Schreien und flüstern, rappen und reimen - deutsch-tschechischer Poetry-Slam in Usti
Wenn Dichter unterschiedlicher Zungen zusammentreffen, droht Wortsalat. Das könnte man zumindest denken. Die deutsch-tschechische Poetry-Slam-Show in Usti nad Labem/ Aussig an der Elbe zeigt allerdings, dass dies nicht unbedingt so sein muss. Vielmehr wurde daraus eine interessante Episode für unsere Rubrik Begegnungen.
Und an Unterhaltung gab es genug: So zum Beispiel den tschechischen Poetry-Slam-Meister 2005, Bohdan Blahovec, der als einziger komplett improvisierte. Er hatte sich darauf eingestellt, dass es eine zweisprachige Veranstaltung war - und das auf seine eigene, politisch nicht sonderlich korrekte Weise:
Bohdan Blahovec ist wie seine beiden Landsleute, Tomas Mika und Rene Jahoda, die ebenfalls in Usti auftraten, ein Pionier im eigenen Land. Denn Poetry-Slams gibt es in Tschechien erst seit rund vier Jahren. Blahovec gewann gleich bei der ersten Veranstaltung, an der er teilnahm, den Landestitel. Deswegen bezeichnet er sich selbst als zufälliges Opfer des Poetry-Slam. Wie er sich auf den Auftritt in Usti vorbereitet hat, erläuterte er so:"Ich picke mir immer vorher ein Thema heraus, über das meine Show, Masturbation, Poesie gehen soll. Heute fand ich es eine ausgesprochene Herausforderung, dass es ein tschechisch-deutscher Poetry-Slam im ehemaligen Sudetengebiet. Weil ich aber kein Deutsch kann, habe ich an meinen schwachen Kenntnisse wie ich bin, der, die, das bedient und wollte daraus eine witzige Anspielung auf die tschechisch-deutschen Beziehungen machen."
Zu den tschechisch-deutschen Beziehungen gehört aber auch die Begegnung der Künstler, die Bohdan Blanovec lobte. In Usti war es zugleich eine Begegnung zweier Welten. Blahovec war vor allem aufgefallen, dass seine Kollegen aus dem großen Nachbarland alle mit ausgefeilten Texten im Gepäck angereist waren. Eine Erklärung ist sicher, dass Poetry-Slam in Deutschland bereits etabliert ist, seit rund zwölf Jahren betrieben wird und die Konkurrenz entsprechend höher ist als in Tschechien. Dass dabei die Künstler in Deutschland besonders sorgfältig vorgehen, bestätigte der Dresdner Stefan Seyfarth:
"Es sind meistens vorgefertigte Texte. Ganz wenige Leute improvisieren, machen Freestyle. Es gibt sie natürlich auch, aber das ist ein Bruchteil, das sind höchstens fünf Prozent, wenn überhaupt. Ansonsten wird an den Texten in der Regel lange Zeit geschrieben, ausgiebig gefeilt, einfach der Performance, der Lautpoesie wegen, die dabei wichtig ist. Das Publikum mit einer Improvisation zu kriegen ist hingegen schwer."Aber was passiert, wenn man lange an seinen Texten feilt und dann vor ein Publikum tritt, das nichts von dem versteht, wofür man sich so lange gequält hat. Denn schließlich war das Publikum in Usti zum Großteil tschechisch und nicht alle sprachen Deutsch, auch wenn die Veranstalter tschechische Übersetzungen der meisten Texte an jedem Tisch ausgelegt hatten. Ist das nicht eine Angstvorstellung? Lydia Daher antwortet.
"Wir als Poetry-Slammer sind alles gewöhnt, wir springen immer ins kalte Wasser. Deswegen kann man da von Angst nicht sprechen, eher von positiver Aufregung. Aber es ist schön, im Ausland zu sein. Da ich gesehen habe, dass sogar Texte von mir übersetzt wurden und ich weiß, dass einige Leute sich die noch mal zu Hause durchlesen, ist das eine tolle Sache für mich."
Slam-Poetry ist nicht einfach nur der Vortrag eines Gedichtes oder Textes. Es geht besonders um den Rhythmus. Welche Möglichkeiten sich da ergeben, zeigten sowohl die tschechischen wie die deutschen Dichter. Der Prager Poetry-Slam-Sieger 2005, Rene Jahoda, machte beispielsweise seinen Brustkorb zur Trommel, wobei er textlich durch die Skiabteilung einer Supermarktkette spazierte und zwischendurch "Jedeme na hory", also "Wir fahren in die Berge" rief:Von den deutschen Slam-Poeten, die es schwerer hatten, weil ein Großteil des Publikums Tschechen waren, nutzte Lydia Daher bei ihrem zweiten Auftritt an dem Abend den Rhythmus als Mittel zur Überwindung des Sprachengrabens. Deswegen habe sie, so sagte sie im Nachhinein, dann begonnen zu rappen.
Beim Publikum kam das auf jeden Fall gut an. Auf die Frage nach demjenigen Künstler, der ihnen am besten gefallen hat, antworteten viele mit "Lydia Daher". So auch Viktor, der auch schon vor einem Jahr beim ersten deutsch-tschechischen Poetry-Slam in Usti dabei war. Er sagte:
"Am besten waren meiner Meinung nach Bohdan Blahovec und die deutsche Dichterin Lydia Daher. Bei ihr habe ich zwar nur wenig verstanden und las am Anfang die Übersetzung. Dann bin ich aber lieber dazu übergegangen, nur noch ihrer Performance zu folgen, ihrer Mimik und Intonation. Ich denke, dass ich die Übersetzung später durchlese."Dass das Fazit positiv ist, empfand auch Jennifer Schevardo vom Collegium Bohemicum, das die Poetry-Slam-Show veranstaltet hat. Es seien deutlich mehr Leute als im vergangenen Jahr gekommen. Aber nicht nur das, wie sie erzählt:
"Das Schönste ist aber, dass sehr viele Leute da waren, die gar kein Deutsch verstehen oder es nicht gut verstehen und trotzdem mit sehr viel Interesse und offen auf die deutschen Texte reagiert haben. Sie haben sich dann eben die Übersetzung durchgelesen und ihnen hat es wirklich aufgrund der Performance gefallen oder weil sie eben den Klang schön fanden. Das ist auch für mich das Allerschönste daran, dass eben nicht nur Leute kommen, die ohnehin schon deutsch sprechen, sondern dass Leute kommen, die einfach das Internationale und der Poetry-Slam interessiert. Die bleiben dann, auch wenn sie etwas nicht verstehen."