Schwungvolle Melodien der sozialistischen Aufbauära
Der Erste Mai kann viele Assoziationen anbieten - von romantischen Spaziergängen der Verliebten bis hin zu traditionellen Kundgebungen. Der Erste Mai ist aber auch fest mit einer musikalischen Tradition verbunden - der Kampfliedtradition. Und mit dieser hängt offensichtlich auch eine neuere musikalische Produktion zusammen, der eine besondere Rolle beigemessen wurde, nämlich den Aufbau des Sozialismus hierzulande zu stützen. Mahr dazu erfahren Sie von Jitka Mladkova.
Im Frühjahr desselben Jahres wurde der erste slawische Studentenkongress nach Prag einberufen, konnte aber nur in einzelnen nationalen Sektionen an verschiedenen Orten der Landeshauptstadt halb illegal stattfinden. Offiziell war die Veranstaltung verboten. Nachdem die polnisch-ukrainische Sektion ihre Tagung beendet hatte, stimmten die Teilnehmer ein polnisches Lied an, das sich in Windeseile in die Reihen der tschechischen Studentenschaft und anschließend auch bis in ein Arbeiterzentrum verbreitete. Der Titel "Czerwony sztandar", zu Deutsch Rote Fahne, wurde von vielen mit Begeisterung gelernt und gesungen, und zwar mit dem polnischen Text! Nachdem dieser unter dem Titel "Rudy prapor" ins Tschechische übertragen worden war, verbreitete er sich auch schnell in ganz Böhmen und sogar über seine Grenzen hinaus. "Weg mit allen Tyrannen und Verrätern, die alte heimtückische Welt muss sterben, ... " - hieß es u.a. in dem Lied, das allerdings bis zum Jahr 1900 verboten war. Seine Darbietung in der Öffentlichkeit wurde als Hochverrat eingestuft und mit drei Jahren Freiheitsentzug bestraft:
Dieses sowie viele andere emotionsgeladene Lieder waren seinerzeit von tief empfundenen Idealen einer gerechten Welt getragen, zu der auch ein mit Blutvergiessen gezeichneter Weg führen kann. Die Zeit nahm aber ihren schnellen Lauf, brachte zwei grosse Kriege mit sich, und dann war es so weit: Im Osten der geteilten Welt ist eine neue, als fortschrittlich und menschengerecht deklarierte Epoche angebrochen, nämlich die des sozialistischen Aufbaus. Die Tschechoslowakei ging ihren - wie es hieß - "hellen" Tagen entgegen.
"Vorwärts Genossen, in das verheißene Land ohne Herren und Bettler, wo die Freiheit aus Wolken regnet, vorwärts mit linkem Bein und keinen Schritt zurück!"
Die Ideale von früher passten auch in das neue Konzept des realen Sozialismus. Man musste sie aber natürlich dem Zeitgeist anpassen, im Sinne der regierenden Staatspartei, versteht sich. Der tonangebende Zeitgeist war durch niemand geringeren als den ersten Arbeiterpräsident Klement Gottwald höchstpersönlich verkörpert. Das treue Volk soll seinem Präsidenten folgen, der es immer höher und höher führe, denn die Wirklichkeit sei nun kein Traum mehr...
Klement Gottwald starb nur wenige Wochen nach seiner Rückkehr aus Moskau vom Begräbnis des Genossen Stalin. Man schrieb das Jahr 1953. Drei Jahre später hielt Nikita Chruschtschow seine historische Rede, in der er den Personenkult verurteilte. Das war aber schon eine Zeit, zumindest hierzulande, in der nicht mehr besungene Präsidenten, sondern Lieder über einfache Menschen aus dem Volk und ihre Lebensgeschichten aus dem glücklichen Alltag des sozialistischen Fortschritts den Werktätigen Optimismus einflößen sollten. Eine hohe Dosis davon vermittelte seinerzeit zum Beispiel der singende Traktorist Bedrich Kolihac, der 1954 mit der Gruppe Hvezda (Stern) den Titel Dobry den / Guten Tag produzierte.
Diesen musikalischen Gruß, gerichtet an Helden des Alltags - eine "Mutti im Kopftuch", deren Wäsche schön in der Sonne trocknen soll, oder aber eine ganze Gruppe marschierender Männer, deren Seelen sich wiederum mit guter Laune füllen mögen - haben in den 50er Jahren viele vor sich hin gesungen und gepfiffen!
wissenschaftlich-technischen Fortschritt. Hingerissen war etwa das renommierte Jazzorchester Gustav Brom, als am 12. April 1962 Jurij Gagarin als erster Mensch in der Raumkapsel Wostok 1 ins All geflogen war.
Dobry den majore Gagarine - Guten Tag, Major Gagarin, endlich ist es wahr geworden, wir stoßen auf sie an!
Dieses Lied war ein Volltreffer. Es wurde zum neuzeitlichen Schlager, den alle kannten und viele gerne mitsangen. Mit der Zeit verlor aber auch diese Thematik an Attraktivität und musste bald den gängigen Popmusiktiteln weichen, die in den 60er Jahren auch hierzulande unaufhaltsam im Aufmarsch waren.