Und sie baggern weiter: Tschechisch-polnischer Streit um den Tagebau Turów

Tagebau Turów

Der Europäische Gerichtshof hat vergangene Woche beschlossen, dass die Kohleförderung im polnischen Tagebau Turów sofort eingestellt werden muss. Tschechien will seine Grundwasserbestände im Grenzgebiet schützen und hatte sich deswegen mit einer Klage an die oberste juristische Instanz der EU gewendet. Dass der Einspruch nun erfolgreich war, bedeutet dennoch nicht das Ende in dem Jahre dauernden Streit zwischen beiden Staaten. In Turów wird weitergefördert, die Arbeiter protestieren und die Politiker sind nun zu bilateralen Verhandlungen zurückgekehrt.

Tagebau Turów | Foto: René Volfík,  Tschechischer Rundfunk

Die Bagger im polnischen Braunkohletagebau Turów sollten derzeit eigentlich stillstehen. Am vergangenen Freitag hat der Europäische Gerichtshof in Luxemburg mit einem vorläufigen Urteil eine Unterbrechung der Fördertätigkeiten angeordnet. Die Richter entsprachen damit einer Klage Tschechiens vom Februar, die als Begründung die massiven Umweltschäden auch auf dieser Seite der Grenze anführte.

Nikol Krejčová ist Koordinatorin der Kohle-Kampagne bei Greenpeace Tschechien. Sie sieht mit dem Rechtsspruch die Interessen der Anwohner geschützt, die unmittelbar mit den negativen Folgen zu kämpfen hätten:

Nikol Krejčová | Foto: Tschechisches Fernsehen

„Greenpeace Tschechien begrüßt die Entscheidung des EU-Gerichtshofes zum Stopp der Förderung im Tagebau Turów. Denn seit langem schon machen wir auf die negativen Auswirkungen aufmerksam. Dazu gehören der Rückgang der Wasservorkommen auf tschechischem Gebiet ebenso wie Lärm und Staub. Nicht zuletzt wird die Klimakrise verschärft, wenn weiter große Mengen Braunkohle verheizt werden.“

Der Erfolg in Luxemburg ändert die Lage vor Ort allerdings nicht automatisch. Es ist ein Rechtsbruch, aber Polen lehnt das Urteil ab und lässt weiterbaggern. Das staatliche Unternehmen PGE, dem der Tagebau Turów gehört, verkündete noch am Wochenende, dass der Betrieb nicht eingestellt werde. Schließlich verfüge die Firma über eine gültige Förderlizenz, und eine Unterbrechung würde die Energieversorgung Polens bedrohen, hieß es in einer Stellungnahme im polnischen Fernsehen.

Mateusz Morawiecki | Foto: Kanzlei des Ministerpräsidenten der Republik Polen,  Wikimedia Commons,  public domain

Auch die Gewerkschaften meldeten sich zu Wort und protestierten gegen das Urteil. Sie sehen die etwa 3500 Arbeitsplätze in der sowieso strukturschwachen Region gefährdet. In einem offenen Brief an den polnischen Premier Mateusz Morawiecki forderten sie, als Ausgleich für die Vorgaben aus Luxemburg doch die Tätigkeit des EU-Gerichtshofes einzustellen.

„Was bleibt uns denn noch, wenn die Grube geschlossen wird? Da können die Menschen hier nur weinen. Ich verstehe den Streit nicht. Vielleicht mögen uns die Tschechen einfach nicht mehr.“

Die Rentnerin Jolanta spricht aus, was viele Bewohner der Stadt Bogatynia denken. PGE ist ein wichtiger Arbeitgeber, und die Kumpel fürchten nun um ihren Lebensunterhalt. Die örtliche Initiative „Hände weg von Turów“ organisierte darum am Dienstag einen Autokonvoi, mit dem für mehrere Stunden der Grenzübergang in Hrádek nad Nisou / Grottau blockiert wurde. Auch in der grenznahen Stadt Frýdlant / Friedland auf tschechischer Seite waren die Proteste zu spüren. Bürgermeister Dan Ramzer (Bürgerdemokraten) versuchte daher, die Gemüter zu beruhigen:

