Gasthaus "U Medvidku" ist eine neue Erlebnisoase im Herzen Prags

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Der 28. September wird im Land zwischen Eger und Oder als Tag der tschechischen Staatlichkeit begangen. Der noch relativ junge Feiertag geht auf Wenzeslaus von Böhmen, dem ersten von insgesamt vier Premyslidenherrschern namens Wenzel zurück, der zu Beginn des 10. Jahrhunderts das seinerzeit noch auf Mittelböhmen begrenzte Fürstentum regierte. Unterschiedlichen Überlieferungen zufolge wurde er im Jahr 903 bzw. 908 in Altbunzlau, dem heutigen Stara Boleslav, geboren und ebenso dort am 28. September 929 bzw. 935 von seinem heidnischen Bruder Boleslav I. ermordet. Da der Landesfürst sich bis zu seinem gewaltsamen Tod sehr um die Christianisierung seines Reiches bemühte, wurde er nach seinem Ableben auch heilig gesprochen. Seitdem kennt man ihn nur noch als Wenzel den Heiligen, den sich die Tschechen zu ihrem Schutzpatron erkoren haben. Aber nicht nur die Tschechen als Volk im Allgemeinen, sondern auch einige Berufs- und Interessengruppen im Besonderen haben den heiligen Wenzel zu ihrem Patron erhoben. Zu diesen Gruppierungen gehört der Berufsstand der Mälzer, die Wenzel schon im Mittelalter verehrten und seitdem quasi unter seiner Schirmherrschaft jenes edle Gebräu erzeugten und bis heute produzieren, dass die hiesige Volksseele inzwischen auch schon "heilig" gesprochen hat: das Bier nach Pilsener Brauart. Der Böhme und das Bier - diese Paarung ist längst eine Einheit geworden, und das wollen wir Ihnen im nun folgenden Beitrag eindrucksvoll belegen. Dazu hat Lothar Martin eine führende Prager Bierstube aufgesucht, die sich seit einigen Tagen auch eines neuen Landesrekords rühmen kann. Doch hören Sie selbst:

Wenn Sie sich wieder einmal als ein vom Stadtbummel gestresster Besucher in Prag aufhalten und endlich ihren defizitären Wasserhaushalt mit einem kühlen Blonden ausgleichen wollen, dann wenden Sie ihre Schritte vom Kaufhaus Tesco in der Nationalstraße (Narodni) in die gegenüber liegende Straße namens Na Perstyne. Dann wird Ihnen auch nicht entgehen, dass nicht gerade wenige Zeitgenossen in ein an sich nicht besonders auffälliges Gebäude auf der linken Straßenseite einkehren, über dessen Eingängen Sie die Aufschrift "U Medvidku" (dt.: Zu den Bärchen) lesen können. Nur ein paar Schritte später tauchen Sie ein in ein wirres akustisches Gemisch aus klirrenden Biergläsern, rauschenden Zapfhähnen und internationalen Sprachfetzen. Ja, Sie sind mittendrin im so genannten "Haus des Bieres", wie es dessen Betreiber nach der im April dieses Jahres beendeten umfangreichen Rekonstruktion liebevoll bezeichnen. Ing. Jan Göttel, einer der vier Ideengeber des neuen Projektes, erläuterte mir zunächst, weshalb man die finanz- und arbeitsintensiven Raumerschließungen überhaupt auf sich genommen hat:

"Als wir das Haus übernommen hatten, haben wir festgestellt, dass sich unter ihm eine ehemalige Mälzerei befindet, die jedoch in einem katastrophalen Zustand war. Lange Zeit haben wir es nicht für möglich gehalten, dass man diese Mälzerei wird je wieder rekonstruieren können. Und zwar deshalb, weil diese Aufgabe mit sehr hohen Kosten verbunden und weil das Gebäude an sich von keiner Seite aus so richtig zugänglich war."

