Varhan Orchestrowitsch Bauer klopft in Hollywood an
Enfant terrible - so nehmen ihn viele schon seit Jahren wahr! Eigentlich nicht ohne Grund: Ein Schuh rot, ein Schuh grün, beliebte Automarke Trabant, nie fest angestellt und vieles mehr, das als extravagant zu bezeichnen wäre, trifft für den Mann zu, von dem jetzt die Rede sein soll. Sein Portrait bietet Ihnen Jitka Mladkova in der neuen Ausgabe der Sendereihe Heute an Mikrophon an:
Ungewöhnliches begleitete ihn offenbar schon seit der Wiege. Allein der Name deutet vieles an: Den Vornamen Varhan, der zwar an das tschechische Wort "varhany", auf Deutsch "Orgel", denken lässt, in Wirklichkeit aber der Name eines Alchemisten am Prager Kaiserhof gewesen sein soll, hätten sich seine Eltern einfallen lassen, erzählt Varhan höchstpersönlich bei jeder Gelegenheit. Den Beinamen Orchestrowitsch hingegen habe er sich in Bezug auf den ukrainischen Ursprung seiner Mutter selbst ausgedacht, gleichzeitig aber auch um seine feste Verbundenheit mit der Musik zu demonstrieren. Und last but not least, so Varhan Orchestrowitsch Bauer in zahlreichen Interviews, jeder Aristokrat müsse doch drei Namen haben.
Sein erstes Orchester, benannt Worcester Scandal, gründete Bauer schon an der Grundschule. Danach studierte er Komposition und Dirigieren am Prager Jaroslav-Jezek-Konservatorium. Seit 15 Jahren tritt er mit seinem "Augenblicklichen Orchester" auf. Bauer erinnert sich an den Start seiner Musikerkarriere:
"Ich habe mit Bigbeat angefangen, spielte aber auch Orgel in einer Kirche. Ich kann mich noch gut daran erinnern, als ich zum ersten Mal die Hände vor meinem Orchester hochhielt und das Zeichen gab. Das Orchester reagierte und ich wusste sofort: Das ist es, was ich machen will! Das Dirigieren ist in gewissem Sinne der letzte magische Beruf. Man kommt und es ist nicht da. Dann hebt man die Hände hoch, und es kommt Musik!"
Wenn man den Dirigenten nach seinem Vorbild fragt, nennt er gleich mehrere:
"Selbstverständlich. Allen voran muss ich Leonhard Bernstein nennen. Er war meiner Meinung nach der beste Dirigent, der exzellent Emotionen und Rhythmus vermitteln konnte. Er war auch hoch gebildet. Mir gefallen zum Beispiel auch Stokowski oder Bruno Walter. Von den tschechischen Dirigenten mag ich sehr Karel Ancerl. Jedes Mal, wenn ich ihn in einer Videoaufnahme gesehen habe, sagte ich mir, wie schade es ist, dass ich den Mann nicht erleben konnte. Zudem noch Libor Pesek und ich darf auch meinen Lehrer Hynek Farkac nicht vergessen, der ein hervorragender Dirigent ist."
Varhan Bauer ist nicht ausschließlich beim Dirigieren geblieben. Genauso wichtig ist für ihn das Komponieren. Von Anfang an suchte er nach einem eigenen Stil:"Ich habe fleißig experimentiert, indem ich verschiedene Musikstile, Genres und Richtungen kombinierte. Dabei habe ich sehr viel gelernt. All die Kenntnisse, die mir hervorragende Lehrer in der Schule vermittelt hatten, konnte ich in die Praxis umsetzen. Das hat mir Spaß gemacht. Ich glaube, das Resultat der Arbeit eines Komponisten soll die Musik sein, die auch gehört wird. Papierberge beschrieben mit Noten sind zu nichts nütze, wenn man sie nicht spielt."
Am liebsten komponiert Bauer Filmmusik. Zwei tschechische Filme mit seiner Musik machten allerdings keine Schlagzeilen. In das wahre Rampenlicht zu kommen verhalf ihm erst vor kurzem ein dritter Film. Dieser hatte im November 2006 seine Weltpremiere in Madrid und am 29. Januar, zwei Tage vor Bauers 38. Geburtstag, seine tschechische Premiere in Prag. Es ist der neueste Film des tschechoamerikanischen Regisseurs Milos Forman "Goyas Geister". Varhan Orchestrowitsch hat die Musik komponiert.
