2008-2009: Diplomatische Großmacht Tschechien?

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Tschechien möchte in den Jahren 2008 und 2009 zur diplomatischen Großmacht werden. Zugegeben: Für ein kleines mitteleuropäisches Land klingt dieser Plan vielleicht etwas zu ambitioniert. Dahinter stehen aber ganz konkrete Überlegungen. Denn läuft alles nach Wunsch, dann könnte die Tschechische Republik in dieser Zeit Mitglied des UN-Sicherheitsrates sein und gleichzeitig auch den EU-Ratsvorsitz übernehmen. Bürokratische Mega-Herausforderung oder politische Chance? Hören Sie dazu eine neue Ausgabe des Magazins "Schauplatz" von Gerald Schubert:

Der tschechischen Opposition ist die Vorstellung nicht ganz geheuer: Ein diplomatischer Spagat zwischen New York und Brüssel, konkret zwischen UN-Sicherheitsrat und Europäischem Rat, scheint ihr eine etwas zu komplizierte Übung zu sein. Jan Zahradil, EU-Abgeordneter und außenpolitischer Sprecher der Demokratischen Bürgerpartei (ODS), meinte jüngst in einem Zeitungsinterview, es würde sich dabei um einen "überaus anspruchsvollen Brocken" handeln, und schließt daraus, dass sich die verantwortlichen Regierungsbehörden untereinander schlecht koordinieren. Ist das nur Oppositionsrhetorik oder eine berechtigte Warnung vor einer allzu großen diplomatischen Last? Das haben wir Petr Drulak gefragt, den Direktor des Prager Instituts für Internationale Beziehungen:

Petr Drulak
"Man muss in Betracht ziehen, dass in der Tschechischen Republik der Wahlkampf schon begonnen hat. In diesem Sinne ist das auch viel Oppositionsrhetorik. Andererseits muss man sagen, dass es wirklich eine sehr schwere Aufgabe sein wird. Ich glaube aber nicht, dass das eine Frage der Koordination ist. Alle diese Dinge werden vom Außenamt koordiniert. Und ich glaube, die Leute dort sind sich dieser Frage durchaus bewusst."

Noch ist aber überhaupt nicht sicher, ob es zu der Doppelbelastung in UNO und EU kommen wird. Tschechien hat sich für die Jahre 2008 und 2009 um einen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beworben, denselben Platz möchten jedoch auch andere Länder, zum Beispiel Kroatien. Hier wird es also auf das politische Lobbying und das Schmieden von Allianzen ankommen. Ganz anders der EU-Vorsitz: Er wird nach einem Rotationsprinzip vergeben, und bald ist auch Tschechien an der Reihe. Allerdings ist auch hier noch nicht ganz klar, wie die tschechische Ratspräsidentschaft konkret aussehen wird. Denn sollte die EU-Verfassung rechtzeitig ratifiziert werden, dann würde Tschechien von Sommer 2008 bis Ende 2009 gemeinsam mit Schweden und Frankreich den Vorsitz führen. Gelingt dies nicht, dann bleibt vorerst alles beim alten Modus, und Prag wird im ersten Halbjahr 2009 alleine dem Rat vorstehen.


Zurück zu den Vereinten Nationen: Warum hat sich Prag für den Sitz im Sicherheitsrat beworben? Welche Bedeutung hätte eine Mitgliedschaft in diesem Gremium? Petr Drulak:

Jiri Dienstbier  (Foto: Zdenek Valis)
"Ich glaube, dass die Vereinten Nationen eine wichtige Rolle in der tschechischen Außenpolitik spielen. Wir hatten vor einigen Jahren schon eine Sicherheitsratsmitgliedschaft, und diese Erfahrung wurde eindeutig als ausgezeichnet bewertet. Wir betrachten das als eine Möglichkeit, der tschechischen Stimme in der Weltpolitik ein bisschen Gehör zu verschaffen."

Gerade diese Woche ging in New York das größte Gipfeltreffen in der Geschichte der Vereinten Nationen zu Ende. Dabei wurde über eine Reform des Sicherheitsrates zwar gesprochen, ein konkreter Zeitplan wurde jedoch nicht festgelegt. Dabei wäre eine Neuordnung bitter nötig, meint der ehemalige tschechoslowakische Außenminister Jiri Dienstbier:

"Der Sicherheitsrat wurde nach dem Zweiten Weltkrieg ins Leben gerufen, und seine Zusammensetzung entspricht überhaupt nicht der heutigen Kräfteverteilung in der Welt. Wenn er legitimiert und respektiert sein soll, dann muss eine Situation geschaffen werden, in der alle Weltregionen gleichermaßen vertreten sind."

