Geschichte der tschechischsprachigen BBC-Sendungen (Teil 2)

BBC Prag (Foto: www.bbc.co.uk/czech)
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Ende Januar werden auch die letzten tschechischsprachigen Sendungen der BBC definitiv eingestellt, Radio Prag hat bereits mehrfach berichtet. Grund für diese Entscheidung des BBC World Service ist in erster Linie die veränderte politische Großwetterlage. Während die BBC im Zweiten Weltkrieg und unter dem kommunistischen Regimes für viele Tschechen die einzige objektive Informationsquelle war, fiel diese Existenzberechtigung nach 1989 weg. Das bevorstehende Ende der tschechischsprachigen BBC, das unter ihren Hörern eine Welle von Protesten hervorgerufen hat, nehmen wir auch heute zum Anlass für einen Rückblick auf die bewegte Geschichte des Senders. Vor zwei Wochen haben wir mit Ihnen im Medienspiegel auf die Anfänge der tschechischen BBC im Jahr 1939 und ihre Entwicklung bis 1989 zurückgeblickt. IN dieser Sendung geht es um die Zeit nach 1989. Über die tschechischsprachigen BBC-Sendungen unter demokratischen Bedingungen hat sich Silja Schultheis mit Petr Brod unterhalten, dem langjährigen Leiter des Prager BBC-Studios.

Herr Brod, was waren 1989, nach der Samtenen Revolution in der Tschechoslowakei, die ersten Überlegungen in der BBC? Gab es Erwägungen, die Sendungen möglicherweise einzustellen, da sie angesichts der veränderten politischen Verhältnisse gar nicht mehr nötig sind?

"Ja, diese Überlegungen hat es gegeben, weil man wieder an einem Zeitpunkt angelangt war, der ein bisschen der Nachkriegsphase ähnelte, ich meine der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Ein Krieg war gewonnen, jetzt hatte man den Kalten Krieg gewonnen aus westlicher Sicht und die Frage war: Soll man unter ganz anderen Umständen weitermachen? Die Gegnerschaft zum Kommunismus war verschwunden, im Zielgebiet gab es jetzt freie Medien. War es denn nötig, weiter die britische Sicht der Welt mit diesen Mitteln zu vermitteln? Das war die Frage, die sich Anfang der 90er Jahre ergab. In anderen Fällen hat die BBC auch schneller reagiert als bei den tschechischen und slowakischen Sendungen. Die deutschen Sendungen der BBC wurden abgeschafft, teilweise deshalb, weil die DDR von der Bildfläche verschwunden war. Aber schließlich meinte man, das sei jetzt eine Übergangsperiode, man müsse vielleicht auch dazu beitragen, dass diese Länder jetzt schnell ihren Weg zur pluralistischen Demokratie und Marktwirtschaft finden. Und dass man vielleicht auch die Medienkultur kultivieren kann, indem man mit gutem Beispiel voranschreitet. Also jedenfalls wurden die Sendungen in die osteuropäischen Länder fortgesetzt. In dieser Situation hat der damalige und heutige Leiter der tschechischsprachigen Sendungen, Vit Kolar, beschlossen zu versuchen, dass man das Gros der Produktion nach Prag verlagert, weil das auch die Kosten in entscheidendem Maße senken würde. Das war übrigens ein Prozess, den in wesentlich größerem Maßstab auch Radio Free Europe durchmachte. Radio Free Europe wurde Mitte der 90er Jahre ganz von München nach Prag verbracht, wo es noch heute beheimatet ist. Etwas Ähnliches hat der tschechische Dienst der BBC gemacht. In Tschechien wurden die Sendungen von etwa zwei Stunden pro Tag auf fünf Stunden pro Tag erweitert. Wir versuchten, ein möglichst modernes Nachrichtenradio zu gestalten, mit Nachdruck auf Nachrichten und Zeitgeschehen, also Hintergrundberichten. Das bedeutet, der Anteil der Musik ist sehr gering, in unserem Falle fast null. Und das macht auch den großen Unterschied sowohl zu den kommerziellen Sendern in Tschechien als auch zum öffentlich-rechtlichen Tschechischen Rundfunk aus, jedenfalls zu dessen Nachrichtenkanal."

Der damalige tschechische Präsident Vaclav Havel hat Ende 1990 Jahre die BBC als gesunde Konkurrenz zum Tschechischen Rundfunk bezeichnet. Haben Sie das von Anfang an so empfunden?

"Ich glaube, der Unterschied war evident. Wir fühlten auch, dass das Radiozurnal, also der Nachrichtenkanal des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, für uns die Hauptkonkurrenz war und dass wir es besser machen mussten. Das war unser Bestreben und das haben wir, glaube ich, auch erreicht. Ich will nicht verhehlen, dass wir natürlich gewisse Vorteile hatten. Der Tschechische Rundfunk als der öffentlich-rechtliche Rundfunk eines kleinen Landes hat relativ beschränkte Finanzmittel zur Verfügung und ein sehr beschränktes Netz von eigenen Auslandskorrespondenten. Wir konnten auf die ganzen Nachrichtenquellen der BBC zurückgreifen, also auch die Berichte der englischsprachigen Korrespondenten der BBC aus der ganzen Welt verwenden. Also, insofern war unser Programm vielleicht auch attraktiver."

