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18) Milan Kundera: „Der Scherz“

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Der erste Roman des Erfolgsautors Milan Kundera ist eine Auseinandersetzung mit dem Stalinismus. „Der Scherz“ erschien 1967 in einer Phase politischer Entspannung in der damaligen Tschechoslowakei. In dem Werk zieht Kundera alle Register bei der Text-Komposition. Deswegen ist es eines der tschechischen Bücher, die Sie unbedingt lesen sollten.

Schon der erste Satz gilt als Klassiker der tschechischen Romananfänge:

„So fand ich mich nach vielen Jahren auf einmal zu Hause wieder. Ich stand auf dem Hauptplatz (den ich als kleines Kind, als Junge und als junger Mann unzählige Male überquert hatte), und ich verspürte keine Rührung; ich dachte vielmehr, dass dieser flache Platz, dessen Dächer der Rathausturm überragte (er glich einem Soldaten mit altertümlichem Helm), aussah wie ein großer Exerzierplatz einer Kaserne, und daß die militärische Vergangenheit dieser mährischen Stadt, einer ehemaligen Bastion gegen die Einfälle der Magyaren und der Türken, ihrem Gesicht Züge unauslöschlicher Scheußlichkeit eingegraben hatten.“

Tomáš Kubíček  (Foto: Václav Richter)

Der Ich-Erzähler ist in diesem Fall Ludvík Jahn. Als junger Student war er Anfang der 1950er Jahre ein eifriger Kommunist, hin- und hergerissen zwischen politischen Idealen und erotischen Sehnsüchten. Der Leser begegnet ihm zunächst, als aus ihm bereits ein verbitterter Mann im mittleren Alter geworden ist. Er kehrt in seine Heimatstadt zurück, um dort Rache zu nehmen.

Quelle: Verlag Suhrkamp

Doch seine Schilderungen sind nur eine der Erzählperspektiven in dem Buch. Tomáš Kubíček leitet die Mährische Landesbibliothek in Brno / Brünn. Gegenüber Radio Prag International sagte der Bohemist:

„Kundera knüpft in dem Roman an eine modernistische Poetik an – mit einer sehr schwierig komponierten Erzählweise. Und die will keine einfachen Wahrheiten bieten. Daher werden vier unterschiedliche Wahrheiten geschildert von jeweils vier Personen. Dadurch entsteht aber nicht eine gemeinsame Wahrheit, sondern alle vier haben für sich den Geltungsanspruch.“

Milan Kundera  (Quelle: Milan Kundera  (neztracen) v překladech / Mährische Landesbibliothek)

Genau das mache den Roman so besonders, findet Kubíček. Dabei geht es laut dem Literaturwissenschaftler vor allem um ein Thema…

„Der Roman ist eine Verlängerung der großen Frage nach dem Platz des Menschen in der Geschichte, nach seinen Ansprüchen darauf, nicht nur passiv ein Teil der Geschichte zu sein, sondern Verantwortung zu übernehmen – oder sich andersherum gegen die Geschichte zu stellen.“

Der Platz des Menschen in der Geschichte

Filmadaption des Romans  (Foto: Archiv Filmstudio Barrandov)

Das alles geschieht vor dem Hintergrund der stalinistischen Phase im tschechoslowakischen Kommunismus. Denn Hauptfigur Ludvík wird ein an sich harmloser Scherz zum Verhängnis. Als junger Student verfasst er auf einer Postkarte einen humoristischen Text. Die Karte schickt er an eine Kommilitonin, um diese zu beeindrucken. Doch bei anderen Parteimitgliedern kommt das nicht gut an. Deswegen wird Ludvík vorgeladen. Im Buch klingt das so:

„Im hintersten Raum des Sekretariats warteten drei Mitglieder des Parteiausschusses der Hochschule auf mich. Sie sagten, ich solle Platz nehmen. Ich setzte mich und begriff, daß etwas Unheilvolles im Gange war. Alle drei Genossen, die ich gut kannte und mit denen ich mich gewöhnlich vergnügt unterhielt, gaben sich unnahbar; sie duzten mich zwar (wie es unter Genossen üblich ist), doch es war mit einem Mal kein freundschaftliches Duzen mehr, sondern ein amtliches, ein drohendes.“

Filmadaption des Romans  (Foto: Tschechisches Fernsehen)

Letztlich wird Ludvík aus der Partei ausgeschlossen, sämtlicher Privilegien beraubt und muss sogar mehrere Jahre lang in einem Strafbataillon in einer Kohlegrube arbeiten. Auch wenn das Buch an sich nicht autobiografisch ist, hat Kundera hier zum Teil eigen Erlebtes verarbeitet.

