Verwüstungen nach dem Krieg und Wiederbelebung – Schloss Hradec nad Moravicí (Teil 2)

Blick von oben auf das Schlossareal

Das Schloss Hradec nad Moravicí / Grätz im schlesischen Teil Nordmährens kann auf eine tausendjährige und wechselhafte Geschichte zurückblicken. Dabei beeinflusste längst nicht nur das bewegte Geschehen in der Region das Schicksal der Schlossbesitzer. Im Folgenden eine lockere Fortsetzung unseres ersten Teils über die Geschichte des Schlosses Hradec nad Moravicí. Sie startet gegen Ende des Zweiten Weltkriegs.

Radomír Přibyla | Foto: ČT24

Der letzte Besitzer des Schlosses im Kreis Mährisch-Schlesien war Wilhelm Lichnowsky. Seine Familie hatte Anfang des 18. Jahrhunderts den Adelssitz erworben und besaß ihn damit bereits in sechster Generation. Wilhelm Lichnowsky flüchtete im April 1945 vor der sich nähernden Kriegsfront. Dabei habe dessen Familie kein gutes Verhältnis zu den Nazis gehabt, betont der langjährige Leiter des Schlossareals, Radomír Přibyla:

„Ich würde sagen, dass es sich um eine anständige Familie handelte, auch wenn sie nach der Gründung der Tschechoslowakei 1918 die deutsche Staatsbürgerschaft behielt. Im nahen Opava hatte die Gestapo ihren Standort. Die Geheimpolizisten, die übers Wochenende einen Ausflug nach Grätz machten, wurden durchaus ins Schloss gelassen. Der Besitzer hatte Angst, ihnen dies zu verwehren. Wenig später tauchten allerdings Fotos mit Gestapo-Männern am Schlossfenster auf. Das beschädigte stark den Ruf der Lichnowskys. Im April 1945 gelang es der Familie dann, ihr Domizil wie auch das Land zu verlassen und über Opava dann nach Frankreich zu fliehen. Von dort reisten sie nach Brasilien sowie Argentinien, wo Wilhelms jüngerer Bruder lebte. Das Vermögen der Familie wurde noch im selben Jahr konfisziert, wie dies letztlich aufgrund der sogenannten Beneš-Dekrete auch bei weiteren Schlössern und Burgen geschah.“

Das Weiße Schloss 1990 | Foto:  Schlossverwaltung Hradec nad Moravicí

Plünderungen durch Sowjetsoldaten

Foto:  Tschechisches Fernsehen

Kurz nach der Befreiung der Tschechoslowakei versammelte sich Přibyla zufolge eine größere Menschenmenge mit Pferdewagen und Autos vor dem Schlosstor. Jeder wollte etwas für sich ergattern. Es kam zu einer paradoxen Situation. Im Schloss befanden sich Sowjetsoldaten, die schon zuvor dort eingedrungen waren. Vor den Eingang hingen sie Tafeln auf mit der Aufschrift „Das Objekt ist besetzt“ in russischer Sprache. Die Einheimischen machten sich daher lieber aus dem Staub. Die Originaltafeln sind noch immer im Archiv des Schlosses aufbewahrt.

„Die russischen Soldaten blieben drei Monate lang im Schloss und richteten beträchtlichen Schaden an. Als Erstes zerhackten sie mit ihren Säbeln die Porträts der abgebildeten Adeligen. Des Weiteren tranken sie während ihres Aufenthalts rund 1500 Flaschen archivierten Weins. Wilhelm Lichnowsky hatte kurz vor der Abreise den Eingang zum Weinkeller zumauern lassen und mit einem Schrank davor getarnt. Den Russen fiel aber auf, dass das Mauerwerk noch feucht war und sie es problemlos entfernen konnten. Im Hof hinterließen sie wiederum einen Haufen von hinausgeworfenen Möbeln, Kutschen, Büchern und vieles mehr“, so der Schlossverwalter.

Schloss Hradec nad Moravicí | Foto: Jan Langer,  ČT24

Auf der anderen Seite glaubt Přibyla, dass die Anwesenheit der Russen vielleicht noch größere Plünderungen verhindert hat.

Nach der Machtübernahme durch die Kommunisten im Jahr 1948 galten einheimische Burgen und Schlösser als Staatseigentum. Das Regime nutzte sie für verschiedenste Zwecke. Grätz sei zum Tagungsort geworden, sagt der Leiter:

„Ab den 1960er Jahren wurden im unteren Teil des Schlossparks gesamtstaatliche Treffen von Mitgliedern der Kinderorganisation ‚Junge Pioniere‘ abgehalten, an denen auch Staatspräsidenten teilnahmen. Als Treffpunkt diente ein speziell zu diesem Zweck neu erbautes Schulungsobjekt. Ursprünglich war allerdings vorgesehen, das großräumige Gebäude an einem noch attraktiveren Standort unmittelbar in der Nähe des Schlosses zu platzieren. Zum Glück entschied der damalige Kulturminister anders. Ich habe noch gut in Erinnerung, dass wir als Schüler der hiesigen Grundschule – damals war ich 13 Jahre alt – einen Staatspräsidenten auf der Wiese begrüßen mussten. Das galt auch für diejenigen, die wie ich keine Mitglieder der ‚Jungen Pioniere‘ waren. Als ich dann nach der politischen Wende in der Tschechoslowakei von 1989 die Leitung der Schlossverwaltung übernahm, dauerte es ungefähr noch 20 Jahre, bis alle störenden Bauten mit den Senkgruben, Elektroinstallationen, Geländern oder der Beleuchtung von den umliegenden Wiesen entfernt wurden.“