Jetzt haben wir über Konkurrenz gesprochen. Sie haben vorher gesagt, dass Sie es auch als Ihren Auftrag empfunden haben, die Medienlandschaft hier kultivieren zu helfen. Wie sieht es jetzt, 16 Jahre nach der Wende, Ihrer Meinung nach aus - ist die Rundfunklandschaft dank der BBC kultivierter geworden?

"Ich glaube, es ist insofern gelungen, als wir eben lange ein gewisses Beispiel boten. Und das zeigt sich auch darin, dass man jetzt, wo die Sendungen aufhören, von verschiedenen Seiten Angebote bekommt. Insofern hat man den Eindruck, dass Kollegen aus anderen Medien unsere Arbeit sehr stark wahrnahmen und Interesse haben an Leuten, die jetzt die BBC verlassen müssen und andere Aufträge suchen. Das ist das eine. Das andere ist, dass man lange beobachtet hat, wie die BBC verfährt und dass man gewisse Praktiken auch selbst übernimmt. Dass man sich z.B. auch schon bei der Ausbildung der Journalisten sehr für den ethischen Kodex der BBC interessiert, also für die Grundregeln der journalistischen Arbeit, die die BBC ihren Anfängern und auch Veteranen vermittelt. Und insofern, glaube ich, haben wir schon ein bisschen zur Kultivierung und Veränderung der Medienlandschaft beigetragen. Was wir nicht ändern können, ist die Größe des Landes. Das zeigt sich auch im Tschechischen Rundfunk, ich habe es schon erwähnt, und ich glaube, es zeigt sich auch in der gedruckten Medienlandschaft. Es gibt in diesem Land keine große Zeitung, die in der Tiefe ihrer Berichterstattung ein bisschen der Tiefe der Berichterstattung der BBC auf den Rundfunkwellen entsprechen würde."

Auf der einen Seite wird in letzter Zeit immer häufiger von einer Boulevardisierung der Medien gesprochen, auch der öffentlich-rechtlichen. Auf der anderen Seite gab es in Zusammenhang mit dem Ende der tschechischsprachigen BBC-Sendungen eine wahre Welle von Hörerbriefen, die ihr Bedauern zum Ausdruck gebracht haben. Glauben Sie, dass es in Tschechien eine zunehmende Zahl von Menschen gibt, die sich eben doch für tiefer gehende Hintergrundberichte interessieren?

"Ich glaube, die gibt es. Die gibt es natürlich vor allem in den intellektuellen Schichten - unter den Staatsbeamten, unter Studenten und jüngeren Leuten. Aber diese Gemeinschaft, sozusagen, ist nicht groß genug, um z.B: eine große Zeitung zu tragen oder um jemanden dazu zu bringen, in ein Radio wie die BBC zu investieren. Es gab in den letzten Wochen einen kleinen Rettungsversuch: Die BBC hat mit einem tschechischen Investor darüber verhandelt, ob man die tschechischsprachigen Sendungen der BBC in einen kommerziellen Sender verwandeln könnte. Dieser Versuch ist gescheitert, weil wahrscheinlich beide Seiten zu dem Schluss gekommen sind, dass sich so ein Radio auf dem kommerziellen Markt nicht behaupten würde."

Der Rettungsversuch ist leider gescheitert - wie geht es jetzt weiter? Es ist, so weit ich weiß, noch nicht, entschieden, ob es die englischsprachigen BBC in Tschechien weiterhin geben wird...

"Bis Ende Januar laufen weiter unsere sechsminütigen Nachrichtenbulletins. Außerdem wird die Webseite bis Ende Januar aktualisiert und danach ist wirklich Schluss. Was mit den Wellenbereichen passiert, die uns zur Verfügung stehen, wissen wir noch nicht. Die BBC hat jedenfalls den Antrag gestellt beim Rundfunk- und Fernsehrat, diese Wellenbereiche weiterhin für ihre englischsprachigen Sendungen des BBC Word Service zu nutzen. Ob das gelingt, weiß ich nicht. Ich glaube, da wird der politische und auch kommerzielle Druck von anderen Sendeanstalten, die diese Frequenzen gerne benutzen würden, sehr groß sein."

Wie geht es für Sie persönlich jetzt weiter?

"Ich habe bislang nur vage Vorstellungen. Ich will irgendwo im Medienbereich bleiben, aber auch andere Dinge machen, denn ich habe auch Hobbies, die in eine etwas andere Richtung führen - Geschichte und Vermittlung von Geschichte. Also es kann sein, dass ich auch ab und zu unterrichten werde und mich anderen Dingen als den Medien widmen werde. Aber das muss sich im Laufe des Jahres herauskristallisieren."