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2) Malzdarre, Fassbinder und ein Mini-Humpen: Das Brauereimuseum in Pilsen

Brauereimuseum in Pilsen

Wie trinkt man Bier aus einem löchrigen Krug? Dies ist eine der Fragen, auf die man im Museum der Pilsner-Urquell-Brauerei eine Antwort findet. Vor allem erfährt man dort aber alles Wichtige zum Thema Bierbrauen. Die Museumsarchivarin Jana Domanická hat Radio Prag International eine exklusive Führung durch die historischen Gemäuer gegeben. Sie berichtet über Zutaten und Qualität des beliebten Gebräus, die Bedeutung des Fassbinderhandwerks und die böhmische Bierkultur.

Jana Domanická | Foto: Ondřej Tomšů,  Tschechischer Rundfunk

Plzeň / Pilsen ohne Bier – kaum denkbar! Die westböhmische Stadt ist über die Grenzen Tschechiens und Europas hinaus bekannt dafür, der Welt das Lagerbier geschenkt zu haben. Dessen Geschichte reiche weit in die Jahrhunderte zurück, beginnt Jana Domanická unseren Rundgang:

Brauereimuseum in Pilsen | Foto:  Pilsner Urquell

„Über Pilsen wird oft gesagt, dass es die Hauptstadt des Bieres sei. Die Tradition des Braurechts besteht hier seit den Zeiten der Stadtgründung zu Beginn des 13. Jahrhunderts. Damals verlieh König Wenzel II. Pilsen dieses Privileg. Seitdem wird in der Stadt Bier gebraut.“

Die ganze Geschichte von ihren Anfängen bis hin zur Gegenwart wird im Brauereimuseum von Pilsner Urquell erzählt. 1959 eröffnet, ist es laut Archivarin Domanická eines der ältesten in Europa und das älteste in Tschechien. Das Unternehmen, in dessen Gemäuern sich die Exposition befindet, wurde 1842 als „Bürgerbrauerei“ (Měšťanský pivovar) gegründet.

Historische Mälzerei | Foto: Pilsner Urquell

Der Rundgang beginnt im Innenhof der Anlage. Hier befindet sich eine historische Mälzerei. Sie werde bereits in Quellen aus dem 16. Jahrhundert erwähnt, so Domanická:

„Der interessanteste Raum ist die sogenannte Malzdarre, in der das Malz getrocknet wurde. Denn diese ist auch nach der Restaurierung in authentischer Weise erhalten geblieben und damit einmalig in ganz Tschechien.“

Historische Mälzerei | Foto: Pilsner Urquell

Malz ist bekanntlich die unabdingliche Grundlage für die Produktion von Bier. Das Getränk wurde in Pilsen bis ins 19. Jahrhundert hinein nach alter Tradition durch Obergärung gebraut. Die Archivarin weiß zu berichten, dass das Bier zu der Zeit aber schon einiges an Qualität eingebüßt hatte, weil bei der Malzherstellung nicht mehr so sorgfältig vorgegangen wurde. Zudem entstanden in der unmittelbaren Umgebung immer mehr Landbrauereien, die den Produkten aus der Stadt Konkurrenz machten.

Brauereimuseum in Pilsen | Foto: Ondřej Tomšů,  Radio Prague International

„Die bierbrauenden Bürger von Pilsen überlegten daher, wie es weitergehen soll. Die aktivsten unter ihnen verwiesen auf untergäriges Bier, also Lagerbier, das damals in den böhmischen Ländern oder auch in Bayern aufkam und gern getrunken wurde. So entstand die Idee, eine ganz neue Brauerei für Lagerbier aufzubauen. Das hatte Erfolg, und bald können wir deswegen ein rundes Jubiläum feiern. Die erste Charge wurde am 5. Oktober 1842 gebraut. Das Bier überraschte durch seine Qualität, die begründet war in der Kombination des weichen Wassers der Region mit dem Malz sowie den guten örtlichen Bedingungen.“

Foto:  Pilsner Urquell

Weltruhm dank des neu entstehenden Eisenbahnnetzes

Brauereimuseum in Pilsen | Foto: Kateřina Dobrovolná,  Tschechischer Rundfunk

Das neue Bier erlangte schnell Berühmtheit – zunächst in Pilsen selbst, dann auch in Prag. Dank des Ausbaus des Eisenbahnnetzes begann in den 1860er Jahren dann auch die Expansion in die ganze Welt.

