Preis für Treue in der Ehe? Tschechien diskutiert die Definition von „Familie“

Nachdem bei den Wahlen Ende September ein Drittel des tschechischen Senats neu zusammengesetzt wurde, haben sich nun auch die Ausschüsse formiert. Am 23. November traf sich etwa der Unterausschuss für Familie zu seiner ersten Sitzung. Ein Programmpunkt hatte schon im Vorfeld für Aufsehen gesorgt: Der Senat solle eine Auszeichnung für Treue in der Ehe etablieren, so die Forderung der parteilosen Parlamentarierin Daniela Kovářová. Die Debatte wird seitdem weniger darüber geführt, welchen Sinn solch ein Preis hätte. Vielmehr landen die Diskussionen immer schnell bei der Frage, wie sich Familie eigentlich definiert.

Daniela Kovářová | Foto: ČT24

Im Antrag ist die Rede davon, dass Ehepaare gerade heute die Unterstützung von höchster Stelle bräuchten. Dafür, dass zwei Menschen über lange Jahre beieinander bleiben und sich gegenseitig helfen, will die parteilose Senatorin Daniela Kovářová einen Preis aufsetzen. Unterstützung bekommt sie von der ebenfalls parteilosen Vorsitzenden des Unterausschusses für Familie, Jitka Chalánková. Diese erläuterte in den tschechischen Medien, dass damit symbolisch auf die Schönheit der Ehe verwiesen werden solle.

Jitka Chalánková | Foto: Martin Vlček,  Wikimedia Commons,  CC BY 3.0

Senator Jiří Čunek (Christdemokraten), der Mitglied im Unterausschuss für Familie ist, äußerte schon vor dessen Sitzung, dass ihm die Idee gefalle. In einer Diskussionssendung des Tschechischen Rundfunks begründete er dies:

„Die Idee verweist auf eine wichtige Angelegenheit für den Staat. Für diesen ist es nämlich am vorteilhaftesten, wenn eine Familie zusammenbleibt und sich als grundlegende Einheit um sich selbst kümmern kann. Ich bin aber gegen einen Preis für Treue, wenn sein Kriterium die Dauer der Ehe sein soll.“

Adéla Šípová | Foto: ČT24

Vielmehr sollten vorbildliche Paare für ihre Aufopferung geehrt werden, fügt Čunek an. Seine Parlamentskollegin Adéla Šípová, die im Senat die Piraten vertritt und ebenfalls im besagten Unterausschuss mitarbeitet, sieht hingegen keine Notwendigkeit für einen solchen Preis. Vielmehr müssten Bedingungen geschaffen werden, damit die Menschen ihre eigenen Entscheidungen in puncto Familienkonzept treffen könnten. Und weiter kommentiert Šípová:

„An dieser Diskussion finde ich etwas irreführend, wie wir über Familie reden. Denn Familie ist nicht gleich Ehe. Verheiratete Paare bilden nur einen Teil aller Familien in unserer Gesellschaft. Es gibt viele Paare, die sich treu sind, und das hat nichts mit der sexuellen Orientierung zu tun. Treu sind sich homo- wie auch heterosexuelle Menschen, und treu sind sich auch Menschen, die nicht verheiratet sind. Wenn wir also nur eine bestimmte Form von Familie vorziehen, dann ist das eine Ohrfeige für alle anderen.“

Familie als Grundeinheit des Staates

Jiří Čunek | Foto: Martin Vlček,  Wikimedia Commons,  CC BY 3.0

Auch Menschen, die aus welchem Grund auch immer nicht geheiratet haben, würden sich füreinander aufopfern, ergänzt Šípová. Momentan führt die Debatte, die der Vorschlag für den Treuepreis ausgelöst hat, unverzüglich zu der Frage, was eine Familie eigentlich ist. Jiří Čunek hat dazu eine klare Meinung:

„Die Grundeinheit des Staates ist die Familie – das sind verständlicherweise Mann, Frau und ihre Kinder. Dies ist die einzige Einheit, die sich fortpflanzen kann und damit die Möglichkeit hat, den Staat und die Nation aufrechtzuerhalten. Es kann natürlich jedem von uns passieren, dass dies schiefgeht und man sich trennt. Wenn wir aber allein die finanzielle Seite zusammenrechnen, dann ist diese Einheit der Familie die vorteilhafteste für den Staat.“

Dem entgegnet Šípová, die zudem Juristin ist, dass es eine solche Definition der Familie im Rechtssystem Tschechiens nicht gebe. Es sei vielmehr die Aufgabe der Parlamentarier, auch die Rechte von Menschen in anderen Formen des Zusammenlebens zu verteidigen, wie etwa Alleinerziehende. Diese Ausweitung des Familienbegriffs will Čunek nicht gelten lassen:

„In dem, was Kollegin Šípová sagt, zeigt sich eine gewisse Zerrüttung dieser Gesellschaft bezüglich ihrer grundlegenden Orientierung und Werte. Denn früher hat niemand Zweifel daran gehabt, was eine Familie ist. Und das, obwohl es seit Bestehen der Menschheit verschiedene Formen des Zusammenlebens gibt.“