Dan Ramzer | Foto: Pavel Kolín,  Tschechischer Rundfunk

„Wir haben es nicht auf Eure Arbeitsplätze abgesehen, auch nicht auf Eure Kohle. Wir wollen eine Einigung. Versteht uns aber bitte, dass wir uns um unser Wasser und unsere Umwelt sorgen.“

Unumkehrbare Umweltschäden

Die Schäden für Natur und Gesundheit sind in verschiedenen Gutachten belegt. Schon 2016 machte der Hauptmann des Kreises Liberec / Reichenberg auf die Problematik aufmerksam. In der Urteilsbegründung vom Freitag schrieb die stellvertretende Vorsitzende des EU-Gerichtshofes, Rosario Silva de Lapuertave, dass der Kohleabbau in Turów den anhaltenden Abfluss einer bedeutenden Menge von Grundwasser von tschechischem in polnisches Gebiet verursache. Dies könne zukünftig die Trinkwasserversorgung in Tschechien gefährden, hieß es weiter.

Tagebau Turów | Foto: Julian Nyča,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 3.0

Die Regierung in Prag argumentiert außerdem, dass die Ausweitung der Förderfläche genehmigt wurde, obwohl Tschechien begründete Einwände während der Umweltverträglichkeitsprüfung (Environmental impact assessment, EIA) vorgelegt habe. Damit verstoße Warschau gegen geltendes europäisches Recht, lautet der Vorwurf. Ähnlich sieht es auch Nikol Krejčová und berichtet von intransparenten Verhandlungen:

„Lange war nicht bekannt, in welchem Ausmaß der Tagebau ausgeweitet werden soll und welche Folgen das haben könnte. Erst durch die Umweltverträglichkeitsprüfung wurde herausgefunden, dass die Gruben bis zur tschechischen Grenze erweitert werden sollen. Daten des tschechischen Geologischen Dienstes belegen außerdem, dass es auf tschechischer Seite schon in den 1980er Jahren zu einer Absenkung des Grundwassers kam. Dies ist mit der Belastung der geologischen Zone auf polnischer Seite zu erklären.“

Tagebau und Kraftwerk Turów | Foto: Ivana Bernáthová,  Tschechischer Rundfunk

Da der Tagebau unmittelbar im Dreiländereck liegt, sind die Auswirkungen auch auf sächsischem Gebiet zu spüren. Deutschland hätte eine Beteiligung an der Klage bei der EU in Erwägung gezogen, sagt Krejčová, sich aber letztlich dagegen entschieden:

„Es gibt aber eine Beschwerde der Stadt Zittau, ihrer Einwohner und Lokalpolitiker bei der Europäischen Kommission gegen den Tagebau Turów. Darin sind die negativen Folgen aufgeführt, wie etwa die Grundwasserverschmutzung oder die Absenkung des Erdreiches, die wiederum Risse in Gebäuden verursacht.“

Richard Brabec | Foto:  ČT24

Die Appelle, auf die Deutschland offenbar weiter setzt, haben Tschechien nun nicht mehr ausgereicht. Umweltminister Richard Brabec (Partei Ano) zeigte sich einigermaßen empört über die abweisende Haltung Polens nach dem Gerichtsurteil:

„Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes ist keine Ware, die einem angeboten wird und die man auch einfach ignorieren kann. Es war nie unser Ziel, den Menschen in Polen zu schaden. Wir wollten vielmehr ihre Regierung dazu zwingen, mit uns auf seriöse Weise zu verhandeln und Garantien zu geben.“

Rücknahme der Klage beim EuGH?

