Die Auseinandersetzung über das "Institut für das nationale Gedächtnis" in Tschechien

Schon seit einigen Jahren diskutieren Politiker, Historiker, Publizisten und Archivare in Tschechien kontrovers über die Gründung eines "Instituts für das nationale Gedächtnis". Diese Einrichtung soll die Zeit des Kommunismus in der Tschechoslowakei zwischen 1948 und 1989 aufarbeiten. Ein Gesetzesvorschlag des tschechischen Senats zur Gründung des Instituts konnte im Abgeordnetenhaus bisher aber noch nicht verabschiedet werden. Die dritte und entscheidende Lesung steht unmittelbar bevor. Unterschiedliche Ansichten gibt es zum Beispiel darüber, welche Aufgaben das Institut übernehmen soll, ob die zu behandelnde Periode nicht auch die Zeit der deutschen Besatzung mit einbeziehen sollte und ob in der Leitung des Instituts auch Kommunisten sitzen dürfen. Es gibt auch zahlreiche Stimmen, die den Sinn einer solchen Institution generell anzweifeln. In unserem heutigen Geschichtskapitel mit Andreas Wiedemann geht es also um den Umgang mit der jüngsten Vergangenheit in Tschechien.

Der kommunistische Parteiführer und tschechoslowakische Ministerpräsident Klement Gottwald verkündete am 25. Februar 1948 auf dem Altstädter Ring in Prag, dass Präsident Edvard Benes alle seine Forderungen angenommen habe. Das markierte den Beginn der kommunistischen Alleinherrschaft in der Tschechoslowakei, die bis 1989 dauerte.

Seit einigen Jahren wird in Tschechien darüber diskutiert, wie und in welcher Form die Zeit der kommunistischen Tschechoslowakei aufgearbeitet werden sollte. In der Slowakei und in Polen gibt es seit Jahren Institute für das nationale Gedächtnis, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Archivdokumente der kommunistischen Sicherheitsorgane systematisch zu bearbeiten und für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Auch in Tschechien soll ein solches Institut entstehen. Die Meinungen darüber, ob eine neue Institution wirklich nötig ist und welche Struktur und Zuständigkeiten sie haben sollte, gehen auseinander. Und das sowohl bei Historikern als auch bei Politikern. Einer der Befürworter des Instituts für das nationale Gedächtnis ist der Historiker Petr Koura:

"Meiner Meinung nach sollte das Institut für das nationale Gedächtnis auf jeden Fall gegründet werden. So eine Institution fehlt hier. Damit wir das Wesen des kommunistischen Regimes kennen lernen und zwar nicht nur seine repressiven Bestandteile, sondern auch die Mechanismen, wie die Gesellschaft beherrscht wurde, die Mechanismen der Angst, wie die Menschen sich vor dem Regime fürchteten und Dinge taten, zu denen sie gezwungen wurden."

Petr Blazek
Ein Einwand, der gegen die Gründung eines neuen Instituts vorgebracht wird, ist die Tatsache, dass es bereits mehrere Institutionen in Tschechien gibt, die sich mit zeitgeschichtlicher Forschung beschäftigen, so zum Beispiel das Institut für Zeitgeschichte der Akademie der Wissenschaften oder das Amt zur Dokumentierung und Untersuchung der kommunistischen Verbrechen. Wieso sollte die Aufarbeitung der Zeit zwischen 1948 und 1989 nicht dort geleistet werden? Petr Koura:

"Ich meine, dass die Institutionen, die sich bisher an der Erforschung des kommunistischen Regimes beteiligt haben, nicht alle Fragen ganz beantwortet haben, die mir in den Sinn kommen. Daher wäre ich froh, wenn es eine Institution gäbe, die sich diesen Fragen widmet."

Schützenhilfe erhält er von dem Historiker Petr Blazek:

"Das Institut für das nationale Gedächtnis als Einrichtung, welche die Dokumente des Repressions- und des Sicherheitsapparates zugänglich machen soll und die sich der wissenschaftlichen und der Bildungsarbeit widmen soll, ist meiner Meinung nach notwendig. Der Grund ist die enorme Menge an Material, das der Sicherheitsapparat hinterlassen hat."

