Sachsen: Nicht nur ein wichtiger Handelspartner für Tschechien
Dieser Tage wurden wiederholt positive Zahlen der tschechischen Außenhandelsbilanz publik gemacht. Die Rede war von einer echten Rekordwelle in der Geschichte der Tschechischen Republik. Die im September festgestellte Exportsteigerung um 5,3 Prozent ist zum Großteil auf den gegenwärtigen Boom der tschechischen Automobilindustrie zurückzuführen. Dass Tschechien in diesem Bereich auch für das benachbarte Sachsen ein bedeutender Handelspartner ist, bestätigte vor etwa einer Woche der Ministerpräsident des Freistaats, Georg Milbradt, bei einem eintägigen Arbeitsbesuch in Prag. Doch nicht nur das war Thema eines Interviews, das mit Milbradt Jitka Mladkova geführt hat. Milbradt ging darin u.a. auch auf die aktuelle politische Lage in Deutschland nach der Bundestagswahl ein und räumte ein, dass sich diese auch auf die Situation in Europa und damit namentlich auf die kleineren EU-Länder auswirken könnte.
"Der Motor in Deutschland, der für das europäische Projekt von Interesse und von großer Wichtigkeit ist, der stottert eben im Augenblick. Meine Befürchtung ist, dass Deutschland, wenn die Probleme in Berlin nicht gelöst werden, die wirtschaftliche und europapolitische Dynamik nicht zurückfindet und das europäische Projekt Verzögerungen erleidet. In der Vergangenheit war es immer so, dass wenn in den großen europäischen Ländern nicht genügend Bereitschaft zur Zusammenarbeit und zum Fortschritt in der Europäischen Union existiert, insbesondere zwischen Deutschland und Frankreich, und wenn auch die ökonomischen Impulse nicht da waren, dass dann auch die kleineren Länder darunter gelitten haben. Aber das ist meine Befürchtung. Meine Hoffnung ist natürlich genau umgekehrt, dass es gerade auch wegen der europapolitischen Bedeutung gelingt, dieses zu vermeiden. Ich gehe davon aus, dass die neue Regierung unter Frau Merkel europapolitisch - ähnlich wie unter Helmut Kohl - nicht nur eine starke Zusammenarbeit der großen europäischen Nationen einschließlich Russlands favorisiert, sondern auch das Gespräch mit den mittleren und kleineren europäischen Ländern sucht. Insbesondere in Ost- und Mitteleuropa. Denn dort hat Deutschland aufgrund seiner geographischen Lage eine besondere Verantwortung".
Sie waren vor einem Jahr in Prag, damals ist Tschechien gerade EU-Mitglied geworden. Können Sie eine kleine Bilanz über den zurückliegenden Zeitraum ziehen?
"Wir bauen sowohl auf der deutschen als auch auf der tschechischen Seite die Verbindung Chemnitz - Komotau (Chomutov) - Prag aus. Die Tschechen bauen die Umgehung in Komotau, wir bauen die Umgehung in Marienthal. In Reitzenhain wird der Grenzübergang verbessert, so dass diese Achse dann auch für den schweren Lastwagenverkehr zugelassen wird."
Nach 15 Jahren Verhandlungen konnte auch eine Übereinkunft mit Polen über einen drei Kilometer langen Straßenabschnitt erreicht werden, sodass der Verbindung zwischen Zittau und Liberec/Reichenberg nichts mehr im Weg steht.
"Der Beitritt war ein Erfolg, wenn man als Maßstab den Warenaustausch nimmt. Der hat in den letzten Monaten stark zugenommen. Die katastrophalen Verkehrsverhältnisse in Zinnwald sind ja ein "gutes" Beispiel dafür und auch für die Notwendigkeit einer Autobahn. Gerade zwischen Sachsen und der CR gibt einen intensiven gegenseitigen Austausch im Bereich der Automobilzulieferung. Das ist ein gutes Zeichen, denn man sieht am Beispiel der Automobilindustrie, wie die Wirtschaftsräume im Sektor Automobilbau zusammenwachsen. Das ist aber nicht nur zwischen Sachsen und der Tschechischen Republik der Fall. Man muss sicherlich auch die Entwicklung in der Westslowakei, in Westungarn und in Schlesien hinzufügen. Die ist in allen drei Fällen außerordentlich positiv. Allerdings stelle ich hier in Tschechien und speziell in Prag eine hohe wirtschaftliche Dynamik fest, die leider bei uns auf der anderen Seite noch fehlt. Es ist ganz offensichtlich, dass das Land hier von der Öffnung profitiert hat. Es herrscht hier eine Aufbruchstimmung und ich kann die Tschechen nur zu diesem Erfolg beglückwünschen."
Schon vor einem Jahr war bei Ihrem Besuch in Prag von einem enormen Verkehrsaufkommen die Rede. Wie sehen Sie es heute, die Grenze ist ja keineswegs durchlässiger geworden...