Mehrere Ausstellungsräume im Brauereigebäude zeigen die unterschiedlichsten Aspekte der Bierherstellung. In Anknüpfung an den Besichtigungsauftakt ist zum Beispiel eine wertvolle Mälzeruniform aus dem 19. Jahrhundert zu sehen. Diese feierliche Tracht und ausgewähltes Zubehör, wie etwa Manschetten mit dem Emblem einer bestimmten Gilde, würden vom Prestige zeugen, das dieses Handwerk einst genoss, so die Erläuterung bei der Führung. Kurz darauf bleibt Domanická bei einem auslandenden Metallmodell stehen. Es zeigt in verkleinerter Form die komplette Anlage eines Sudhauses:

Metallmodell zeigt in verkleinerter Form die komplette Anlage eines Sudhauses | Foto:  Pilsner Urquell

„Das Modell hat eine unglaublich lange Entstehungsgeschichte. Ein Brauereimitarbeiter aus der Nähe von Mělník, so erzählt man sich, hat 30 Jahre lang daran gearbeitet. Mit dem Modell konnten ursprünglich sogar 30 Liter Bierwürze gebraut werden. Heute benutzen wir es mit Rücksicht auf sein hohes Alter nicht mehr. Durch die ganzen Dichtungen und Leitungen würde das Exponat langsam zerstört.“

Brauereimuseum in Pilsen | Foto: Kateřina Dobrovolná,  Tschechischer Rundfunk

Mit dem Brauprozess sind weitere Handwerksberufe verbunden, ohne die kein Bier entstehen kann. Eine wichtige Rolle spielen in Pilsen bis heute die Fassbinder. Das Museum zeigt sowohl Lagerfässer, in denen das Bier reift, als auch Fässer zum Transport des Gebräus sowie hölzerne Gärbottiche.

Brauereimuseum in Pilsen | Foto:  Pilsner Urquell

„Als eine der wenigen Brauereien weltweit beschäftigt Pilsner Urquell heute immer noch eine Gruppe von Fassbindern. Sie sorgen für die Instandhaltung der Lagerfässer, die in den Kellern immer noch benutzt werden. Die Fachleute stellen aber auch neue Fässer her sowie weitere Gegenstände wie Bottiche und Bierhumpen. Unsere Fassbinder geben ihre Handwerkskunst von Generation zu Generation weiter. Im Gegensatz zur Herstellung von Fässern für Wein oder Obstbränden müssen die Fässer bei uns innen mit einer Schicht Pech überzogen werden. Dies ist eine Art Glasur, die das Bier vor dem Kontakt mit dem Holz schützt. Denn sonst würde es verderben. Diese Behandlungsmethode ist einzigartig.“

Brauereimuseum in Pilsen | Foto: Ondřej Tomšů,  Radio Prague International

Heute würde kaum noch jemand das Geräusch kennen, das beim Zusammenhämmern eines Fasses entsteht und in alten Kinderliedern besungen wird, so die Archivarin weiter. Darum geben die Fassbinder der Pilsner Brauerei zu besonderen Anlässen, wie etwa der Langen Nacht der Museen, einen Einblick in ihr Handwerk. Noch nicht alle Arbeitsschritte sind nämlich von Maschinen ersetzt worden, und im Museum sind traditionelle Werkzeuge wie etwa Hobel zu sehen, die bis heute zum Einsatz kommen.

Bier-Laboratorium sorgt für stabile Qualität

Ein weiterer Ausstellungsraum zeigt ein Bier-Laboratorium. Dazu erläutert Domanická:

Bier-Laboratorium | Foto: Ondřej Tomšů,  Radio Prague International

„Früher war der Brauprozess von den persönlichen Erfahrungen des einzelnen Mälzers abhängig, von der Weitergabe der Traditionen, aber auch vom Aberglauben. Hier stellen wir aber den Gründer des modernen Bierbrauens vor, Frantíšek Ondřej Poupě. Er hat ein dickes Buch verfasst, eine wissenschaftliche Abhandlung über die verschiedenen Methoden des Brauens. Dabei hat er vor allem die Chemie einbezogen und verschiedene Analysen, um eine stabile Qualität des Biers zu erreichen.“

Brauereimuseum in Pilsen | Foto:  Pilsner Urquell

Das Labor der Pilsner Brauerei wurde im Jahr 1900 eingerichtet und ist bis heute in Betrieb. Schon damals war es wichtig, das Bier in bestmöglicher Qualität zu brauen, denn die Konkurrenz schlief nicht. Im Laufe des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden in der unmittelbaren Umgebung drei weitere große Brauereien:

„Das heutige Gambrinus-Unternehmen war damals die erste Pilsner Aktienbrauerei und entstand als direkter Nachbar zur Bürgerbrauerei, des heutigen Pilsner Urquells. Dies war möglich, weil 1869 das Recht der Propination aufgehoben wurde. Dies bedeutete ein Ende der mittelalterlichen Privilegien und den Beginn des Gewerberechts. Jeder, der Bier brauen wollte, konnte nun eine Konzession beantragen und sein eigenes Gewerbe betreiben.“

