Sterndeuter, Schläfer, Grübler – Glaskünstler Janecký präsentiert seine Werke in Prag
Aus Anlass des Internationalen Jahres der Glasherstellung, das von den Vereinten Nationen für 2022 ausgerufen wurde, hat das Kunstgewerbemuseum in Prag eine einmalige Ausstellung eröffnet. Unter dem Leitmotiv „Sterndeuter und andere Werke aus dem Glasstudio 2019-2021“ sind dort rund vier Dutzend Artefakten ausgestellt, die der tschechische Glasmacher mit internationalem Renommee, Martin Janecký, in den letzten zweieinhalb Jahren in Prag gefertigt hat.
Martin Janecký ist in Liberec / Reichenberg in einer Glasmacherfamilie aufgewachsen. Der Vater arbeitete als Glastechnologe in mehreren Glashütten. Die Mutter war Glasmalerin, und auch seine drei Brüder sind heute in dem Metier tätig. 1993 gründete der Familienvater eine private Glashütte nahe dem mittelböhmischen Poděbrady, deren Atmosphäre Janecký von Kindheit an fasziniert hat. Er habe alles Mögliche getan, um immer so lang wie möglich in der Werkstatt bleiben zu können, sagt der 42-jährige Starkünstler:
„Als kleiner Junge stand ich schon um fünf Uhr in der Früh auf und bin in die Werkstatt gerannt. Es hat mir viel Spaß gemacht, dort mit den Glasmachern zusammen zu sein. Gerne habe ich auch den Boden gefegt, auf dem überall Teile der heißen Glasschmelze herumlagen. Natürlich habe ich mich dabei auch oft verbrannt. Mit 13 durfte ich schon selbst unter der Aufsicht eines Glasmeisters etwas mit dem Blasrohr kreieren. An Wochenenden war ich möglichst von 6 Uhr morgens bis 6 Uhr abends in den unterschiedlichen Werkstätten. Dementsprechend sah dann auch mein Abschlusszeugnis an der Grundschule aus, in dem es von schlechten Noten nur so wimmelte. Mein Vater zog daraus den richtigen Schluss und schickte mich in die Ausbildung zum Glasmacher.“
Seine Ausbildung absolvierte Janecký an der Fachmittelschule in der nordböhmischen Glasmacherstadt Nový Bor / Haida. Der Schulleiter pflegte Kontakte zu ausländischen Glasstudios beziehungsweise Glaszentren und schickte talentierte Schüler wie Martin Janecký zur Teilnahme an dortigen Präsentationen. Der angehende Glasmacher fand dabei wichtige Impulse für seine spätere Tätigkeit.
„Für mich war es jeweils eine tolle Gelegenheit, um an einem neuen Arbeitsstil ‚herumzuschnuppern‘, wie man sagt. Zugleich habe ich erfahren, wie man dieses und jenes anderswo in der Welt macht. Zum Beispiel wurde im Ausland bereits durch das Blasrohr in den Glastropfen gepustet, ohne dass dieser vorher in eine Form hineingelegt worden war, wie dies hierzulande üblich ist. Schon als Schüler habe ich mich bei den Treffen im Ausland mit dem sogenannten ‚Von-Hand-Glasblasen‘ bekannt gemacht. Und ich fand es auch besser, dass man dabei sitzen konnte und nicht stehen musste, wie dies bei uns üblich ist“, so Janecký.
Neue Methoden aus den USA
Während der ausländischen Praktikumsaufenthalte konnte Janecký zudem persönliche Kontakte knüpfen, die sich später als nützlich erwiesen. Nach seinem Abschluss an der Fachmittelschule in Nový Bor bekam er mehrere Einladungen aus dem Ausland. Eine davon führte ihn erstmals nach Südafrika. Später reiste er nach Schweden, Indien und in die Niederlanden. Sein größter Wunsch war allerdings, in die USA zu gehen. Mit 23 Jahren flog er daher bereits zum zweiten Mal nach Amerika:
„Dort hatte ich viele Möglichkeiten der Selbstverwirklichung in meinem Interessensbereich. In den USA gab es damals einen Boom neuer Glasstudios und Glaskunstzentren, und in diesen boten Meister aus Italien und vielen anderen Ländern der Welt eine Spitzenausbildung. Ich sprach aber noch nicht so gut Englisch und hatte auch wenig Geld. Für mich war also der Start nicht leicht. Doch ich war fleißig und habe mich nicht vor manueller Arbeit gescheut. Eine Zeitlang habe ich als Gehilfe in kleineren Glaswerkstätten gearbeitet, in denen ich gelegentlich selbst unterschiedliche Sachen anfertigen durfte. Sie wurden dann irgendwo auf Märkten in Florida an Senioren verkauft. Von dem Ertrag konnte ich mich finanziell über Wasser halten. Zurück nach Hause gehen wollte ich nicht. Das Wichtigste war für mich, in Amerika meinen eigenen Schaffensweg zu finden.“
In seinem Heimatland habe er solche Möglichkeit nicht für sich gesehen, betont Janecký. Sein großer Wunsch war, renommierten Glaskünstlern bei ihrer Arbeit „über die Schulter“ schauen zu können – oder für sie auch ohne Entgelt zu arbeiten. Doch um sich selbstständig zu machen und innovative Technologien zu erproben, mangelte es Janecký an dem nötigen Geld. Die Mietpreise für eine Werkstatt in den großen Glaskunstzentren lagen sehr hoch. Deswegen entschied er sich, eigene Ausbildungskurse anzubieten. Nach und nach stießen diese auf immer mehr Interesse.