"Plötzlich klingelte in meinem Auto, damals war es noch ein Trabi, das Handy. Ich musste den Motor ausschalten, um hören zu können: Hallo, hier spricht Milos Forman. Varhan am Telefon?"
So schildert der Komponist den ersten persönlichen Kontakt mit dem Starregiesseur. Dieser hatte sich aber schon zuvor eine Hörprobe aus Varhans Werkstatt angehört und wollte jetzt eine Hörprobe gezielt für Goyas Geister haben. Den damals schon fertig gedrehten Film kannte Bauer aber nicht. Und nicht nur den Film, er musste sich auch mit dem spanischen Maler vertraut machen:
"Bevor der erste Teil meiner Musik zu Goyas Geistern entstand, ging ich in eine Bibliothek und habe den Lebenslauf des Malers gelesen. Auf dem Papier notierte ich mir ein paar Schlüsselmomente seines Lebens. Ich wusste damals aber noch nicht, dass nicht Goya selbst, sondern der Mönch Lorenzo die Hauptfigur in dem Film ist."
Auch diese Musikprobe kam gut bei Milos Forman an, und der Auftrag für die Musik für den ganzen Film ließ nicht lange auf sich warten. Varhan Bauer pendelte dann zwischen Prag und New York, bis alles fertig war - der Film und die Musik. Eingespielt hat er sie am Dirigentenpult mit dem London Symphony Orchestra - in der Abbey Road, wo auch die Beatles ihre erste Platte produziert hatten.
Er sei extrovertierter Dirigent und introvertierter Komponist, behauptet Varhan Bauer von sich selbst. Hierzu eine Erläuterung des zwiegespaltenen Künstlers:
"Ich habe Tage, an denen ich mir - wie ich es nenne - einen Hausarrest des Komponisten anordne. Ich sitze zum Beispiel drei Tage lang zu Hause am Klavier, gehe nicht aus und konzentriere mich nur darauf, mir etwas Gutes auszudenken."
Etwas Ähnliches, jedoch jeweils für längere Zeit, hatte sich Bauer auch angeordnet, als er die Filmmusik zu Goyas Geistern komponierte. Den schöpferischen Prozess beschreibt er wie folgt:
"Zuerst muss ich die absolute Stille hören, um mich konzentrieren zu können. Das ist eine sehr schwere Phase. Ich lege mich ins Bett und stecke meinen Kopf unter mehrere Decken, um womöglich nichts zu hören. Da ich an einer stark befahrenen Straße wohne, komponiere ich am liebsten in der Nacht. Und wenn ich schon die Stille höre, taucht ein Gefühl auf, das sich früher oder später konkretisiert. Man gerät in eine sonderbare innere Verfassung zwischen Bewusstlosigkeit, Schlaf und vollem Bewusstsein. Langsam entsteht eine Vision. Und wenn sie reif genug ist, setze ich mich ans Klavier - oder an die Orgel - und spiele und versuche dabei dem entstandenen Gefühl durch Musik Ausdruck zu geben."
Mit Milos Forman zusammengearbeitet zu haben, hat für Varhan Orchestrowitsch Bauer einen hohen Stellenwert in seinem Leben. Und offenbar nicht nur für ihn allein, gemessen an der Zahl neuer Angebote zur Zusammenarbeit und nicht zuletzt auch am gestärkten Selbstbewusstsein des Komponisten:
"Stimmt. Da es sich schon offiziell bestätigt hat, dass ich gut bin, bekomme ich selbstverständlich auch viele Angebote. Ich muss jetzt aber zunächst ein bisschen entspannen, um neue Kräfte zu tanken. Ich werde die erreichte Position verteidigen müssen, und das ist eine höhere Stufe für mich."
Und wo soll jetzt sein künstlerischer Weg hinführen? Darüber ist sich der ambitionierte Komponist und Dirigent im Klaren:
"Ich möchte selbstverständlich in Hollywood arbeiten, das ist klar. Auf dieses Ziel steuere ich mein Leben lang zu. Dank dem Film mit Milos bin ich ihm, denke ich, näher gekommen."
Davon ist Varhan Bauer fest überzeugt. In einem der unzähligen Interviews aus der letzten Zeit sagte er:
"Alle, die über mich lachten, dass ich nichts habe und einen Trabi fahre, kann ich jetzt auslachen. Sie haben nicht begriffen, dass ich konsequent auf einem Weg zu etwas gehe. Die Musik ist für mich meine Religion, der Sinn meines Lebens, und ihr ist alles untergeordnet."