Gemeinsam mit dem neuen Hausherren, einem Erben des in der Zeit der kommunistischen Herrschaft enteigneten ehemaligen Besitzers des Gebäudes, ist es den Betreibern dann jedoch gelungen, ein Finanzierungskonzept zu erschließen. Und im Geiste der Wiederbelebung der alten Tradition wurde ein Projekt geboren, das man ab sofort unter dieses Credo stellte:

"Wir haben uns praktisch den Arbeitstitel ´Haus des Bieres´ ausgedacht für den Bau, der seit seiner Fertigstellung vier Stockwerke aufweist. Von oben nach unten betrachtet sind das diese Räumlichkeiten: Ein Theatersaal im gotischen Gebäudedachstuhl mit 100 Plätzen, in dem wir sowohl Kabarettveranstaltungen als auch Feiern von Firmen u. dgl. durchführen. Darunter befindet sich die Minibrauerei mit einer Sudhaus-Kapazität von 250 Hektolitern. Das eigentliche Restaurant haben wir um einen größeren Raum erweitert, und ganz unten im Kellergewölbe können Sie unser Biermuseum mit einem Verkaufsgeschäft besuchen. In der hier zu sehenden Ausstellung können Sie neben zur Bierherstellung benutzten Originalexponaten oder einer Fotodokumentation ursprünglicher, brauberechtigter Häuser der Prager Altstadt u. a. auch eine funktionsfähige Böttcherwerkstatt besichtigen. Zum Verkauf bieten wir 20 verschiedene Spezialbiere aus Tschechien sowie ein reichhaltiges Sortiment an Souvenirs wie Trikots, Gläser, Bierkrüge und ähnliche Dinge an."

Ja, die bis zur Wende fast still und leise vor sich hin dümpelnde Kneipe, in der jedoch gestern wie heute ein stets frisch gezapftes Budweiser ausgeschenkt wird, hat sich grundlegend verändert. Deshalb wollte ich es noch einmal ganz genau wissen, über wie viele Plätze die expandierte Gastlichkeit inzwischen verfügt:

"Im Restaurant verfügen wir über nahezu 300 Plätze, im Theatersaal sind es - wie bereits erwähnt - rund 100 Plätze und in der Minibrauerei 40 Plätze. Darüber hinaus haben wir noch eine Bierbar mit 40 Plätzen und ein Gartenlokal für die warme Jahreszeit mit 50 Plätzen."

Nach der Entdeckung der alten Mälzerei, ihrer Rekonstruktion und Wiederinbetriebnahme kann das Gasthaus "U Medvidku" neben dem beliebten Budweiser nun ebenso - wenn auch in einem begrenzten Umfang - eigene, selbstgebraute Biersorten anbieten. Das gibt dem "Haus des Bieres" sowohl eine eigene individuelle Note als auch die Gewähr, dass sich die Skala der Besucher inzwischen vom Stammgast, über den neugierigen Touristen bis hin zum Feinschmecker erstreckt. Jan Göttel verrät es Ihnen, welche Biere Sie neben dem Budweiser noch hier verköstigen können:

"Wir brauen regelmäßig ein 13-grädiges Lagerbier, dem wir den Namen Oldgott gegeben haben. Völlig außer der Reihe haben wir inzwischen auch unser erstes Starkbier produziert, dass wir als Bier X-30 bezeichnet haben, weil wir ihm beim Zusammenstellen der Zutaten einen 30-prozentigen Zuckergehalt beigefügt haben. Dieses Bier konnten wir wegen des zeitlich langen und manuell hohen Arbeitsaufwandes nur in einer Menge von ca. 500 Litern brauen, die im Nu verbraucht waren. Aber wir haben bereits den zweiten Sud angesetzt, den wir allerdings erst im neuen Jahr verkosten können. Und zwar deshalb, weil dieses Bier eine Gärungszeit von 30 Wochen hat. Richtig ist jedoch, dass dieser Sud voraussichtlich ein Starkbier mit einer Stammwürze von 32 bis 35 Prozent hervorbringen wird. Wir können das jetzt noch nicht genau sagen, denn erst am Ende des Brauprozesses können wir das anhand von Analysen feststellen."

Sollte am Ende des Brauvorgangs im Februar nächsten Jahres ein solcher Stammwürze-Extrakt herauskommen, dann wird die kleine Minibrauerei in der Prager City vermutlich auch ihren erst jetzt mit dem X-30 Bier augestellten Landesrekord ein weiteres Mal verbessern können. Das werden die Verbraucher dann auch bei der Wirkung des Bieres zu spüren bekommen. Denn nachdem man beim Genuss der X-30-Ausgabe ein Starkbier mit einem Alkoholgehalt von 11,8 Prozent zu sich nahm, soll sich der Alkoholwert bei dem neuen Sud auf rund 13 Prozent erhöhen. Aber bis dahin muss noch jede Menge Schweiß fließen, besonders beim Mälzer Ladislav Veselý, der schon bei der Gärung des X-30 Bieres erfahren musste, welch anstrengende Handarbeit damit verbunden ist:

"Der Menge muss, damit sie einen stärkeren Alkoholgehalt hat, mehr Malz beigemengt werden. Und das Gemisch aus Wasser und Malz ergibt dann einen solch dicken Brei, den man fast gar nicht mehr umrühren kann."

