Politische Pornografie oder Vergangenheitsbewältigung: Stasi-Akten im Internet
Bisher hat sich Tschechien nicht sonderlich mit der Aufarbeitung seiner kommunistischen Vergangenheit hervorgetan. In den letzten Wochen häufen sich aber, wie wir bereits berichteten, die Fälle, bei denen Prominenten ihre Stasi-Vergangenheit vorgehalten wird. Und das könnte wirklich nur ein schwacher Beginn sein. Denn erst drei Prozent der Stasi-Akten wurden bisher aufgearbeitet. Nun hat Innenminister Langer angekündigt, den größten Teil des Rests auch noch einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Das gesamte Projekt trägt die Bezeichnung "Otevrena minulost", also offene Vergangenheit. Jeder soll sich anhand der Stasi-Akten ein Bild machen können, wie das kommunistische Regime seine Bürger bespitzelt hat. Ob Laie oder Fachmann, ob Tscheche oder Ausländer. Dazu soll das gesamte Archivmaterial, das bisher auf drei Orte verteilt ist, nur noch an einem Ort, nämlich zentral im Innenministerium verwaltet werden. Nach und nach würden dann in den nächsten Jahren die Akten digitalisiert und im Internet veröffentlicht. Ein Mammutprojekt also, denn immerhin ist die Rede von insgesamt 17 Kilometer Archivmaterialien.
Vor allem sollen die Nachrichtendienste laut Langer endlich ihre Archive frei geben. In denen schlummert allerdings so einiges. So zum Beispiel die Unterlagen zu den Stasi-Kontakten des ehemaligen Premiers und langjährigen Chefs der Tschechischen Nationalbank, Josef Tosovsky.
"Dieser und andere Fälle hängen mit dem schlechten Vorgehen in den 90er Jahren zusammen, als das System der Aufarbeitung löchrig war. Beheben lässt sich das nur, indem man alles zugänglich macht", meint der Leiter der Nachrichtendienst-Archive, Ales Zacek.
Und er stimmt darin mit dem Vorgehen von Innenminister Langer überein. Es gibt aber auch warnende Stimmen. So sagt der Historiker Oldrich Tuma, Leiter des Institutes für Zeitgeschichte:
"Jahrzehntelang wurde da in dem Leben anderer geschnüffelt - und das mit Methoden, die schon nach damaligem Recht illegal waren. Es wurden Hunderte oder Tausende Seiten mit einem Mix aus Wahrheiten und Unwahrheiten beschrieben. Und jetzt soll da jeder drin wühlen können, ohne dass es einer Stellungnahme dessen bedarf, über den die Stasi das Material angehäuft hat."
Als politische Pornografie bezeichnet das sogar der Kommentator der Zeitung "Lidove noviny", Lubos Palata. Alles, was unter dem Label "Stasi" laufe, würde sich eben gut verkaufen. Doch über die Relevanz der Informationen macht sich laut Palata kaum jemand mehr Gedanken. Zudem verweist er darauf, dass auch die Stasi nur Befehlsempfänger war - und zwar von der kommunistischen Partei. Doch das Projekt "offene Vergangenheit" ist bereits vor rund drei Monaten angelaufen. Möglichkeiten, etwas zu beeinflussen haben jetzt vor allem noch die Fachleute der Nachrichtendienste. Sie wollen sich in der nächsten Zeit mit dem Innenminister zusammensetzen und entscheiden, welche Akten veröffentlicht werden können und welche dann doch lieber unter Verschluss bleiben.