Neue Grüne Mitte: EU-Abgeordneter Milan Horacek zur Rolle der tschechischen Grünen

Milan Horacek mit dem Vorsitzenden der Grünen Martin Bursik (links)

Am Montag wurde das tschechische Kabinett auf der Prager Burg vorstellig - die Vereidigung der neuen Regierung durch Staatspräsident Vaclav Klaus stand auf dem Programm. Im langen Tauziehen um die Regierungsbildung hatten auch die tschechischen Grünen eine Rolle gespielt, die im Juni zum ersten Mal ins Parlament eingezogen waren. Immerhin waren sie Teil einer Drei-Parteien-Koalition, die letztlich aber nicht genügend Abgeordnete hinter sich hatte. Über die Rolle der Grünen in der momentan recht stürmischen politischen Landschaft Tschechiens hat sich Gerald Schubert mit Milan Horacek unterhalten, einem Europaabgeordneten der deutschen Grünen mit tschechischen Wurzeln.

Milan Horacek  (Foto: Autor)
Herr Horacek, die ganze Republik spricht seit den Wahlen vom Patt 100:100. Das bedeutet, dass es hundert Abgeordnete, nämlich Kommunisten und Sozialdemokraten, auf der "linken" Seite gibt, und hundert auf der "rechten". Schadet diese Etikettierung den Grünen? Ist das wirklich eine rechte Partei? Und wie sieht eigentlich ihre Mitgliederbasis aus?

"Ich glaube in der Tschechischen Republik ist das ein bisschen anders: Die Linke hat sich mit den Kommunisten und den Sozialdemokraten selbst klar definiert. Und die Rechten, das sind die Christdemokraten und die Bürgerdemokraten. Die Grünen aber werden als die Mitte wahrgenommen. Diese stützt sich auf zwei Standbeine. Das eine ist mehr ökologisch orientiert, das andere mehr an den Menschenrechten. Beide tragen auch soziale Komponenten in sich. Deshalb sind die Grünen in einigen Fragen wertkonservativ und in anderen Fragen sozial. In der alten Bezeichnung heißt das: in einigen Fragen links, in anderen Fragen rechts. Also - in der Mitte."

Diesbezüglich unterscheiden sich die programmatischen Wurzeln der tschechischen Grünen ja eigentlich nicht wesentlich von denen der Grünen in Deutschland und Österreich.

"Wenn man das mit einem gewissen Abstand betrachtet, kann man sagen: Sie sind organisch gewachsen. So wie die Grünen Parteien in Österreich und Deutschland gewachsen sind, so ist auch die Partei hier entstanden. Die Wurzeln lagen aber nicht nur in diesen grundsätzlichen Bewegungen, also der Ökologie- und der Menschenrechtsbewegung, sondern auch in einer liberalen Einstellung. Und auch aus der Demokratiebewegung und der Dissidentenecke kamen hier Leute, die begriffen haben, dass nicht nur Wachstum an sich eine Rolle spielt, sondern qualitatives Wachstum. Es geht dabei um immer wichtiger werdende Fragen der Lebensqualität, darum, dass man nicht nur immer mehr Autos und andere Konsumgüter anhäufen muss, um glücklich zu werden, und dass man sich auf einige grundsätzliche Dinge des Lebens besinnen muss, die in der nachkommunistischen Zeit ein bisschen verloren gegangen sind - was auch wiederum verständlich ist."

Die Situation der Grünen ist jetzt nicht gerade leicht. Die Wahl liegt drei Monate zurück, und noch immer gibt es keine Regierung, die im Parlament schon eine Vertrauensabstimmung gewonnen hat. Was dürfen die Grünen in dieser sensiblen Phase ihrer Meinung nach vor allem nicht tun?

"Sie dürfen auf keinen Fall ihre Glaubwürdigkeit verlieren. Bis jetzt werden sie als diejenigen bewertet, die beständig und ehrlich waren, und die das einhielten, was sie vor der Wahl beschlossen und gesagt haben."

Wird das in der Öffentlichkeit tatsächlich so wahrgenommen? Es gibt ja andererseits auch die Vorstellung, dass sich durch die starke Rivalität zwischen Sozial- und Bürgerdemokraten das politische Spektrum so polarisiert, dass die Kleinen einfach unter die Räder kommen.

"Die Grünen haben vor der Wahl einen Standpunkt vertreten. Wenn sie sich daran halten, und auch schlüssig begründen, warum, dann gibt es immer einen Teil der Bevölkerung, der sie wählen wird. Die Menschen in so komplizierten Gesellschaften, wie es Anfang des 21. Jahrhunderts auch die tschechische Gesellschaft ist, sind nicht nur auf zwei Parteien respektive auf links oder rechts reduzierbar. Ich glaube, es ist auch hinsichtlich der Tradition und Staatlichkeit der Tschechischen Republik gerecht, wenn mehrere Parteien mit einem gefächerten Programm ihre inhaltlichen Angebote machen und den Menschen die Möglichkeit geben, sich differenzierter zu äußern."

Kommen wir auf die europäische Ebene: Sie sind Europaabgeordneter der deutschen Grünen. Inwieweit sind die verschiedenen Grünen Parteien Europas miteinander verbunden?

"In der Europäischen Grünen Partei sind über 30 Einzelparteien vereint, die von Zeit zu Zeit bei verschiedenen Treffen, Kongressen und Seminaren miteinander diskutieren. Aber die Probleme sind natürlich vielfältig. Die Skandinavier etwa haben andere Probleme als die Länder am Mittelmeer, und die in Osteuropa haben andere als die in der alten EU."

Noch kurz zu Ihrer Rolle: Sie sind als ehemaliger Emigrant für die deutschen Grünen angetreten und waren früher auch im deutschen Bundestag. Wenn Sie jetzt in Prag sind und mit Ihren Grünen Parteifreunden in der tschechischen Republik sprechen: ist Ihr Rat da eigentlich gefragt? Oder werden Sie ein bisschen als Außerirdischer angesehen, der für Deutschland spricht und mit den tschechischen Grünen nicht so viel zu tun hat?

"Wenn man dreißig Jahre in der Politik ist - ich habe im Ortsbeirat in der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung angefangen, bin danach erst in den Bundestag gekommen und bin jetzt im Europaparlament - dann ist man auf den unterschiedlichsten Ebenen schon vielen Dingen begegnet: Vom einfachen Entschlüsseln eines Haushalts, wo man weiß, wie und wo die einzelnen Budgetposten versteckt sind, bis hin zu größeren Problemen der internationalen Politik. Deshalb kann ich da und dort Vergleiche bringen und den tschechischen Grünen beschreiben, wie es damals war. Denn manche Probleme entstehen wieder und wieder und immer wieder ähnlich."