"Das ist richtig. Wir brauchen neue Verkehrsverbindungen und wir müssen die alten auch qualitativ verbessern. Das größte Projekt, das aber auf einem guten Weg ist, ist die Autobahn Berlin - Prag, oder erst speziell auf unserer Strecke Dresden - Prag. Wir sind mit der Autobahn bis Pirna gekommen. Die letzten Kilometer zur Grenze nach Böhmen werden bis zum Ende des Jahres 2006 fertig sein. Auf der tschechischen Seite wird auch mit großem Nachdruck gebaut, sodass ich davon ausgehe, dass unsere damalige Vereinbarung - nämlich Ende 2006 einen durchgängigen Verkehr über das Erzgebirge bis hin nach Teplitz zu haben - erfüllt sein wird. Es bleibt dann noch ein kleineres innertschechisches Problem, und zwar der Autobahnabschnitt durch das Tschechische Mittelgebirge. Aber ich gehe auch davon aus, dass das nicht in allzu ferner Zeit gelöst wird. Aber allein schon die Autobahn bis Teplitz wäre ein Riesenerfolg. Wir bauen sowohl auf der deutschen als auch auf der tschechischen Seite die Verbindung Chemnitz - Komotau - Prag aus. Die Tschechen bauen die Umgehung in Komotau, wir bauen die Umgehung in Marienthal, so dass dann diese Achse auch für schweren Lastwagenverkehr zugelassen werden kann. Dann haben wir noch ein Projekt: Gott sei Dank ist es gelungen, eine Übereinkunft betreffs der Straßenverbindung von der Autobahn Dresden - Görlitz in Weissenberg über Zittau nach Reichenberg und von da aus in das tschechische Autobahnnetz Richtung Prag oder andere Bereiche der Tschechischen Republik mit den Polen zu ereichen. Dieser Staatsvertrag regelt den Bau eines drei Kilometer langen Straßenabschnitts auf polnischem Gebiet. So hoffe ich, dass dieses Projekt, an dem wir schon seit 15 Jahren, seit der politischen Wende, in beiden Ländern arbeiten, nun bald realisiert wird. Wir brauchen auch in diesem Raum eine leistungsfähige Verkehrsverbindung, die die Autobahnsysteme, das deutsche und das tschechische, vernünftig miteinander verbindet."
Gibt es, von den Verkehrsproblemen abgesehen, in den Regionen diesseits und jenseits der Grenze auch in anderen Bereichen einen Nachholbedarf?
"Wir müssen stärker miteinander kooperieren. Das setzt das Erlernen der Nachbarsprache voraus. Neben den vielen kleinen Ortsverbindungen, die natürlich auch technisch gelöst werden müssen, haben wir insbesondere auf der deutschen Seite einen Nachholbedarf, denn das Interesse an der tschechischen Sprache ist sehr viel geringer als das Interesse der Tschechen an der deutschen Sprache, aber ohne eine gemeinsame Sprache wird es nicht funktionieren. Die Probleme allein über das Englische zu lösen, wird im Grenzraum nicht ausreichen. Auch da sind wir dabei, nach Lösungen zu suchen. Hinzu kommt, dass das tagtägliche Miteinander in der Kultur, in der Nachbarschaft, aber auch in der lokalen Wirtschaft ausgebaut werden muss und sich nicht allein darauf konzentrieren kann, dass auf der anderen Seite der Grenze große Märkte oder Tankstellen errichtet werden. Das allein wäre nicht ausreichend, aber das braucht Zeit, ich sehe aber auf beiden Seiten gute Ansätze."
Auf europäischer Ebene wurde eine siebenjährige Übergangsfrist für die Freizügigkeit der Arbeitskräfte ausgehandelt, wobei diese von einzelnen Ländern auch anders geregelt werden kann. Wie sehen Sie das aus sächsischer Sicht?
"Ich sehe im Augenblick, dass Deutschland wegen der fehlenden Strukturänderungen noch nicht in der Lage ist, auf diese Übergangsfrist zu verzichten. Deswegen wird sie wahrscheinlich in der ganzen Länge in Anspruch genommen werden. Denkbar wäre, dies müsste aber die Entwicklung ergeben, dass man gewisse Erleichterungen oder eine Liberalisierung in bestimmten Teilbereichen macht dort, wo die Arbeitsmarktprobleme das in Deutschland zulassen. Es wird sicherlich keine bilaterale Lösung zwischen Tschechien und Deutschland geben, sondern zwischen Deutschland oder der alten EU auf der einen und allen neuen Beitrittsländern auf der anderen Seite. Bei uns ist es nicht in erster Linie ein Problem mit der Tschechischen Republik, sondern mit dem viel größeren Nachbarn Polen. Die Übergangsfrist ist sicherlich aus tschechischer Sicht unbefriedigend, aber ich bitte um Verständnis, dass unsere Arbeitsmarktprobleme eine schnellere Gangart nicht zulassen."Kommen Sie auch mal privat nach Tschechien?
"Ja, natürlich. Ich wohne ungefähr 110 Km von Prag entfernt. Berlin ist wesentlich weiter und Leipzig ebenso. Deswegen bin ich durchaus ab und zu auch am Wochenende hier auf der anderen Seite und genieße die Landschaft oder auch die Kultur. Möglicherweise werde ich noch vor Weihnachten, an einem Adventswochenende, mit meiner Frau wieder in Prag sein."
Vielen Dank für das Gespräch.