Nach all der Anstrengung wusste Braumeister Vesely bei der Verkostung des X-30 Bieres aber schon mit einem Grinsen im Gesicht hinzuzufügen:

"Nun, ich habe einige Kilo abgenommen, denn es geht darum, dass man ständig fast eine Stunde lang ununterbrochen umrühren muss, damit der Sud nicht verbrannt wird. Ansonsten hat das Umrühren keine Qualität. Das ist ein Prozess, der um ein Drittel länger dauert, als der normale Brauvorgang."

Umso größer war nach der Gärung die Freude über das Ergebnis, nämlich ein Starkbier, das in der Tat vorzüglich mundete, und das man trotz seiner Stärke auch als ein trinkbares Bier bezeichnen durfte. Einer, der das Glück hatte, das X-30-Bier mit verkosten zu dürfen, war der freie Mitarbeiter von Radio Prag, Stefan Naumann, der das Erlebnis so beschrieb:

"Ich habe einen sehr guten Eindruck gehabt und war positiv überrascht, denn ich habe es mir anders vorgestellt, weil es sich ja immerhin um ein starkes Bier handelt. Es schmeckt leicht süß und im Nachgeschmack angenehm bitter."

Nach all dem hier Geschilderten wird klar, dass das Gasthaus "U Medvidku" schnell zu einer neuen Erlebnisoase im Herzen Prags aufgestiegen ist und dass es die Konkurrenz nicht mehr scheuen muss. Allen voran das vor ihm als die Lokalität mit der kleinsten eigenen Brauerei gehandelte Wirtshaus "U Fleku". Darauf angesprochen, erwiderte mir Betriebswirt Göttel:

Foto: Simona Kalasova
"Die U-Fleku-Betreiber sind selbstverständlich unsere Konkurrenten, auch wenn das ursprüngliche Brauereigasthaus ´U Medvidku´ sogar noch etwas älter war. Es ist aber sicher richtig, dass das ´U Fleku´ als einziges Brauhaus seiner Art ununterbrochen in Betrieb ist und es auch jene Perioden überlebte, in der solch kleine Produzenten mit den großen Brauereien eigentlich nicht konkurrieren konnten. So wie es unserem ´U Medvidku´ ergangen ist."

Die heutigen Macher im "Haus des Bieres" aber haben die Zeichen der Zeit längst erkannt und setzen neben der Qualitätsmarke "Budvar" eben auch auf Originalität und Gastlichkeit. Hierbei weiß Göttel abschließend noch einen Vorteil der eigenen Minibrauerei hervorzuheben:

"Hier, in unserer Minibrauerei, die eine Fläche von 100 Quadratmetern aufweist, können sie eigentlich die gesamte Bierherstellung in einem Zug verfolgen, nämlich vom Beginn bis zum Ende des Brauprozesses. Ganz im Gegensatz zu allen anderen Braugaststätten dieser Art, in denen sie immer nur einen Teil der zum Bierbrauen erforderlichen Komponenten zu Gesicht bekommen, zum Beispiel das Sudhaus. Außerdem bringen wir bewusst eine Technologie zur Anwendung, wie sie woanders schon nicht mehr genutzt wird. Ganz einfach deshalb, um zu zeigen, wie die Brauerei einst funktionierte, bis sie auf längere Zeit ihre Produktion einstellte. Man kann bei uns demzufolge noch offene Maischbottiche, Holzbottiche zum Gären, kupfernes Geschirr oder Holzfässer zu sehen bekommen - also Raritäten, die bei uns ihresgleichen suchen."

Wir aber suchen nun das Weite und überlassen es ganz Ihnen, dem "Haus des Bieres" in der Straße Na Perstyne bei Ihrem nächsten Prag-Besuch einen ausgiebigen Besuch abzustatten. Zu guter Letzt aber noch ein Tipp: Kommen Sie mit einer Vielzahl von Freunden bzw. in einer größeren Gruppe, dann vergessen Sie bitte nicht - insbesondere an Wochenenden - rechtzeitig vorzubestellen. Näheres dazu erfahren Sie auf der Internetseite www.umedvidku.cz