Der Scherz | Foto: Verlag dtv

„Kundera hat mehrfach bekannt, dass die Handlung auf einer wahren Erfahrung begründet ist. Er selbst hat einmal bei einer Parteischulung eine Postkarte an einen Freund geschrieben. Das Ergebnis war sein Ausschluss aus der Partei und aus dem Verband tschechoslowakischer Schriftsteller“, sagt Tomáš Kubíček.

Der Ausschluss erfolgt 1950. Erst während des Tauwetters vor dem Prager Frühling wird Kundera dann wieder in die KPTsch aufgenommen. Im selben Jahr 1967 erscheint auch „Der Scherz“. Es ist zu dem Zeitpunkt aber nicht das erste Werk, das sich mit dem tschechoslowakischen Stalinismus auseinandersetzt.

Filmadaption des Romans  (Foto: Tschechisches Fernsehen)

„Die Kritik an der tschechoslowakischen Gesellschaft der 1950er und 1960er Jahre war damals schon nicht mehr einzigartig. Auf der anderen Seite hatte das Buch bei seinem Erscheinen deswegen auch bereits eine Leserschaft“, merkt Kubíček an.

„Der Scherz“ macht Kundera endgültig im Ausland bekannt, denn ziemlich schnell erscheinen die ersten Übersetzungen. Dabei sei es auch zu einer Desinterpretation des Autors gekommen, erläutert der Bohemist:

Filmadaption des Romans  (Foto: Tschechisches Fernsehen)

„Der Erfolg stellte sich als Erstes in Frankreich ein. Das Buch wurde dort übersetzt und erhielt ein Vorwort, das Kunderas Werk politisierte. Der Autor hat sich später mehrfach in Interviews dagegen verwahrt, seinen Roman als reines Zeugnis einer speziellen Zeit anzusehen. Doch diese politische Interpretation beeinflusst bis heute die Sicht auf Kunderas Werk.“

Quelle: Verlag Hanser

Und nicht zuletzt auch das Schicksal Kunderas. Denn nach dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in die Tschechoslowakei wird er endgültig zum Dissidenten. Er erhält ein Publikationsverbot. Seine weiteren Romane erscheinen daher nicht mehr in der Heimat, sondern in Frankreich. Also dort, wohin er 1975 emigriert und wo er bis heute lebt. Kunderas bis heute vielleicht größter Erfolg, „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ von 1984, ist noch auf Tschechisch geschrieben, ab da geht der Autor aber zum Französischen über.

Bis heute zeitlos

Quelle: Verlag Hanser

Im Übrigen durchzieht den „Scherz“ auch ein Thema, das Milan Kundera später noch einmal aufgreift. Es ist der Mythos von Odysseus und seiner Rückkehr nach Ithaka und die Frage, ob man nahtlos an früher anknüpfen kann. Dieses Motiv taucht im Roman „Die Unwissenheit“ aus dem Jahr 2000 wieder auf:

„Es ist sehr interessant, dass Kundera in ‚Der Unwissenheit‘ zum Odysseus-Mythos zurückgekehrt ist. Dabei handelt es sich um eine Variation auf das Thema ‚Rückkehr‘, das Ludvík vor dem Hintergrund der 1950er und 1960er Jahre durchspielt. In ‚Der Unwissenheit‘ ist dies an die Wende von den 1980er zu den 1990er Jahren versetzt. Auch deswegen halte ich beide genannten Romane für den Höhepunkt von Kunderas Schaffen.“

Filmplakat zum Film Žert / Der Scherz

Ludvíks Rückkehr in seine Heimatstadt scheitert jedenfalls. Das alles spielt sich zwar vor dem Hintergrund des kommunistischen Regimes ab, doch eigentlich ist es eine Betrachtung über das Leben und die zwischenmenschlichen Beziehungen. Noch einmal Literaturwissenschaftler Kubíček:

„Kundera hat es geschafft, sich in seinem Roman von der Aktualität der 1950er und 1960er Jahre abzukoppeln. Deswegen ist auch seine Stellung in der Weltliteratur unfraglich. ‚Der Scherz‘ wird fast jedes Jahr in irgendeinem Land neu aufgelegt, obwohl er bereits vor über 50 Jahren erstmals erschienen ist. Das beweist, dass dieses Buch zeitlos ist.“

Auch auf Deutsch ist „Der Scherz“ schon sehr früh erstmals erschienen, und zwar gleich 1968. Seitdem hat das Buch einige weitere Auflagen erfahren.

Autor: Till Janzer
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