Franz-Liszt-Saal 1990 | Foto:  Schlossverwaltung Hradec nad Moravicí

Es habe aber, so Přibyla, noch Schlimmeres gegeben. 1979 wurde von der Staatsführung ein Projekt beschlossen, bei dem zwei historische Gebäude für eine vorbildliche Restaurierung ausgewählt wurden. Sie sollten nachher als Leitbild für die Denkmalpflege dienen. Die Wahl fiel eben auf Hradec / Grätz sowie Velké Losiny / Groß Ullersdorf. Der Hauptakzent lag aber auf dem Schloss in Mährisch-Schlesien. Das Ergebnis sei jedoch eine Katastrophe gewesen, meint der Verwalter:

„Das Schloss ähnelte einer Ruine. Durch das Vorgehen inkompetenter Politiker und der von ihnen beauftragten Baufirmen hatte das Bauwerk ernste Schäden erlitten. Im Unterschied zu anderen Schlössern hierzulande war der Prozess der Zerstörung im Grätzer Schloss bereits 1948 eingeleitet worden. Doch entsprechend der Atmosphäre im Lande, geprägt von der sogenannten politischen Normalisierung nach der sowjetischen Invasion 1968 in die Tschechoslowakei, begann man hier unter anderem mit der Beseitigung der historischen Badezimmer, Toiletten oder der Schlossküche. Es waren alles Räume, die die heutigen Besucher interessieren würden. Andere Innenräume wurden in ein übliches Museum verwandelt. Die Schlosskapelle wurde zum Beispiel zu einer Waffenkammer umgebaut, das Raucherzimmer wiederum zu einem Frauenschlafzimmer und Ähnliches mehr.“

Franz-Liszt-Saal | Foto:  Schlossverwaltung Hradec nad Moravicí

Das sei jedoch nicht nach gültigen Denkmalschutz-Richtlinien geschehen, betont Radomír Přibyla. Vielmehr hätten dahinter regionale Machthaber gestanden.

Ausstellung von Original-Mobiliar

Original-Mobiliar im Schloss Hradec nad Moravicí | Foto: ČT24

Der leitende Schlossverwalter übernahm dann Anfang der 1990er Jahre den eigenen Worten zufolge das Schloss in diesem erbärmlichen Zustand. In den ersten Jahren im Amt stemmte er sich gegen den Druck, das Grätzer Schloss in den Besitz der Stadt zu überführen. Přibyla wollte dies nicht, weil seiner Ansicht die Gefahr bestand, dass das Schloss auch der kommerziellen Nutzung dienen könnte. Seine Priorität war hingegen, sich für die bestmögliche Erneuerung des historischen Bauobjektes einzusetzen. Und sei ihm auch in hohem Maße gelungen, meint er selbst:

„Obwohl sich das Grätzer Schloss in den 1980er Jahren in einem äußerst schlechten Zustand befand, gilt es heute als das einzige Schloss im Bezirk Opava, das sich mit Original-Mobiliar rühmen kann. Zum Beispiel in Velké Hoštice / Groß Hoschütz, Štáblovice / Stablowitz oder Kravaře / Krawarn wurde diverses Mobiliar 1945 von der örtlichen Bevölkerung entwendet. Bevor wir die Innenräume 2008 für die Öffentlichkeit wieder zugänglich machen konnten, musste natürlich vieles repariert, renoviert beziehungsweise restauriert werden, einschließlich der von den Russen beschädigten Porträts. Leider konnte aber nicht alles wiedergefunden werden.“

Kutsche,  die sich Karl Max Lichnowsky vor seinem Amtsantritt als preußischer Botschafter in London 1912 anfertigen ließ | Foto: Schlossverwaltung Hradec nad Moravicí

Lange vermisste man zum Beispiel die Kutsche, die sich Karl Max Lichnowsky, Wilhelms Vater, vor seinem Amtsantritt als preußischer Botschafter in London 1912 anfertigen ließ. Nach 1914, als er von dem Posten wegen seiner strikt pazifistischen Ansichten abberufen wurde, war über Jahrzehnte lang nichts bekannt über das Schicksal der Kutsche. Nur per Zufall wurde sie erst 1994 in einer Scheune beim nahegelegenen Schloss Raduň / Radun wiederentdeckt. Im verfaulten Zustand allerdings. Dennoch hatte Kastellan Přibyla große Freude an dem Fund…

„Wir haben die Kutsche restaurieren lassen, und nun ist sie auch bei der Schlossbesichtigung zu sehen. Nachträglich gefunden wurden mehrere Livreen von Lichnowskys Dienstpersonal in London. Auch sie kann man derzeit in einer Exposition in unserem Schloss sehen. 2014 fand in der Reitschule der Prager Burg eine Ausstellung historischer Kutschen statt, für die die Grätzer Kutsche als die jüngste unter den Exponaten ausgewählt wurde.“

Das Rote Schloss | Foto: Schlossverwaltung Hradec nad Moravicí

Der letzte Besitzer des Grätzer Schlosses, Wilhelm Lichnowsky, starb 1975während des Besuchs seiner in Rom lebenden Schwester. Doch ein Großteil seiner Nachkommen lebt bis heute in Brasilien. Mit einigen ist Radomír Přibyla in Kontakt. Zwei von ihnen haben auch schon Hradec nad Moravicí besucht.

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