Tagebau Turów | Foto: Jiří Bernard,  Panoramio,  CC BY-SA 3.0

Zumindest dies scheint jetzt möglich. Am Dienstag trafen die Regierungschefs der beiden Länder beim EU-Gipfel in Brüssel zusammen und tauschten sich kurz über die Causa Turnów aus. Vor die Presse traten sie dann allerdings mit ganz unterschiedlichen Interpretationen dieses Gespräches. Der polnische Premier Morawiecki verkündete:

„Es scheint, als seien wir nahe einer Einigung. Hinsichtlich einer Übereinkunft hat Tschechien zugestimmt, die Klage beim EU-Gerichtshof zurückzuziehen.“

Andrej Babiš | Foto:  Regierungsamt der Tschechischen Republik

Der tschechische Premier Andrej Babiš (Partei Ano) dementierte jedoch umgehend. Die Klage würde nicht zurückgezogen, und er wisse nicht, woher diese Information stamme, teilte er den Journalisten mit.

Die Bereitschaft zu bilateralen Verhandlungen sei aber vorhanden, bestätigte Babiš. Morawiecki kündigte seinerseits an, dass Polen in den kommenden Jahren 45 Millionen Euro in die Sicherheit und Befestigung der Tagebauanlage Turów investieren werde. Zudem hätte er mit Babiš die Gründung einer gemeinsamen Expertengruppe vereinbart, die die Auswirkungen der Kohleförderung auf die Umwelt der Region beobachten soll.

Protest gegen den Tagebau Turów | Foto: Šárka Škapíková,  Tschechischer Rundfunk

Investitionen werden der tschechischen Seite aber wohl nicht ausreichen, um die Klage zurückzuziehen. Der Hauptmann des Kreises Liberec, Martin Půta (Bürgermeisterbewegung), mahnt weitere Umweltprüfungen als Bedingung für die Fördergenehmigung an. Parallel zu den öffentlichen Protesten rang Půta am Dienstag mit seinem Amtskollegen der benachbarten Woiwodschaft Niederschlesien lange Stunden um eine vorläufige Vereinbarung. Was bisher über den Inhalt eines möglichen tschechisch-polnischen Vertrages bekannt ist, stellt Nikol Krejčová noch nicht zufrieden:

„Nach dem, was bisher veröffentlicht wurde, werden die Zusicherungen gegenüber Tschechien sehr schwach sein. So ist zum Beispiel keine Beschränkung der Förderungen vorgesehen. Dabei verursacht aber die Ausweitung der Tagebaufläche den Wasserverlust und weitere negative Folgen, die unumkehrbar sind. Darauf macht auch das Gericht aufmerksam und hat deswegen den Förderstopp angeordnet. In dem Abkommen sollen vor allem finanzielle Entschädigungen geregelt werden, die bisher jedoch sehr niedrig angesetzt sind.“

Martin Půta | Foto: Martin Davídek,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 4.0 DEED

Sehr hoch könnten im Gegensatz dazu die Strafzahlungen werden, die Polen drohen. Und das mit jedem weiteren Tag, an dem die Förderarbeiten in Turów weitergehen und keine Maßnahmen zu ihrer Einstellung getroffen werden. Diese möglichen Sanktionen sind der Trumpf, den Tschechien nun dank des Urteils vom Freitag in der Hand hält. Ausspielen wolle man ihn nur ungern, betont Hauptmann Půta:

„Wenn Polen wirklich Sanktionszahlungen für den Verstoß gegen das Urteil zahlen sollte, müsste Tschechien dies erst beim Europäischen Gerichtshof einfordern und einen Verstoß gegen den Gerichtsentscheid melden. Ich bin aber davon überzeugt, dass dies nicht nötig sein wird und wir in kurzer Zeit einen Text aufsetzen, den beide Regierungen unterschreiben können.“

Erst nach Unterzeichnung eines solchen Dokumentes sei die Rücknahme der Klage in Luxemburg realistisch, ergänzte Půta.

Tagebau Turów | Foto: Jerzy Górecki,  Pixabay,  CC0 1.0 DEED
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Autoren: Daniela Honigmann , Pavel Novák
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