"Der neunte Tag" - Das Schlöndorff Interview

'Devaty den' / 'Der neunte Tag'

Anlässlich der Premiere des Films "Der neunte Tag" - "Devaty den" in Tschechien war der Regisseur Volker Schlöndorff vor Ort und gab Radio Prag ein Exklusivinterview. Spätestens seit seiner Oskarauszeichnung für die Literaturverfilmung "Die Blechtrommel" ist der deutsche Regisseur weltweit bekannt. In dem Gespräch mit Miriam Goetz und Svenja Mettlach erzählte der Oskarpreisträger mehr über sich, die Geschichte des Films und die Dreharbeiten von " Der neunte Tag" in Prag.

'Devaty den' / 'Der neunte Tag'
Abbe Henri Kremer befindet sich zur Zeit des 2.Weltkriegs im KZ Dachau. Unverhofft erhält er neun Tage Heimaturlaub. Kaum in Luxemburg angekommen, erfährt er jedoch durch seinen Gegenspieler, Gestapo-Chef Gebhardt, welche Rolle ihm die NS-Besatzung zu gedacht hat. Der luxemburgische Bischof weigert sich standhaft mit dem NS-Regime zu kollaborieren. Entweder überredet Kremer seinen Bischoff zur vollständigen Kooperation der Kirche im Dienste des Nationalsozialismus oder er muss ins KZ zurückkehren. Für seine Entscheidung hat er neun Tage Zeit. Dies ist der Inhalt des Films "Der neunte Tag", der auf den Tagebüchern von dem Luxemburger Priester Jean Bernard basiert. Die Dreharbeiten zu " Der Neunte Tag" fanden in Prag statt. Neben dem eingeschränkten Budget von 1,5 Million Euro spielte für einen Film dieser Art die Atmosphäre eine bedeutende Rolle. Das heißt das Filmteam konnte in Prag auf Kulissen zurückgreifen, die denen der Zeit des zweiten Weltkriegs ähneln. Lobend erwähnt Schlöndorff die Arbeit mit den tschechischen Kollegen. Und was war für ihn das Besondere an den tschechischen Komparsen?

"Es ist etwas in den Gesichtern. Die sind noch nicht so glatt, die sind individueller. Man sieht ihnen irgendwie das Menschsein und eine harte Vergangenheit eher an, als etwa, wenn ich den Film in Bayern gedreht hätte. Und als Regisseur, gerade in so einem Lager, ist man sehr auf die Physiognomien angewiesen. Sie können ja im Grunde das Leiden nur auf dem Umweg über die Schauspieler und Darsteller herstellen. Deshalb war ich schon sehr beeindruckt von der Art, wie die tschechischen Komparsen sich dem ausgeliefert haben. Sie haben es auf sich genommen, bei minus zehn Grad in der Kälte mit diesen dünnen Klamotten und zum Teil barfuss mitzumachen. Ich glaub, da hätten wir in Deutschland Schwierigkeiten gehabt. Das ist nicht nur eine Geldfrage, sondern auch eine Frage der Einstellung."

Welchen Einfluss seine eigene Biographie auf den Film und die Interpretation der Priesterfigur hatte, beantwortet der 67-jährige wie folgt:

"Das hätte ich mir sicherlich nicht zugetraut einen Priester darzustellen, wenn ich nicht damals, als 16-jährige, in ein Internat in Frankreich gekommen wäre. Das war ein Jesuiteninternat und die Priester haben mich sehr beeindruckt. Zunächst Mal haben sie mich ermutigt, ich solle doch Filmregisseur werden, wenn mir das so wichtig sei. Er muss ja nicht unbedingt Arzt, Architekt, Rechtsanwalt oder irgendwas werden. Ich konnte mir die Figur des Priesters gut vorstellen, weil ich aus eigener Anschauung diese kannte. Von der abgewetzten Sutane mit den falschen Knöpfen bis zu der Bescheidenheit im Umgang mit anderen - also diese Umilitas. Auf der anderen Seite aber auch so eine Heiterkeit und innere Überzeugung, die es erlaubt mit den schwersten Widrigkeiten umzugehen. Die hatten eben den Glauben, ich hab den nicht. Ich arbeite bis heute an meinem Verhältnis zum Glauben. Ich weiß nicht genau, wie das aussieht, aber ich hab gesehen, wer den Glauben hat, ist im Vorteil."

Der "Neunte Tag" hat eine enorme Wirkung und ist zugleich in einer sehr einfachen, nicht überhöhten oder dramatisierten Form inszeniert und gedreht worden. Warum Schlöndorff diesen suggestiven Stil und weniger die Konfrontation wählte, erklärt er wie folgt:

"Ich wollte es halt sehr subjektiv halten. Ich wollte, dass man das Leid mit dem Betroffenen nachempfindet. Der Betroffene ist eben, vor allem, wenn er im Lager ist, aber auch nachher in Luxemburg, so geschwächt, dass er eben nicht diesen Panoramablick für alles hat, was außerdem noch so los ist. Sondern er hat ein ganz eingeschränktes Gesichtfeld - Wie man so ist, wenn man erschöpft ist. Man sieht nur noch einen ganz kleinen Ausschnitt. Man sieht nur noch die Hacken von dem, der vor einem geht. Oder man sieht die Faust, die einen trifft, aber nicht mehr den Mann und die Uniform dahinter. Also diese subjektive Art und Weise, wie man das empfindet, die ich aus dem Tagebuch übernommen hab, das war auch sozusagen der Schlüssel für die Inszenierung."