Wichtig wurde für ihn eine Einladung ins New Yorker Corning Museum of Glass, das weltweit größte Museum moderner Glaskunst. Dort konnte er seine Fähigkeiten bei einer Performance zeigen. Das habe einen Schneeball-Effekt gehabt, sagt Janecký. Nachfolgend erhielt er Einladungen sowohl aus den USA wie auch aus vielen weiteren Ländern der ganzen Welt. In den folgenden 15 Jahren dehnte er seine Betätigung weiter aus. Er hielt Gastvorträge und lehrte an Kunsthochschulen, zudem veranstaltete er eigene Ausstellungen – und nicht zuletzt erlangte er solche Fertigkeiten in der innovativen Glasmodellierung, dass er zu einem außerordentlichen Künstler avancierte.
Martin Janecký erinnert sich gerne an die Sternstunde seiner künstlerischen Karriere. Im prestigereichen Glasstudio in Pilchuck in der Glass School in Stanwood, US-Bundesstaat Washington, lernte er den US-amerikanischen Starkünstler William Morris kennen. Ein Jahr lang konnte er als sein Assistent arbeiten. Morris‘ Warmglasmodellierung im Inneren des Glastropfens, bekannt als „inside bubble sculpting“, begeisterte ihn. Doch im Unterschied zu seinem Vorbild, das viele Motive der Tierwelt bearbeitet hat, begann sich Martin Janecký vor allem auf die realistische Darstellung von Gesichtern, Köpfen oder Figuren zu konzentrieren. Die Technik der Warmglasmodellierung hat er dabei auf besondere Weise vervollkommnet. Dass sie mit mühevoller Arbeit verbunden ist, deutet allein Janeckýs kurzgefasste Beschreibung an…
„Die ‚Vorstufe‘ für jeden meiner künftigen Köpfe ist ein konisches Hohlgebilde des glühenden Glastropfens. Oben drauf kommt ein Loch, durch das ich dann in dem Hohlraum das Gesicht jeweils mit einem passenden Werkzeug gestalten kann. Dafür habe ich mir auch einige Instrumente ausgedacht und selbst gebastelt. Ein Teil der Gestaltung erfolgt allerdings von außen. Dabei gilt es, auf die richtigen Proportionen im Gesicht zu achten. Nicht selten muss ich für die Arbeit an einigen Details die Handschuhe ausziehen, denn nur so ist Fingerspitzengefühl möglich. Ist die Hand nur drei Zentimeter von der glühenden Masse mit einer Temperatur von 800 oder 900 Grad Celsius entfernt, bleibt nichts anderes übrig, als dies halt auszuhalten. Natürlich habe ich mich dabei ‚tausendmal‘ verbrannt. Manchmal dauert es mehrere Stunden lang, allein eine Hälfte des Gesichts zu modellieren. Weil ich nicht zeichnen kann, mache ich nie Papierskizzen, sondern arbeite allein nach der Vorstellung des finalen Artefakts, die ich im Kopf habe. So macht es mir viel Spaß“, sagt der Glaskünstler lachend.
Inspirierende Straßenbahnfahrten
Inspirationen findet Janecký oft in den Gesichtern realer Menschen. In der Prager Ausstellung gibt es eine Vielzahl an Beispielen dafür. Schwerpunkt der Schau sind thematisch einheitliche Reihen von Plastiken, die er Sterndeuter, Schläfer oder Denker genannt hat:
„Ich mache mir bei der Arbeit Gedanken darüber, welche Gefühle oder Emotionen meine Glasköpfe ausdrücken sollen. Einige Gesichter sind tief in Gedanken versunken, andere haben geschlossene Augen und grübeln, so wie ich es mache. Oft finde ich in der Realität den Impuls, unterschiedliche Gesichtsausdrücke im Glas festzuhalten. So zum Beispiel in der Prager Straßenbahnlinie 22, in der ich bei meiner Heimfahrt nachts ab und zu Menschen in einer gewissen Körperposition sitzen sehe. Manchmal habe ich mich selbst auch so gesehen. Meine Plastiken mit dem Namen ‚Sterndeuter‘ haben wiederum einen etwas kuriosen Hintergrund. Sie beziehen sich auf konische Zipfel, die ich auf der Mütze meines Freundes, des bildenden Künstlers und Musikers Petr Nikl, gesehen habe. Die dreidimensionalen strahlenförmigen Elemente haben in mir ein Bild von Sternchen evoziert. Den Namen für dieses Ensemble an Köpfen habe ich mir allerdings bei David Bowies Song ‚Starman‘ geborgt.“
2019 musste Janecký wegen der Corona-Pandemie einige Pläne im Ausland unterbrechen und kehrte nach Tschechien zurück. Im selben Jahr gelang es ihm, ein eigenes Glasatelier an seinem Traum-Ort einzurichten: auf der Prager Moldauinsel Kampa. In anderthalb Jahren entstanden dort seine Glaswerke, die aktuell im Prager Kunstgewerbemuseum zu sehen sind. Derzeit plant Janecký keine Reisen außer einer 14-tägigen Stippvisite in den USA, wo er an einer Feier zu 50 Jahren Glasherstellung in Pulchack teilnehmen wird. Ansonsten möchte er sich künftig hierzulande aufhalten – um in seinem Prager Studio vieles von dem umzusetzen, was er fast 20 Jahre lang als Globetrotter gemacht hat. Und scherzhaft sagt der Workaholic noch:
„Ich werde zu Hause auf der Kampa Tomaten züchten und meinen Garten genießen.“
Die Ausstellung von Martin Janecký heißt „Sterndeuter und andere Studioarbeiten aus Glas“. Sie ist im Kunstgewerblichen Museum in Prag zu sehen, und zwar noch bis 11. September. Die Öffnungszeiten sind am Dienstag von 10 bis 20 Uhr sowie Mittwoch bis Sonntag jeweils von 10 bis 18 Uhr.