Grenzwert Nachbarschaft: Deutsche sehen tschechischen Nachbar positiver als Österreicher
Mit den Nachbarn ist es wie mit den Verwandten: Man kann sie sich nicht aussuchen. Desinteresse und Vorbehalte sind häufig Gründe, warum uns gerade unsere nächsten so fremd sind. Das gilt auch über Landesgrenzen hinweg, selbst dann noch, wenn diese zusehends verschwinden. Zwei Jahre nach der EU-Erweiterung wurden in einer Studie die Einstellungen der Grenzbevölkerung zu ihren Nachbarn erhoben. Sandra Dudek hat aus Österreich und Deutschland einen Blick in den tschechischen Nachbarsgarten geworfen:
Dies geht aus einer nun veröffentlichten Untersuchung hervor, die die Österreichische Gesellschaft für Europapolitik und die Deutsche Paul Lazarsfeld-Gesellschaft in Zusammenarbeit mit forsa, der deutschen Gesellschaft für Sozialforschung, durchgeführt haben. Ein Vergleich mit früheren Untersuchungen macht dabei deutlich, dass sich die Sympathien für die Nachbarn jenseits der Grenze genau so ändern können wie jene zum Nachbarn jenseits des Gartenzauns. Am Beispiel Österreich bedeutet das, so Franz Birk von der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik:
"Die Schweiz war immer schon der beliebteste Nachbar. Dem folgt 2004 erstmals Ungarn auf dem zweiten Platz. Es folgt Italien, dann kommt Deutschland, und dann kommt schon Slowenien, Kroatien, die Slowakei, Tschechien. Und Polen ist am Ende dieser Rangreihe."
Durch die EU-Erweiterung wurde Deutschland im österreichischen Nachbarschaftsranking von Ungarn verdrängt. Die Gründe dafür liegen unter anderem in der Geschichte, aber auch die gemeinsamen landwirtschaftlichen Flächen und nicht zuletzt der grenzüberschreitende Kontakt zu Verwandten und Freunden sorgen für ein besseres Nachbarschaftsverhältnis. Das sei ein besonders starkes Bindeglied, meint Gerhard Bauer, Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik, das beispielsweise in der tschechisch-österreichischen Grenzregion fehle:
"Ich muss sagen, dass die Tschechische Republik nicht unschuldig daran ist, zumindest die Vorgänge in der Politik. In diesen grenznahen Gebieten wohnen ganz wenige Deutschsprechende, die Verwandte in Österreich haben. Die wurden ermordet oder ausgesiedelt. Und wer wurde dort angesiedelt, zwangsweise angesiedelt? Personen, die keine Wurzeln in der Gegend haben und beispielsweise aus der Ukraine, aus der ehemaligen Sowjetunion, aus Polen stammen. Das heißt, es gab keinen logischen Kontakt. Und dort, wo es eine Kälte gibt, bleibt es viel, viel länger kalt."
Auch die Medien haben ihr Schärflein dazu beigetragen, die Nachbarschaftsverhältnisse zwischen Österreich und Tschechien zu trüben. Denn die meisten Informationen, so Franz Birk von der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik, würden über die Medien transportiert. Ein Drittel der befragten Österreicher fühle sich über Ungarn oder Slowenien sehr gut informiert, in Bezug auf Tschechien könne dies nur ein Viertel behaupten. Und das, obwohl über Tschechien vergleichsweise viel berichtet worden sei und werde. Dazu Franz Birk:
"Interessant ist, dass Tschechien in der medialen Diskussion am stärksten präferiert wurde und da ist der Vorwurf interessant, dass man die Tschechen nicht in dem Sinne mag wie alle anderen, vor allem Temelin, in jeder Facette, bis zur Grenzblockade und Veto beim Beitritt, aber auch die Benes-Dekrete. Und auf die Rückfrage, was diese denn beinhalten würden, sind fast drei Viertel der Bevölkerung völlig ahnungslos. Das heißt also, hier ist die mediale Information eindeutig durchgegangen."
Gerade Temelin wurde von den österreichischen Medien ausgeschlachtet. Dabei dürfe aber nicht vergessen werden, dass dieses Thema ein besonders pikantes ist: Österreich habe seinerzeit viel Steuergeld verwendet ein Atomkraftwerk zu bauen - um es dann letztendlich doch nicht in Betrieb zu nehmen. Und aus dieser Überlegung heraus, resümiert Gerhard Bauer, sei eine neue Religion entstanden:
"Die Religion heißt: Wir haben keine Atomkraft, daher soll auch Europa keine Atomkraft haben. Das ist nicht feindselig der Tschechischen Republik und den Bürgern gegenüber. Andererseits gibt es auch in der Tschechischen Republik sehr militante Gegner der Atomkraft."