Und zur bisherigen Arbeit der anderen zeithistorischen Institute sagt er:

"Das Institut für Zeitgeschichte hat auf jeden Fall seinen Platz. Es ist eine akademische Einrichtung, die sich primär Forschungsarbeiten widmet. Die sind auf einem sehr hohen fachlichen Niveau. Ich glaube aber, dass dort die Aufklärungsarbeit sehr vernachlässigt wird. Das Amt zur Dokumentierung und Aufarbeitung der kommunistischen Verbrechen wiederum ist eher ein Instrument zur Aufklärung kommunistischer Verbrechen und führt keine Bildungsarbeit durch. Beide Institute haben eine Menge Arbeit geleistet. Ich bin aber der Meinung, dass das Institut für das nationale Gedächtnis den Platz einnehmen könnte, der hier noch offen ist."

Jiri Pernes
Die Historikerzunft ist sich in dieser Frage aber nicht einig. Einer der Gegner des Projekts ist Jiri Pernes:

"Ich glaube nach wie vor, dass die Gründung des Instituts überflüssig ist. In der Tschechischen Republik gibt es bereits das Institut für Zeitgeschichte und das Amt zur Dokumentation und Untersuchung der kommunistischen Verbrechen. Diese beiden Institutionen sollten diese Aufgaben erfüllen. Die Gründung eines neuen Instituts kostet zudem sehr viel Geld. Wenn auch nur ein Teil des Geldes, der für die Gründung des Instituts für das nationale Gedächtnis vorgesehen ist, in die Arbeit der existierenden Institute investiert würde, wäre das wesentlich zweckmäßiger."

Ein Gesetzentwurf des tschechischen Senats zur Gründung des Instituts konnte im Abgeordnetenhaus bisher noch nicht verabschiedet werden. Kritik wurde dort vor allem an der Konzeption des Instituts laut. So etwa an der Beschränkung der Tätigkeit des Instituts auf die kommunistische Zeit. Ein Kompromissvorschlag, der sich in der letzten Woche im Abgeordnetenhaus bis zur dritten Lesung durchgequält hat, sieht nun die Ausweitung der Tätigkeit des Instituts auf die Zeit der nationalsozialistischen Okkupation vor.

Gegen die Gründung des Instituts stemmen sich vor allem die Kommunisten und die Sozialdemokraten.

"Es geht um die Konzentrierung von Informationsmaterial in einer Zentrale und dessen politischen Missbrauch",

Mirek Topolanek  (Foto: CTK)
sagte der Vorsitzende der Kommunistischen Partei, Vojtech Filip. Die Kommunisten wehren sich vor allem dagegen, dass nach dem bisherigen Gesetzentwurf Mitglieder der Kommunistischen Partei nicht im Rat mitarbeiten dürfen, der die Arbeit des Instituts kontrollieren soll. Kommunistenführer Filip spricht in diesem Zusammenhang von einer neuen Inquisition. Aber auch aus den Reihen der Sozialdemokraten kommt die Forderung, die Kommunisten nicht von Vorneherein aus der Arbeit des Instituts auszuschließen. Der ehemalige sozialdemokratische Innenminister Frantisek Bublan vertritt die Ansicht, dass man keine Partei des Abgeordnetenhauses von der Arbeit im neuen Institut abhalten dürfe, wenn man Objektivität und Unparteilichkeit garantieren möchte. Premier Mirek Topolanek verteidigte im Abgeordnetenhaus vehement die Gründung des Instituts:

"Das sind wir unseren Kindern und den nachfolgenden Generationen schuldig, die das Recht dazu haben, nicht die gleichen Fehler zu wiederholen und die das Recht auf genaue Informationen über diese Zeit haben."

Während über Form, Struktur und Inhalt des Instituts für das nationale Gedächtnis gestritten wurde, stellte der sozialdemokratische Abgeordnete Zdenek Jicinsky hingegen eine grundlegende Frage darüber, inwieweit Geschichtsbewertung und Geschichtsaufarbeitung staatlich geregelt werden kann:

"Weder ein Rat noch Gesetze sollten über die Geschichte urteilen. Das ist Sache der historischen Forschung, und selbstverständlich beurteilt jeder Mensch die Geschichte nach seinen Erfahrungen. Aber autoritäre Urteile über die Geschichte zu fällen, über die Beurteilung der Geschichte mittels eines Gesetzes, das halte ich nicht für richtig und das steht nicht im Einklang mit der Konzeption wissenschaftlicher Freiheit in einem demokratischen Staat", so Jicinsky.

Voraussichtlich im April wird das Abgeordnetenhaus endgültig über die Gründung des Instituts für das nationale Gedächtnis entscheiden.