Corona: Tschechien wagt die Lockerung – einige Experten macht das nervös
Am Donnerstag werden die Corona-Maßnahmen in Tschechien deutlich gelockert. Das hat die Regierung am Sonntag entschieden – und zwar einstimmig, wie es hieß. Doch einige Wissenschaftler befürchten, dass die Lockerungen zu früh kommen und die Corona-Zahlen schon bald wieder nach oben schießen könnten.
Noch am Freitag und Samstag waren die Meinungen innerhalb der Regierung gespalten. Soll man bereits lockern oder nicht? Premier Andrej Babiš (Partei Ano) sagte beispielsweise, Tschechien könne sich keinen dritten Lockdown erlauben. Und Gesundheitsminister Jan Blatný (parteilos) sah die Chancen bei 50:50. Am Sonntagmittag aber entschied sich das Kabinett klar für ein Ende des zweiten Lockdowns. Grundlage dafür bildete die positive Entwicklung bei den Hauptindikatoren. Sie werden im Risikostufensystem PES erfasst. Dazu der Gesundheitsminister:
„Noch bis Freitag war die epidemiologische Lage in den meisten Kreisen nicht optimal. Doch wir arbeiten mit einem Prognose-Modell, das sehr gut das Geschehen abbildet und das mehrfach bereits an realen Daten überprüft wurde. Und demnach vermuten wir, dass es in den nächsten Tagen zu einer weiteren deutlichen Verbesserung der Lage kommt.“
Deswegen hat die Regierung unter anderem beschlossen, dass ab Donnerstag alle Geschäfte geöffnet haben können – also nicht mehr nur Lebensmittelläden, Apotheken oder Ähnliches. Ebenso dürfen Restaurants, Kneipen und Hotels wieder Gäste empfangen. Allerdings bestehen jeweils strenge Hygieneauflagen.
Vertreter der Wirtschaft hatten in den vergangenen Tagen massiv darauf gedrängt, so bald wie möglich die Beschränkungen für den Einzelhandel und im Gastwesen aufzuheben. Zu ihnen gehörte Tomáš Prouza, der Präsident des Verbandes für Handel und Fremdenverkehr.
„Wenn die Regierung noch länger gewartet hätte und auch noch das zweite Adventwochenende verstrichen wäre, dann wäre das für viele Händler das Todesurteil gewesen. Jetzt haben sie die Chance, zumindest einen Teil ihrer Waren noch abzusetzen. Denn sie haben vor Weihnachten ihre Lager aufgefüllt und müssen so schnell wie möglich mit dem Verkauf beginnen“, so Prouza am Montag in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks.
Bis zuletzt schien es jedoch, dass innerhalb des Kabinetts eigentlich nur Industrie- und Handelsminister Karel Havlíček (parteilos) das Risiko einer Lockerung für vertretbar hielt angesichts der epidemiologischen Lage.
„Meine Aufgabe in der Regierung ist es, auf die weiteren Fakten hinzuweisen. Das heißt, dass sich Selbständige und Unternehmer in einer teils kritischen Lage befinden und jeder weitere Tag, an dem sie geschlossen haben, für sie das Ende bedeuten könnte“, erläuterte Havlíček.
Während also auch Gesundheitsminister Blatný am Sonntag einlenkte, sind einige seiner Kollegen aus der Medizin besorgt. So zum Beispiel Ärztekammer-Präsident Milan Kubek:
„Wenn wir die Lockerung überstürzen, dann droht, dass die Epidemie erneut an Fahrt gewinnt und wir umso länger danach wieder in Quarantäne müssen. Wir Mediziner wissen, dass wir und die gesamte Gesellschaft am meisten für die Fehler der Politiker zahlen. Deswegen sind wir, gelinde gesagt, nervös angesichts der Lockerung.“
Denn noch immer liegt die tägliche Zahl der neuen Corona-Fälle in Tschechien relativ hoch – in der vergangenen Woche pendelte der Wert um 5000. Bei der Pressekonferenz nach dem Regierungsentscheid am Sonntag verwies der Gesundheitsminister darauf, dass sich die Folgen der Lockerung frühestens in zwei Wochen zeigen dürften. Auf der anderen Seite sagte Blatný, dass eine spätere Lockerung riskant sein könnte:
„Wir müssen uns eine wichtige epidemiologische Überlegung bewusst machen: Je kürzer die Zeit vor Weihnachten ist, in der die Geschäfte offen haben, desto größer wird das Menschenaufkommen dort sein. Denn die Leute wollen einfach Geschenke kaufen, und das kann ich verstehen.“
Sollten die Corona-Zahlen wieder nach oben gehen, droht aber recht schnell auch der nächste Lockdown. Das Risikostufensystem PES macht es möglich, innerhalb von drei Tagen die Maßnahmen wieder zu verschärfen.