Brauereimuseum in Pilsen | Foto: Ondřej Tomšů,  Radio Prague International

Auch die Aktienbrauerei nannte ihr Produkt „Pilsner Bier“. Um diese Bezeichnung nutzen zu können, gab es nur eine Bedingung – dass sich der Betrieb nämlich auf dem Stadtgebiet von Pilsen befand. Dies galt ebenso für die entstehende Pilsner Gesellschaftsbrauerei, besser bekannt nach ihrem Hauptprodukt „Prior“. Und kurz vor dem Zweiten Weltkrieg eröffnete dann noch die Brauerei Světovar, die sich Böhmische Pilsner-Brauerei nannte. Die Bürgerbrauerei setzte sich in der Konkurrenz um die Bezeichnung Pilsner schließlich durch, indem sie ihrem Bier den Namen „Pilsner Urquell“ gab.

Brauereimuseum in Pilsen | Foto: Ondřej Tomšů,  Radio Prague International

Solche Markenstreitigkeiten kümmerten die Konsumenten der Biere aus Pilsen vermutlich wenig. Im Brauereimuseum ist auch ihnen ein Ausstellungsraum gewidmet. Plötzlich befindet sich der Besucher in der Geräuschkulisse eines Bierlokals zu Zeiten der Ersten Tschechoslowakischen Republik. Domanická beschreibt:

Bierlokals zu Zeiten der Ersten Tschechoslowakischen Republik | Foto:  Pilsner Urquell

„Ganz klassisch spielt ein Akkordeon, auf dem Tisch stehen Bier, eingelegte Würste und Presswurst, daneben liegen Zeitungen. Es gibt einen Billardtisch, und der Wirt kümmert sich um seine Stammgäste. So sah also eine typische Kneipe zu Lebzeiten unserer Großeltern aus. Sie gibt einen Eindruck von der böhmischen Bierkultur, die ihren Weg auch in die Kunst und Kultur gefunden hat. Nehmen wir nur den ‚Braven Soldaten Schwejk‘ von Jaroslav Hašek oder später auch die Bücher von Bohumil Hrabal. Diese sind eben mit einem solchen Szenario verbunden.“

Riesen- und Mini-Humpen

Brauereimuseum in Pilsen | Foto:  Pilsner Urquell

Und dazu gehören dann auch Gefäße aller Art, aus denen Bier getrunken werden kann. Im Museum sind klassische Gläser und Maßkrüge zu sehen ebenso wie Becher aus Porzellan oder Zinn. Die Holzhumpen mit künstlerischen Schnitzarbeiten gehen wiederum auf das Können der Fassbinder zurück. Und im Kuriositätenkabinett findet sich ein ganz besonderes Exemplar:

„Wir haben hier den größten und den kleinsten Humpen unserer Ausstellung. Es ist immer spannend, ob die Besucher das kleine Gefäß überhaupt bemerken. Darum hat es ein eigenes Regal, denn ansonsten würde man es übersehen. Der Krug ist keine zwei Zentimeter hoch.“

Brauereimuseum in Pilsen | Foto:  Pilsner Urquell

Zum Biertrinken ist dieses Exponat also wohl kaum gedacht. Ein anderes hingegen schon:

„Wir zeigen hier noch einige weitere kuriose Gegenstände. Bei diesem Bierglas muss man sich etwa gut überlegen, wie es zu benutzen ist. Das obere Drittel ist nämlich löchrig. Um daraus zu trinken, muss man eine bestimmte Anzahl von Löchern zuhalten, damit man sich nicht bekleckert.“

Und einen Tropfen Bier zu verschütten, gilt ja in orthodoxen Liebhaberkreisen geradezu als Sünde. Aber nicht nur für solche Fans ist das Brauereimuseum in Pilsen ein Erlebnis. Führungen werden nach Voranmeldung für Gruppen angeboten, Einzelbesucher können sich an der Rezeption die Museums-App mit einem Audioguide herunterladen. Dieser ist nicht nur in Tschechisch, sondern auch in Deutsch, Englisch, Russisch und zahlreichen weiteren Sprachen verfügbar.

Bürgerbrauerei in Pilsen | Foto:  public domain

Alle Informationen zum Brauereimuseum in Pilsen finden Sie unter prazdrojvisit.cz/de. Wer kein eigenes Telefon für die Museums-App hat, kann sich vor Ort ein Telefon mit dem Audioguide gegen Pfand ausleihen.

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