Flüchtlinge in Tschechien - Warten auf eine bessere Zukunft

Es ist noch gar nicht so lange her, da mussten viele Tschechen aus ihrem Land fliehen. Heute leben sie in einem Rechtsstaat und die Tschechische Republik ist selbst Ziel für Flüchtlinge aus aller Welt. Über 3000 Menschen haben im vergangenen Jahr in der Tschechischen Republik Asyl beantragt. Viele von ihnen warten noch immer in einem der Flüchtlingslager auf eine Entscheidung der zuständigen Behörden. Wir haben das größte Flüchtlingslager Tschechiens in Kostelec nad Orlici besucht.

Die ganz Kleinen im Flüchtlingslager Kostelec haben Spaß. Sie spielen mit ihren Erzieherinnen in der kleinen Turnhalle des Lagers. Warum sie aus ihrer Heimat fliehen mussten und dass ihre Familie hier auf die Erlaubnis wartet, in Tschechien bleiben zu dürfen, ist ihnen nicht klar. Bei Judi ist das anders. Er ist zehn. Und er weiß schon sehr genau, warum seine Eltern aus Syrien geflohen sind. Ja, das wisse er. Aus Syrien sei er mit seiner Familie gekommen. Weil dort in Syrien alle Araber die Kurden umbringen und so. Und deshalb seien sie hierher gekommen. Dort sei es nicht gut.

Nach der großen Politik sind ihm dann aber schnell andere Dinge wichtiger.

Warum er ihm kein Spielzeug mitgebracht habe, er habe ihm doch gesagt, dass er welches mitbringen solle, fragt Judi Stefan Kessissoglou, der als Freiwilliger für die Hilfsorganisation "poradna pro uprchliky", eine Beratungsstelle für Flüchtlinge arbeitet. Er wolle sein eigenes Spielzeug haben. Das Spielzeugauto, das eine Mitarbeiterin mitgebracht hatte, sei für alle zusammen gewesen.

Spielzeug für die Kinder, das ist nur eines der vielen Dinge, die im Flüchtlingslager fehlen. Als Außenstehender kann man sich nur schwer vorstellen, wie das Leben im Camp wirklich ist.

Ich gehe mit Stefan Kessissoglou in das Wohnhaus, eine alte sowjetische Kaserne. Lange Gänge und nackte Wände gibt es hier und die ständige Beobachtung durch Wachleute. Stefan Kessissoglou erzählt mir, wie das Leben hier aussieht.

"Hier können maximal 350 Bewohner untergebracht werden. Momentan sind es etwa 250. Das heißt, dass in jedem Raum bis zu zehn Personen wohnen können. Das ist natürlich eine starke Dauerbelastung, gerade weil auch noch direkt vor dem Haus eine laute Straße vorbeiführt. Vor allem wenn man ohne Arbeit und ohne jegliche Zukunftsperspektive seine Zeit totschlägt. Dazu ist man noch abgeschnitten von größeren Städten, wo man etwas erleben könnte, was vom Leben in dieser tristen Kaserne losgelöst ist. Das ist auf Dauer schon sehr zermürbend und raubt einem die Perspektive."

Kostelec nad Orlici  (Foto: Ben Skála,  CC BY-SA 3.0 Unported)
Ein Jahr lang dürfen die Flüchtlinge nicht arbeiten, nachdem sie einen Asylantrag gestellt haben. Geld verdienen können sie also nicht. Ihnen bleibt kaum etwas anderes übrig, als in einem der Flüchtlingslager unterzukommen. Eine Wohnung können sich wohl nur die wenigsten leisten. Die Unterkunft im Flüchtlingslager und die Verpflegung sind kostenlos, außerdem bekommen die Flüchtlinge 16 Kronen, ungefähr 50 Cent Taschengeld am Tag. Filip Rames ist Sozialarbeiter bei der "poradna pro uprchliky" und berichtet über die finanziellen Schwierigkeiten:

"Von diesem Geld dürfen sie irgendwie leben. Das Flüchtlingslager besorgt Kleidung und die allernotwendigsten Dinge. Aber es ist sehr wenig, was dort organisiert werden kann. Der Trend in der letzten Zeit ist, so wenig Geld wie möglich in die Flüchtlingslager zu stecken. Die Tschechische Republik hat wie alle anderen sehr wenig Geld und in der ganzen Europäischen Union ist die Flüchtlingsthematik nicht mehr so populär.