Und Petr Drulak, Direktor des Instituts für Internationale Beziehungen, fügt hinzu:

"Ich glaube, unsere Regierung hat in dieser Frage einen ganz klaren Standpunkt: Sie teilt die Meinung unserer europäischen Partner, dass eine UN-Reform wirklich dringend ist. Wir haben auch den Vorschlag des UN-Generalsekretärs unterstützt, sowie den Vorschlag von Deutschland, Indien, Brasilien und Japan zur Sicherheitsratsreform. Die UNO ist wie gesagt für die tschechische Außenpolitik eine wichtige Organisation, und deshalb ist es in unserem Interesse, dass diese Organisation handlungsfähig ist."

Der genannte Reformvorschlag sieht unter anderem eine Erweiterung des Sicherheitsrates vor, in dem auch Deutschland ständiges Mitglied werden könnte.


Während also noch nicht gesichert ist, ob Tschechien den Sitz im Sicherheitsrat überhaupt bekommen wird, ist die Tatsache, dass sich der EU-Ratsvorsitz nähert, Gewissheit. Handelt es sich dabei nicht ohnehin um die weitaus größere - und auch wichtigere Aufgabe? Petr Drulak:

Foto: CTK
"Ohne Zweifel: Die Europäische Union gehört zu den wichtigsten beiden Prioritäten der tschechischen Außenpolitik. Wenn man über die globalen Fragen nachdenkt, so kann man sich die Lösung dieser Fragen nicht ohne die UNO vorstellen. Aber wir sind in Europa, und in diesem Sinne ist die Europäische Union eindeutig die wichtigste Organisation. Sie stellt den wichtigsten Rahmen unserer außenpolitischen Überlegungen dar."

Worin besteht genau der Grund für die große Bedeutung, die dem turnusmäßigen Ratsvorsitz gemeinhin zugeschrieben wird? Können die Länder, die den Chefsessel innehaben, ihre nationalen Prioritäten tatsächlich besser einbringen? Oder handelt es sich eher doch um eine Prestigefrage?

"Ich glaube, dass man die Frage der nationalen Prioritäten nicht überschätzen darf. Es gibt Prioritäten, die man vom vorangegangenen Vorsitz übernimmt und die man dann wiederum weitergibt. Die Wichtigkeit des Vorsitzes, besonders für die neuen EU-Mitglieder, besteht eher darin, dass man viel besser erfährt bzw. erkennt, was die Europäische Union bedeutet. Man muss sich mit Dingen beschäftigen, die man normalerweise fallen lässt. Und in diesem Sinne ist das ein wichtiger Schritt bei der Europäisierung des Landes."

Außenminister Cyril Svoboda
Eine Herausforderung sei die Koordinierung der EU-Agenda auf zwei Ebenen, sagt Drulak: Auf der Ebene der politischen Eliten, und auf der Ebene des Staatsapparates, also der Beamten.

"Wir sind jetzt in der Phase der Vorbereitungen der Vorbereitungen. Man bereitet sich auf die Vorbereitungen vor. Wir haben also noch nicht viel getan, aber andererseits glaube ich, dass noch nichts verloren ist."

Die Tatsache, dass derzeit noch gar nicht klar ist, ob man den Vorsitz für 6 oder für 18 Monate führen wird, bzw. ob alleine oder zu dritt, macht die Problematik nicht gerade einfacher. Petr Drulak, Direktor des Prager Instituts für Internationale Beziehungen:

"Das ist ein Problem, das eigentlich alle EU-Mitglieder haben. Ich glaube aber, ein noch wichtigeres Problem besteht darin, dass in der Tschechischen Republik kein Konsens über die europäischen Fragen herrscht. Wenn Tschechien den Vorsitz hat, dann wird das bereits unter einer neuen Regierung stattfinden. Und wir wissen nicht, wie diese Regierung aussehen wird."

Die derzeitige, sozialliberale Regierung in Prag traut sich die Bewältigung des diplomatischen Doppelpacks EU-Vorsitz und Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat jedenfalls zu. Außenminister Cyril Svoboda hat es so formuliert: Wenn Tschechien die EU-Präsidentschaft innehat und lieber nicht gleichzeitig im Sicherheitsrat sitzt, dann ist damit rein gar nichts gewonnen.

Läuft also alles nach Wunsch, dann dürfte es in drei bis vier Jahren wohl einige Schlagzeilen über die "diplomatische Großmacht Tschechien" geben. Wenigstens in den heimischen Medien.