Klára Vlasáková | Foto: Pavlovský,  Tschechischer Rundfunk

Eine Zerrüttung sieht Klára Vlasáková wiederum an anderer Stelle. Die Publizistin und Dramaturgin sprach in einem Kommentar für die Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks von der nuklearen Familie, wie die konservativ definierte Einheit kritisch genannt wird. Psychologen würden belegen, dass genau diese das Umfeld stelle, in dem die meisten Kindheitstraumata entstünden und es am häufigsten zu häuslicher Gewalt käme, so der Hinweis. Daraus folgt für Vlasáková:

„Zu behaupten, dass die Gesellschaft auf die nukleare Familie – bestehend aus einem heterosexuellen Paar und seinen Kindern – besonders stolz sein müsste, stellt für eine Reihe von Menschen eine bittere Verleugnung ihrer persönlichen Erfahrungen dar. Trotzdem rufen die Veränderungen, die die Familie als Einheit erlebt, bei einigen Politikerinnen und Politikern Panik hervor.“

Konservatives Familienkonzept unterliegt Veränderungen

Foto: congerdesign,  Pixabay,  CC0 1.0 DEED

Ob es tatsächlich Panik war, was die Senatorin Daniela Kovářová zu ihrer Idee eines Treuepreises motiviert hat, ist unklar. Ihre Kritiker halten es jedenfalls für überzogen, dass sich der Senat mit diesem Thema befassen soll. Dies sieht Jiří Čunek anders:

„Die beiden Senatorinnen haben ihren Vorschlag im Unterausschuss vorgelegt. Dies ist schließlich der Ort für solche Diskussionen, die im Plenum des Senats – ähnlich wie im Plenum des Abgeordnetenhauses – nicht geführt werden können. Denn dort werden schon fertige Entwürfe vorgelegt. Aber im Unterausschuss können jegliche Ideen durchdiskutiert werden.“

Ausschussmitglied Adéla Šípová findet hingegen, dass das Gremium wichtigere Dinge zu besprechen habe:

„Zu seinen Aufgaben gehören eher andere Dinge. So sollte die Lage der Familien in Tschechien analysiert und dabei gefragt werden, welche Sorgen Alleinerziehende haben, wie sich die häusliche Gewalt entwickelt oder welche Probleme Minderheiten haben, zu denen auch die LGBT-Gemeinde zählt. All diese Bereiche sind im Statut des Unterausschusses für Familie aufgeführt. Über irgendwelche Preise zu verhandeln, wie auch immer sie heißen mögen, gehört hingegen nicht zu den Prioritäten des Ausschusses.“

Illustrationsfoto: LollipopPhotographyUK,  Pixabay,  Pixabay License

Ähnlich argumentiert die Kommentatorin Vlasáková:

„Jitka Chalánková und Daniela Kovářová haben wohl eher im Blick, dass sich die Familienzusammenstellung verändert. Ihre Vorschläge scheinen einem totalitären System zu entstammen, das die Menschen zum Sex zwingt und sie für die äußere Fassade belohnt. Wenn die Senatorinnen nämlich den Familien wirklich etwas Gutes tun wollten, würden sie sich eher für die Lage von Alleinerziehenden interessieren, für genderbedingte Gewalt, für ein niedrigeres Eintrittsalter in Kindergärten oder für ein höheres Elterngeld.“

Nicht nur ein eventueller Treuepreis wäre an die enge Definition eines Ehepaares gebunden. Auch die staatliche Unterstützung – finanziell oder strukturell – orientiert sich in Tschechien noch sehr an dem traditionellen Konzept. Denn so sei es am einfachsten, bedürftigen Menschen Hilfe zukommen zu lassen, meint Jiří Čunek:

„Eine Familie ist ein Mann, eine Frau und die Kinder. Angesichts dessen, dass der Staat bisher noch kein System hat – und meiner Meinung nach auch niemals haben kann –, wie den einzelnen Menschen ansonsten gerecht geholfen werden kann, ist dies ein einfacher Weg. Die Familie ist klar definiert und betrifft ein Ehepaar. Dies ist auch ein institutionelles Element.“

Adéla Šípová hingegen findet, dass die Zusammensetzung einer Familie sowie die Entscheidung über eine Eheschließung den Menschen selbst überlassen werden sollte. Der Staat habe sich dabei nicht einzumischen und müsse die unterschiedlichen Lebensformen gleichwertig anerkennen, so die Senatorin:

„Unser Rechtsstaat ist darauf begründet, dass kein Unterschied gemacht wird zwischen Kindern von verheirateten und von unverheirateten Paaren. Dieses Prinzip gilt seit der Gründung des Staates. Wenn wir nun also die Ehe bevorteilen, dann werden nicht-eheliche Kinder diskriminiert. Damit bin ich absolut nicht einverstanden, denn dies gehört nicht in unseren Rechtsraum.“

Sie sei darum nicht überzeugt davon, dass der Senat einen Preis für Treue in der Ehe vergeben sollte, so Šípovás Fazit.

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Einige der Fragen, die die öffentliche Diskussion bestimmen, wurden dann auch im Unterausschuss für Familie diskutiert. Ohne eine Einigung auf konkrete Antworten wurde die Debatte schließlich auf die nächste Sitzung vertagt.

Autoren: Daniela Honigmann , Karolina Koubová
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