„Der Leichenverbrenner“ (Spalovač mrtvol) ist eine psychologische Horror-Novelle über einen Angestellten eines Krematoriums. Der tschechische Schriftsteller Ladislav Fuks hat sie im Jahr 1967 geschrieben.
Herr Kopfrkingl ist ein vornehmer Mensch. Herr Kopfrkingl ist ein liebevoller Ehemann und Vater. Herr Kopfrkingl ist ein Ästhet, ein Romantiker, trinkt keinen Alkohol und raucht nicht. Und Herr Kopfrkingl ist Angestellter des Prager Krematoriums. Er betrachtet den Tod als höchste Wohltat und sich selbst als Erlöser, der die Seelen der Toten befreit, indem er ihre Körper einäschert. Dieser Mann ist die Titelfigur der Novelle „Spalovač mrtvol“, auf Deutsch „Der Leichenverbrenner“.
Die Leser begegnen der Familie Kopfrkingl am Vorabend des Zweiten Weltkriegs. Sie verfolgen die Abtretung des Sudetenlandes an das Deutsche Reich und auch, wie die deutsche Wehrmacht das verbliebene Staatsgebiet besetzt. Allmählich wird klar, dass der Beruf von Herrn Kopfrkingl anscheinend etwas mit den unvorstellbaren Gräueltaten zu tun hat, die schon bald begangen werden. Herr Kopfrkingl ist angetan vom tibetischen Buddhismus, gleichzeitig findet er aber auch Gefallen an den Rassentheorien der Nazis. Er unterliegt manischen Visionen und ermordet seine Familie, wobei er glaubt, dass ihr Tod ihn reinigen wird.
Liebevoller Vater und Monster
„Der Leichenverbrenner“ ist ein beliebter Stoff für weitere Bearbeitungen. Sie hörten einen Ausschnitt aus dem Hörspiel, das der Regisseur Aleš Vrzák 2017 im Tschechischen Rundfunk inszeniert hat. Am bekanntesten ist der gleichnamige Horrorfilm von Juraj Herz von 1969. Er gilt als eines der Meisterwerke der sogenannten Tschechoslowakischen Neuen Welle – auch dank der überwältigenden Musik von Zdeňek Liška und der schauspielerischen Leistung von Rudolf Hrušínský als Karel Kopfrkingl. In dem Schwarz-Weiß-Film wird ein Widerspruch ganz besonders deutlich: der zwischen der vermeintlichen Herzensgüte und dem eleganten Erscheinen des Protagonisten auf der einen Seite und dessen perversen Gedanken und Taten auf der anderen.
Eine andere Adaptation bringt nun das Wiener Burgtheater auf die Bühne seines Akademietheaters. Die Premiere war für Mitte März geplant, in Folge des Corona-Lockdowns musste sie bis in den Herbst verschoben werden. Der österreichische Dramatiker und Romanautor Franzobel hat für die Dramatisierung des Prosatextes gesorgt.
„Ladislav Fuks hat etwas sehr Archetypisches im Menschen gefunden. Die Hauptfigur, Karel Kopfrkingl, ist ein in der Gesellschaft angekommener Mensch – jemand, der im Krematorium arbeitet und dabei aber ein liebevoller Familienvater ist. Er ist einer, der sich bemüht, ein anständiges, gutbürgerliches Leben zu leben. Durch die äußeren Umstände oder durch seinen eigenen Wahnsinn, das ist nicht ganz geklärt, entwickelt er sich zu einem Monster. Ladislav Fuks macht das auf so raffinierte Art und Weise, dass man gar nicht immer mitbekommt, wenn diese Wandlung von Doktor Jekyll zu Mister Hyde geschieht. Es ist etwas sehr Menschliches: das Monster, das wir alle in uns tragen, mit dem man sich immer wieder beschäftigen und auseinandersetzen muss. Insofern hat dieser Text nach wie vor eine absolute Aktualität.“
„Herr Karl“
Neben dieser allgemeinen Ebene erwähnt Franzobel noch einen weiteren Aspekt:
„Für Österreicher kommt noch hinzu, dass er ein tschechischer ‚Herr Karl‘ ist, also so ein Mitläufer. Dieser Karel Kopfrkingel ist solch eine Figur, die sich immer anpasst, die in jedem System dabei ist – selbst wenn er seine Familie auslöschen muss, weil jetzt gerade die Nazis kommen. Er rückt sich die Welt so zurecht, dass er irgendwie durchkommt. Das ist etwas wahrscheinlich nichts Untypisches für Staaten wie Österreich oder auch Tschechien, wo sich der kleine Mann immer Schlupflöcher bilden muss. Und das ist, glaube ich, brandaktuell.“
Und wie ist der Dramatiker mit dem Text umgegangen, um die Prosa auf die Bühne bringen zu können?
„Ich habe mir sprachlich einige Freiheiten genommen. Diese Figuren sind zwar sprachlich sehr determiniert, jeder hat seine Motive, aber das ist noch nicht eine Sprache, die sofort auf der Bühne funktioniert. Ich musste für die Bühne einerseits ein paar mehr Situationen schaffen, die spannender oder konfliktgeladener sind. Andererseits habe ich versucht, den Text poetisch in die Gegenwart zu bringen, obwohl es schon eine Geschichte ist, die in den 1930er Jahren beginnt und 1945 endet. Ich habe versucht, dem Werk von Ladislav Fuks gerecht zu werden, aber gleichzeitig eine Fassung zu finden, die als Theater funktioniert.“
Soweit Franzobel.
