Vom Kontrabass-Spieler zum Chefdirigenten beim Prager Rundfunkorchester
Petr Popelka hat das Symphonie-Orchester des Tschechischen Rundfunks in einem Konzert im Januar dieses Jahres zum ersten Mal als Dirigent geleitet. Gleich nach den ersten Proben war klar, dass man einander sehr gut versteht. Deswegen wurden kurz nach dem Konzert die Gespräche über ein Engagement des 35-Jährigen aufgenommen. In dieser Woche wurde verkündiget, dass Petr Popelka ab Herbst 2022 neuer Chefdirigent und Künstlerischer Leiter der Prager Rundfunk-Symphoniker wird. Der bisherige Chefdirigent Liebreich wird dann eine Anstellung beim Orquestra de Valencia übernehmen.
Herr Popelka, Sie wurden gerade als neuer Chefdirigent beim Prager Rundfunkorchester vorgestellt. Sie übernehmen ab der Saison 2022/2023 diese Rolle. Eigentlich kehren Sie aber zu einem für Sie bekannten Orchester zurück…
„So ist das. Prag ist meine Heimatstadt. Ich bin hier aufgewachsen und habe am Prager Konservatorium studiert. Während meiner Studienjahre hatte ich das große Glück, im Symphonie-Orchester des Tschechischen Rundfunks in Prag meine ersten Orchestererfahrungen sammeln zu können – damals als Mitglied der Kontrabass-Gruppe. Ich habe eine ganze Spielzeit mitgespielt. Sie können sich sicher gut vorstellen, was es für mich bedeutet, nach ein paar Jahren jetzt in einer anderen Rolle hierher zurückzukommen.“
Sie sind bei einem Konzert im Januar dieses Jahres das erste Mal als Dirigent vor das Orchester vorgetreten. Wie war dieses Treffen?
„Es war schwer, weil ich natürlich sehr viele Leute im Orchester noch kenne, darunter auch Freunde. Zwar ist es das Schönste überhaupt, eigene Freunde zu dirigieren und mit Leuten zusammenzuarbeiten, die man gut kennt. Zugleich ist es auch eine der schwersten Aufgaben. Man will ihre Erwartungen nicht enttäuschen. Ich muss sagen, dass ich unter großem Druck stand – eben weil mir am Herzen lag, dass wir uns gut verstehen. Aber das Orchester war in den ersten Proben so unterstützend, dass meine Nervosität ziemlich verflog. Wir haben unsere Zusammenarbeit aus vollem Herzen genossen, und das war wunderschön.“
Sie haben inzwischen mehrere Orchester im Ausland, vor allem in Deutschland geleitet. In dieser Saison sind Sie als Chefdirigent beim Norwegischen Rundfunkorchester Oslo tätig. Können Sie die Arbeit mit den Orchestern dort und hier vergleichen?
„In Oslo ist zum Beispiel die Organisation ganz anders. Wir sind das Orchester des NRK, also eines Radio- und Fernsehsenders, und damit Teil einer riesigen Institution. Es bestehen auch Verpflichtungen gegenüber dem Fernsehen, wie etwa Aufnahmen für Fernsehprogramme. Das ist hier nicht der Fall. Die Erfahrung, das Rundfunkorchester in Oslo leiten zu dürfen, ist für mich sehr wichtig. Sie hat mir geholfen, das Angebot in Prag anzunehmen. Ich weiß nicht, ob ich mir ohne die Erfahrung in Oslo zugetraut hätte, diese Stelle anzunehmen. Also: Alle Orchester sind sich einerseits sehr ähnlich, aber andererseits auch unglaublich verschieden.“
Und was ist Ihrer Meinung nach für das Prager Radio-Orchester spezifisch und einzigartig?
„Als ich nach 13 oder 14 Jahren zu diesem Orchester zurückkam, habe ich festgestellt, dass sich die Arbeitsatmosphäre, das Tempo und die Qualität der Arbeit im besten Sinne des Wortes nicht verändert haben. Das Orchester ist genauso geblieben, wie ich es in Erinnerung hatte. Man kann hier in wahnsinnig kreativer Atmosphäre arbeiten und sehr schnell die höchsten künstlerischen Ergebnisse erreichen. Das ist eine Stärke dieses Orchesters. Es liegt mir am Herzen, dies fortzusetzen.“
Sie übernehmen ab der Spielzeit 2022/2023 das Pult des Chefdirigenten. Sprechen Sie schon jetzt mit der Orchesterleitung über das Programm, das Ihnen vorschwebt? Worauf wollen Sie den Fokus legen?
„Gerade jetzt wurde das Programm für die kommende Spielzeit fertiggestellt, das in der nächsten Woche präsentiert wird. Wir fangen erst an, an der übernächsten Spielzeit 2022/2023 zu arbeiten. Ich kann im Moment keine konkreten Stücke und Programme vorschlagen. Aber ich bin bereits jetzt mit dem Direktor des Orchesters, Jakub Čížek, und dem Dramaturgen Josef Třeštík in einem sehr kreativen Gespräch. Ich möchte nicht von einer Spielzeit zur nächsten blicken, sondern die bevorstehenden drei Jahre quasi als eine große Spielzeit sehen. So dass wir unserem Publikum, aber auch den Orchesterspielern eine breite Palette spannender Programme anbieten können. Das Ziel ist, dass wir als Orchester, als Künstler weiterwachsen können und unser Publikum die Aufführungen genießen kann.“
Sie haben angekündigt, dass Sie sich der traditionellen Orchestermusik widmen wollen, aber auch Werken des 20. und des 21. Jahrhunderts, die Ihnen besonders am Herzen liegen. Können Sie einige nennen?
„Die Musik der Gegenwart ist für mich einfach nur eine absolut natürliche Entwicklung der ganzen Musikgeschichte. Ich sehe das nicht als etwas Besonderes. Es gibt nicht das große symphonische Repertoire einerseits und die Musik von heute andererseits. Für mich ist es dasselbe. Der Bogen spannt sich meiner Meinung nach von zum Beispiel einer Brahms-Symphonie über Karl Heinz Stockhausen, also einen Klassiker der Moderne, bis zur Generation junger Komponisten von heute – und das will dem Publikum auch so präsentieren. Meiner festen Überzeugung nach sind wir verpflichtet, auch die Musik der Gegenwart zu spielen. Wir leben heute und sollten die Musik von heute spielen. Aber nicht nur die, denn wir wollen auch kein Ensemble für moderne Musik werden, sondern die gesamte Breite ab dem Barock umsetzen. Das Repertoire wird für alle Symphonieorchester einfach immer größer.“
Petr Popelka hat seine musikalische Ausbildung in seiner Heimatstadt Prag erhalten sowie in Freiburg. 2010 bis 2019 war er stellvertretender Solo-Kontrabassist der Sächsischen Staatskapelle Dresden. In der Saison 2019/2020 war Popelka der erste Conductor Fellow des NDR Elbphilharmonie Orchesters. Derzeit ist er Chefdirigent des Norwegischen Rundfunkorchesters in Oslo und Erster Gastdirigent des Janáček Philharmonic Orchestra in Ostrava / Ostrau. Beim Prager Rundfunkorchester folgt Popelka auf Alexander Liebreich, der dieses seit 2018 leitet.