Von Naturschutz bis zu Sozialdiensten – Tschechen helfen seit über zehn Jahren in Georgien
Georgien ist ein Land mit viel Natur und ebenso ein beliebtes Reiseziel. Konsequenterweise fördert Tschechien im Rahmen seiner Entwicklungszusammenarbeit unter anderem die Entwicklung in diesen beiden Bereichen. Doch die Kooperation geht auch darüber hinaus. Das Land im Kaukasus ist eines der sechs Schwerpunktländer des tschechischen Außenministeriums.
Barbara Dschabanischwili lebt im Kaukasus, im abgelegenen Bergdorf Tkiliana oberhalb des Flusses Aragwi. Zusammen mit ihren neun Geschwistern und den Eltern betreibt sie dort eine kleine Pension. Vater und Mutter kümmern sich um den Transport der Gäste und das Essen, Barbara und ihr erwachsener Bruder bieten Touren und Service an.
Die Familie hat eine Förderung durch die Örtliche Aktionsgruppe Aragwi (Local Action Group Aragvi) genutzt. Hinter dem Projekt steht die tschechische Hilfsorganisation Člověk v tísni (Mensch in Not). Mit dem Geld konnten sich die Eltern neue Möbel und Ausstattungsgegenstände anschaffen und an Schulungen teilnehmen. In Zukunft will die Familie ihre Pension noch erweitern. Geplant ist etwa, Pferde zu kaufen und Ausritte in die Umgebung anzubieten.
Die Bergregion Aragwi mit ihrer wunderschönen Natur und dem Landschaftsschutzgebiet Pschaw-Chewsureti hat großes touristisches Potenzial. Doch dieses wird bisher nur wenig genutzt. Gerade aber die Örtliche Aktionsgruppe und ihre Förderung bieten Möglichkeiten, die Entwicklung in der Region nachhaltiger zu gestalten und dabei die Bevölkerung mit einzubinden. Ramazi Tschitschinadze ist Ortskraft von Člověk v tísni in Georgien und erläutert:
„Die Örtliche Aktionsgruppe Aragwi besteht aus Menschen, die in der Region leben. Ihre Aufgabe ist es, die Bereiche zu definieren, die entwickelt werden sollen. Die Gruppe entscheidet beispielsweise, dass Angebote und Unterkunftsmöglichkeiten für Touristen ausgebaut werden sollen und schreibt entsprechende Fördermöglichkeiten aus. Die Leute machen dann ihre Vorschläge, und eine Expertenkommission entscheidet anhand bestimmter Kriterien, wer eine finanzielle Unterstützung erhält.“
2020 wurde die Örtliche Aktionsgruppe Aragwi gegründet. Mittlerweile hat sie fast einhundert unterschiedliche Projekte unterstützt, darunter auch die Pension Midamo von Barbara Dschabanischwili. Laut Tschitschinadze haben gerade solche Initiativen den größten Nutzen für die örtliche Bevölkerung:
„Örtliche Aktionsgruppen sind in Georgien ein relativ wichtiges Mittel für die Regionalentwicklung. Die erste solche Gruppe wurde von Člověk v tísni in der Stadt Kazbegi gegründet und hatte großen Erfolg. Danach entstanden weitere örtliche Aktionsgruppen, die von anderen Organisationen ins Leben gerufen wurden. Das entspricht der sogenannten Bottom-up-Strategie, das heißt dass etwas von unten nach oben entsteht. Hauptgedanke ist dabei, dass die Menschen vor Ort am besten wissen, was sie brauchen. Diese Leute definieren die Prioritäten und arbeiten eine Strategie aus. Es ist ein wirklich wirksames Mittel für die Entwicklung der Regionen.“
Funktionierende Verwaltung
Seit 2009 hilft Tschechien im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit in Georgien. Dabei geht es nicht nur um kommunale Projekte. Die ersten Vorhaben wurden unmittelbar nach dem Kaukasuskrieg gestartet. Petra Mojžíšová ist Projektmanagerin der Tschechischen Entwicklungsagentur, die ans Außenministerium angegliedert ist:
„Die Entwicklungshilfe in Georgien begann als humanitäre Zusammenarbeit, um das Land nach dem Krieg wiederaufzubauen. Da also bereits Kontakte bestanden, wurde Georgien zu einem der prioritären Länder. Das galt für die Jahre 2010 bis 2017. Seit 2018 ist es ein sogenanntes ‚Programmland‘. Das heißt, dass wir ein Konzept ausgearbeitet haben. Und dieses definiert bestimmte Bereiche, in denen Tschechien mit Georgien zusammenarbeiten und sein Knowhow weiterreichen will.“
Laut Mojžíšová funktioniert die Kooperation mit dem Land im Kaukasus sehr gut im Vergleich mit weiteren Programmländern. Das liege aber nicht nur daran, dass die Partnerschaft bereits seit über zehn Jahren bestehe…
„Die staatliche Verwaltung funktioniert in Georgien relativ transparent, und NGOs werden auch nicht behindert. Davon zeugt zum Beispiel, dass tschechische Organisationen wie die Caritas oder Člověk v tísni dort ein Netz an Büros betreiben, in denen Ortskräfte beschäftigt sind. Auf diese Weise lässt sich viel mehr erreichen“, so die Projektmanagerin.