Obwohl Österreich von der EU-Erweiterung am meisten profitiert hat, will es sich mit seinen vier neuen Nachbarn nicht so recht - oder zumindest nicht so schnell - anfreunden. Die größten Vorbehalte hegt es gegen die Slowakei: Selbst zwei Jahre nach der Erweiterung ist noch jeder fünfte Österreicher in der Grenzregion gegen die EU-Mitgliedschaft der Slowakei. Auch in Bezug auf Tschechien ist die Ablehnung noch ziemlich groß, allerdings sinkt sie seit 2001 kontinuierlich, wie ein Vergleich der Studien ergeben hat. Dafür steigt die Anzahl derjenigen, denen die EU-Mitgliedschaft Tschechiens egal ist. Im Gegensatz dazu scheint das deutsch-tschechische Nachbarschaftsverhältnis etwas entspannter zu sein. Die Gründe dafür erläutert Manfred Güllner, forsa-Chef und Vorsitzender der Deutschen Paul Lazarsfeld-Gesellschaft:
"Die generelle Einstellung zu Europa in weiten Teilen Deutschlands ist etwas positiver als in Österreich, das mag mit der Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg zusammenhängen, Adenauers Westintegrationspolitik und ein klares Bekenntnis zu Europa hat hier eine doch europafreundliche Grundstimmung, zumindest in der alten Bundesrepublik, gelegt, und die ist bis heute. geblieben. An ein paar Punkten sieht man, dass die Ergebnisse in Deutschland ein bisschen freundlicher sind als in Österreich."Vor allem bei der Frage nach der Sicherheit scheiden sich die Geister der Nachbarn: 25 Prozent der Deutschen sind der Meinung, dass sich die Sicherheit in der Grenzregion durch den EU-Beitritt Tschechiens verbessert hätte. Von den befragten Österreichern glauben dies lediglich sechs Prozent. Die Sicherheit, so Gerhard Bauer, sei kein rationales Thema und reiche von der Kriminalität bis hin zur Verkehrsproblematik. In allen Punkten sehen die Österreicher durch die EU-Erweiterung häufiger eine negative Entwicklung als die Deutschen. Eine Ausnahme bildet die Frage nach dem Arbeitsmarkt: Durch den neuen Nachbarn, so meinen zwölf Prozent der Österreicher, aber nur vier Prozent der Deutschen, habe sich die Arbeitsplatzsituation in ihrer Region verbessert. Andererseits sieht sowohl mehr als die Hälfte der deutschen als auch der österreichischen Befragten eine Verschlechterung der Situation. Deutliche Unterschiede gebe es auch innerhalb der vier untersuchten deutschen Bundesländer Brandenburg, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Bayern, meint Manfred Güllner weiter. Bayern weicht in den Ergebnissen meist ab: Im Vergleich zu den anderen Ländern haben hier fast doppelt so viele Bürger, fast 40 Prozent, eine negative Einstellung zum EU-Beitritt Tschechiens. Gleichzeitig seien die Bayern bei ihren Nachbarn auch seltener auf Besuch, so Güllner:
"Dann sehen wir, dass die Bayern sich dort viel verhaltener aufhalten. Das ist ein Indikator, dass man sich abschottet, dass man sich nicht öffnet, selbst zum Einkaufen fährt man aus Bayern nicht rüber."
Doch gerade der nachbarschaftliche Austausch würde ein gegenseitiges Kennenlernen und damit auch ein besseres Verstehen fördern. Das zumindest zeigen die erfolgreiche Zusammenarbeit und die vielen grenzüberschreitenden Projekte in Wirtschaft, Kultur und Sport, die von den Zaunnachbarn selbst initiiert werden. Denn die Europapolitik beginne eben vor der Haustür, meint Franz Birk von der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik, und sei eine Politik der kleinen Schritte und keine, die von oben verordnet werden könne.
Folgende Hinweise bringen Ihnen noch mehr Informationen über den Integrationsprozess Tschechiens in die Europäische Union:
www.integrace.cz - Integrace - Zeitschrift für europäische Studien und den Osterweiterungsprozess der Europäischen Union
www.euroskop.cz
www.evropska-unie.cz/eng/
www.euractiv.com - EU News, Policy Positions and EU Actors online
www.auswaertiges-amt.de - Auswärtiges Amt