„Dann kam der 15. März und mit ihm alles, was an diesem Tag geschah und nach diesem Tag noch geschehen sollte: Die deutsche Wehrmacht fiel ins Land ein, der Führer kam nach Prag, über der Prager Burg, den Prager Häusern und vielleicht auch über dem Krematorium wurde die Reichsfahne gehisst. (...) Und der Herr Kopfrkingl?“ Der Angestellte des Krematoriums Karel Kopfrkingl, der ‚Leichenverbrenner‘, hat in aller kleinbürgerlichen Bescheidenheit schon länger Kontakt zur kommenden Ordnung aufgenommen. Denn Karel Kopfrkingl liebt die Ordnung. (…) Mit der gleichen Sorgfalt und Selbstverständlichkeit, die seine ganze Lebensführung auszeichnet, besorgt er auch die Ermordung seiner Familie, als ihn die neuen Machthaber auf die Tatsache hinweisen, dass seine Frau jüdischer Abstammung ist.“
Mit diesen Worten leitet das Burgtheater die geplante Inszenierung ein. Die Regie führt Nikolaus Habjan:
„Ich habe das Buch relativ früh kennengelernt, als Jugendlicher. Mich hat das immer sehr fasziniert. Ich kenne auch die Verfilmung von Juraj Herz, die ganz großartig ist. Ich habe schon lange den Wunsch gehabt, diesen Stoff auf die Theaterbühne zu bringen. Ich glaube, dass der Stoff in der jetzigen Zeit sehr viel gibt und auch sehr viele Denkanstöße auslöst.“
Zeichnung unserer jetzigen Zeit
Der Theaterregisseur misst auch den Nebenfiguren eine große Bedeutung bei. Sie seien im Roman sehr wichtig und immer präsent, sagt er:
„Da ist dieses Paar, das immer wieder vorkommt. Sie hat immer Todesahnungen, sieht tausende Tote und Horrorvisionen, und er macht das immer lächerlich. Das ist für mich eine klare Zeichnung unserer jetzigen Zeit. Wir hören so viel Unterschiedliches. Während wir geprobt haben, ist es mir bei so vielen Dingen so gegangen: Die einen sagen, Trump sei furchtbar, die anderen sagen nein, der sei doch gut. Dieses Paar bildet die Gesellschaft ab. Die einen sagen, es werde schrecklich, die anderen sagen, es seien Fake-News. Es gibt zwei oder mehrere Stimmen, und in der Mitte steht der Karel Kopfrkingl. Wir sehen den Prozess, so wie er immer weiter seinen Weg geht, der vollkommen logisch erscheint. Und was ich auch spannend finde, ist diese große Frage, die ich bewusst in Zweifel lasse: Wird Herr Kopfrkingl durch das System, durch die Nazis böse? Oder ist er es von Anfang an und kann sich durch das neue System erst entfalten?“
„Der Leichenverbrenner“ gehört in die erste Schaffensphase von Ladislav Fuks, zusammen mit den Romanen „Herr Theodor Mundstock“, „Variationen für eine dunkle Saite“ oder „Die Mäuse der Natalie Mooshaber“ sowie dem Erzählband „Meine schwarzhaarigen Brüder“. Der Zweite Weltkrieg und der Holocaust sind darin zentrale Themen.
Zweiter Weltkrieg und Holocaust
Der Literaturwissenschaftler Erik Gilk von der Palacký-Universität in Olomouc / Olmütz gesteht gegenüber Radio Prag International, dass er „Den Leichenverbrenner“ nicht für das beste Werk von Ladislav Fuks halte:
„Ich glaube, dass die Filmadaption ihm sehr geholfen hat. Auch die Kritik der 1960er Jahre bemerkte, dass Fuks‘ Methode mit dem Akzent auf Motive und sogenannte falsche Motive gewissermaßen mechanisch wirkt. Was das Buch hingegen immer noch attraktiv macht und nie an Interpretationspotential verliert, ist die allgemeine Ebene – die Versuchung durch das totalitäre Regime, der ein einfacher Kleinbürger unterliegt. Kopfrkingl ahnt, dass er nicht imstande ist, aufzusteigen. Und auf einmal öffnet sich ihm eine Gelegenheit, von der er nicht gewagt hat zu träumen – und er beginnt, danach zu handeln.“
Der Literatur-Experte empfiehlt vor allem drei Werke von Ladislav Fuks:
„Ohne Zweifel sein Erstlingswerk ‚Herr Theodor Mundstock‘ von 1963, das seine glänzende Karriere gestartet und eine ganz neue Aufarbeitung des Holocausts brachte. Weiter ‚Die Mäuse der Natalie Mooshaber‘ von 1970. Es ist interessant zu verfolgen, dass Fuks in der Zeit, in der die sogenannte Normalisierung einsetzt und es nicht klar ist, was mit der Literatur passiert, gewissermaßen im Dunkeln tappt. Zugleich bemüht er sich aber, seine frühere Poetik zu erhalten. Und das dritte Werk, das ich empfehlen möchte, ist der Roman ‚Die Herzogin und die Köchin‘ von 1983. Mit diesem hat er sein Schaffen abgeschlossen. Er kehrte darin zur Poetik der 1960er Jahre zurück. Das Buch gilt als einer der ersten postmodernen Romane der tschechischen Literatur.“