Die meisten dieser Leute sind wegen schlimmen Umständen aus ihren Ländern geflohen. Sie suchen hier wirklich Asyl. Und sie werden dann in diesem Asylcamp gelagert und haben nichts und bekommen auch nichts. Ich glaube, die Leute verdienen ein bisschen mehr."

Wer als Flüchtling in die Tschechische Republik einreist, hat drei Tage Zeit, um einen Asylantrag zu stellen, über den dann die zuständige Behörde des Innenministeriums entscheidet. In 95 Prozent der Fälle wird der Antrag abgelehnt. Der Asylsuchende kann dann vor einem Regionalgericht Einspruch gegen diese Entscheidung einlegen. Und er hat das Recht auf einen kostenlosen Anwalt, der ihn dabei unterstützt.

Der Iraker Kadum Hussein Ali hat sein Heimatland während der Herrschaft von Saddam Hussein verlassen müssen. Er wartet seit fast fünf Jahren in Kostelec auf die erste Entscheidung des Innenministeriums. Die Hoffnung hat er trotzdem noch nicht aufgegeben.

"Ich warte auf Asyl. Und nach dieser langen Zeit - fünf Jahre sind keine kurze Zeit - erwarte ich, dass etwas für mich getan wird. Ich hoffe, dass sie meine Situation in Betracht ziehen und sich die schlimme Lage im Irak vor Augen führen."

Sharif Amar ist vor politischer Verfolgung aus Algerien geflohen. Er würde sich gerne in Tschechien eine neue Existenz aufbauen.

"Ohne Arbeit kein Geld. Wenn ich Geld verdiene, kann ich ein kleines Apartment mieten, ich kann ein tschechisches Mädchen heiraten. Ich kann zur Ruhe kommen, ich kann unabhängig und frei sein."

Aus dem Flüchtlingslager rauszukommen, diesen Wunsch haben die meisten Menschen, die hier leben. Dort zu sein bedeutet für sie auch, dass sie nicht wissen, welches Schicksal auf sie wartet. Stefan Kessissoglou hält das für das größte Problem der Asylsuchenden:

"Ich denke, das größte Problem ist diese unglaublich belastende Ungewissheit. Dass man keinerlei Information und keinerlei Anhaltspunkte hat, wann diese Asylantragsprozedur ein Ende finden könnte. Das ist das Belastendste und das, was die Menschen wirklich mehr oder weniger in den Wahnsinn treibt. Dadurch sind sie in einem Zwischenzustand, den sie selbst wahrscheinlich gar nicht richtig realisieren oder sich erklären können. Das ist eines der größten Probleme, das dann auch zu einer ziemlichen Leere im Alltag führt. Im Camp haben sie keine Arbeit und leben so in den Tag hinein. Wir haben schon viele Berichte gehört, dass sich manche dort auch betrinken. Und dann kommt es zu Auseinandersetzungen."

Diese Perspektivlosigkeit ist es, die auch Kadum Hussein Ali am meisten zu schaffen macht.

"Das Leben hier ist schwierig. Die Verwaltung versucht ihr Bestes zu tun. Die Versorgung ist gut und wir werden hier in einer sehr angenehmen und kultivierten Weise behandelt. Aber: Der Flüchtling fühlt trotzdem, dass er keine Freiheit hat. Er lebt in diesem Gebäude. Und das ist alles."

Die Menschen im Flüchtlingslager Kostelec können nichts tun als zu warten. Und versuchen, die Freude am Leben nicht zu verlieren.