Ursprünglich hatte sich der aus Wiesbaden stammende Oskarpreisträger ausgesprochen nie einen KZ Film drehen zu wollen. Warum nun aber der Sinneswandel?

"Ja, so widerspricht man sich im Leben. Nein. Damals nach dem Krieg, als junger Mensch, als ich die Dokumente gesehen hab, hab ich wie so viele gedacht, das kann man nicht im Spielfilm darstellen. Das ist so ungeheuerlich, das entzieht sich der Inszenierung. Dann bin ich aber doch schwach geworden, weil das Buch von diesem Priester der im KZ war, einfach ein wunderbar geschriebener, ganz sachlicher, nüchterner Text ist. Beinahe wie in Großaufnahmen, beschreibt er die Ankunft im Lager, den täglichen Ablauf, die ganzen vielen kleinen Schikane, die kaputten Füße und Hände und wie man liegt. Also die ganzen Absurditäten innerhalb des Grauenhaften, dass ich mir gesagt habe, das ist ja beinahe wie ein Drehbuch geschrieben, das kann man mit der Kamera in Großaufnahmen auflösen. Aber das Entscheidende war, dass irgendwie nach zehn Minuten Film oder zehn Drehbuchseiten, das Ungeheuerliche geschieht - er wird entlassen. Er kommt nach Hause, nach Luxemburg. Dort wird ihm aber gesagt, 'Nein, nein, Sie sind nicht entlassen, wir wollten uns nur mal paar Tage mit Ihnen unterhalten, dann müssen Sie wieder zurück. Es sei denn, Sie arbeiten irgendwie mit uns zusammen.' Und dies ist die klassische Einheit von Zeit und Ort für ein großes Drama um einen Konflikt."

Die von Schlöndorff beschriebene Konfliktsituation bedeutet eine Entscheidung zwischen Leben und Tod. Sie betrifft nicht nur das Schicksal des Abbe Kremer, sondern auch das seiner Freunde und seiner Familie. Zur Dramatisierung dieses harten Konflikts und des bevorstehenden Verrats, taucht im Film das Motiv des Judas und Jesus auf. Warum wählte der Regisseur diese Konstellation und wie verarbeitete er die Beziehung zwischen dem Offizier und dem Priester?

"Das hat sich eigentlich eingeschlichen, das war nicht so beabsichtigt. Das Vorbild, Jean Bernard, hatte über die Zeit im Lager und nicht konkret über diese eine Woche oder acht Tage Urlaub, die er da hatte, Tagebuch geschrieben. Er hat nicht genau beschrieben, worum die Gespräche liefen. Da haben wir uns also wieder an Vorbildern orientiert. Der Nationalsozialismus hat sich im Grunde wie eine Ersatzreligion dargestellt und hat damit auch die Leute eingefangen. Hitler wurde gesehen als der große Messias, der Deutschland rettet. Der Erlöser, der uns die Vorsehung geschickt hat. Auf einmal merkte man, in dem ganzen Narzissmus ist unheimlich viel Psyeudoreligiöses gewesen, um die Deutschen damit einfangen zu können. Daraus ergibt sich automatisch die Haltung von dem Judas, den man umgemünzt hat. Man hat gesagt, Jesus wäre nicht möglich gewesen ohne Judas. Man hat sozusagen den Verrat des Judas nicht als eine Sünde, sondern als große Tat gefeiert. Also der Verräter als tragische Figur, um auf diese Art und Weise dem Priester seine Entscheidung zu erleichtern, in dem man ihm sagt, 'Aber wenn du ein Verräter bist, das ist gar nichts Schlimmes, damit kannst du auch die Menschheit weiterbringen.' Das sind natürlich teuflische Argumente."

Gibt es aber eine eindeutige gute und böse Seite? Stellt sich also auch im Film der Teufel durch den Gestapo-Chef Gebhardt dar?

"Der ist eher der Verführer. Es geht um eine klassische Verführungssituation. 'Also wenn du uns hier deine Unterschrift gibst, dann verschaffen wir dir viele Vorteile und vor allen Dingen darfst du erstmal weiterleben. Das ist ja wohl der allergrößte Vorteil.' Insofern ist es eine Versuchungsgeschichte. Aber auf keinen Fall ist der Priester für mich ein Heiliger. Der hat auch seine Schwächen, das ist auch ganz wichtig. Man sieht zum Beispiel im Lager, wie er sein Wasser nicht teilt, eher einen anderen verdursten lässt und selbst das Wasser trinkt. Er ist kein Heiliger und der andere ist auch kein Teufel. Ich habe da auch schon bei der Auswahl der Schauspieler darauf geachtet, möglichst nicht so eine Schwarzweißmalerei von gut und böse zu machen. Ich glaube, jeder von uns hat etwas von einem Täter und jeder hat etwas von einem Opfer in sich. Und wenn man das nicht anerkennt, dann versteht man sich selbst und auch die anderen nicht."