Bildungszentrum entsteht. Sogar eine Universität soll aufgebaut werden, die Federführung hierbei hat der ehemalige Rektor der Prager Karlsuniversität, Ivan Wilhelm. Alles in allem ist dies eine große Sache. Wie groß, das verraten die Zahlen. Sage und schreibe 7,5 Milliarden Kronen (rund 260 Millionen Euro) soll die ganze Angelegenheit kosten. Aus dem tschechischen Staatshaushalt kommen die Gelder, und die Europäische Union soll angezapft werden. Alte Bekannte wie der Deutsch-tschechische Zukunftsfonds sind ebenso dabei.

"Wir glauben, dass Theresienstadt in fünf bis sieben Jahren nicht mehr wiederzuerkennen sein wird, mit einem Kultur- und Bildungszentrum", so Tomas Kvetak.

Eine sehr optimistische Vorstellung ist das allemal. Der Aufbau des Internationalen Musikzentrum wurde beispielsweise bereits 2004 angegangen. Bisher ist man immer noch in einer sehr frühen Phase. Das heißt, in der nächsten Zeit sind hier vor allem Gastseminare anderer Universitäten geplant. Kurse von ein oder zwei Wochen Länge. Immerhin bestehen bereits die Kontakte zu sechs Universitäten, unter ihnen Tel Aviv, Madrid und Florenz. Bürgermeister Jan Hornicek glaubt aber, dass vor allem der Anfang schwer ist.

"Die weiteren Schritte werden dann mehr oder weniger wie von alleine gehen", sagt Hornicek.

Bleibt zu hoffen, dass er Recht behält.

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