Georgien ist derzeit auch eine der sich am dynamischsten entwickelnden Volkswirtschaften der Welt. Dennoch kämpft das Land mit zahlreichen Problemen. Dazu gehören etwa eine geringe Versorgung im Bereich Gesundheit und soziale Dienste, aber auch die niedrige Produktivität in der Landwirtschaft.
Dementsprechend wurden die Prioritäten der tschechischen Entwicklungszusammenarbeit ausgerichtet. Diese akzentuiert derzeit drei Bereiche: inklusive Sozialprojekte, Landwirtschaft und Entwicklung auf dem Land sowie die demokratische Selbstverwaltung. Petra Mojžíšová:
„Im Gesundheitssystem konzentrieren wir uns etwa auf Kinder mit autistischen Störungen. Wir haben Standards definiert für die Arbeit mit solchen Kindern. Das ist sehr gut gelungen, in einigen Fällen sogar besser als bei uns in Tschechien. In der Landwirtschaft und der Entwicklung auf dem Land kümmern wir uns um das Imkerwesen, denn das ist eine wichtige Einnahmequelle für kleine Bauern. In der öffentlichen Verwaltung kann ein Projekt als Beispiel dienen, bei dem die Zollverwaltungen beider Länder kooperieren. Die tschechische Seite hat dabei Drogenspürhunde bereitgestellt und sie ausgebildet.“
Das Tal des Aragwi
Georgien ist flächenmäßig etwas kleiner als Tschechien. Es hat aber eine lange Kulturgeschichte und bietet teils spektakuläre Natur. Daher gehört auch der Naturschutz zu den Bereichen der Entwicklungszusammenarbeit.
In der Region Aragwi läuft gerade ein Projekt, um die Verwaltung des dortigen Landschaftsschutzgebietes zu fördern. Michal Hošek vom Nationalpark Riesengebirge erstellt zusammen mit tschechischen und georgischen Kollegen einen Plan, um die einzigartige Landschaft dort zu schützen:
„Das Landschaftsschutzgebiet hat den Vorteil, dass es zwar vom Staat ins Leben gerufen wurde, aber seine Verwaltung von den Munizipalitäten übernommen wurde. An Georgien als Staat ist dabei interessant, dass er sich aus unterschiedlichen Ethnien zusammensetzt, die sich in ihren Traditionen bis hin zur Küche voneinander unterscheiden. Sie haben also starke Identitäten – und das Landschaftsschutzgebiet ist der Hebel, um aus unserer Sicht die einzelnen Gemeinschaften in die Lage zu versetzen, ihr eigenes Gebiet zu verwalten. Das geht weit über den Umweltschutz hinaus.“
Mehr als zehn Jahre lang arbeitet Michal Hošek schon an Projekten in Georgien. So hat er einen ähnlichen Plan wie in Pschaw-Chewsureti zuvor schon für Tuschetien ausgearbeitet, eine Gegend im Norden des Landes an der Grenze zu Tschetschenien. In die abgelegene Region kommen heute mehrere Tausend Touristen im Jahr, auch weil dort ein Netz an Wanderwegen entstanden ist.
Als 2018 die Arbeiten in Tuschetien beendet wurden, bat das georgische Umweltministerium Hošek und seine Kollegen um Hilfe für das Tal des Flusses Aragwi. Obwohl die Tschechen vor allem Umweltexperten sind, hat der dortige Plan einen sehr viel breiteren Rahmen…
„Es ist eine Art Masterplan für die Gegend. Wir schützen also nicht nur die Natur, sondern entwickeln auch den Fremdenverkehr und statten die regionale Gemeinschaft mit den Kompetenzen aus für eine nachhaltige Nutzung des Landstrichs, und das möglichst auf traditionelle Art. Damit hängt auch die Flächennutzung in den Gemeinden zusammen, vor allem bei der Frage der Bebauung. Es handelt sich also um einen sehr komplexen Plan“, erläutert Michal Hošek.
In der Region Aragwi sind aber auch Experten des Instituts für wirtschaftliche Eingriffe in Wäldern aus Brandýs nad Labem / Brandeis an der Elbe beschäftigt. Sie setzen ein Vorhaben für nachhaltige Waldwirtschaft um. Es gehört zu den rund zehn aktuellen Projekten, die derzeit von der Tschechischen Entwicklungsagentur unterstützt werden. Mehrere Dutzend weitere wurden schon in den vergangenen Jahren realisiert. Und laut Petra Mojžíšová war die große Mehrheit von ihnen trotz eingeschränktem Budget sehr erfolgreich. Ihrer Meinung nach liegt das auch an der kulturellen Nähe zwischen Tschechen und Georgiern:
„Ich denke, dass die Georgier uns gerne haben und wir sie. Auch das ist ein Grund, warum die Projekte erfolgreich sind. Zudem ist Georgien ein schönes Land, und alle tschechischen Projektmitarbeiter wollen hierher zurückkommen, weil es einfach so toll ist, hier zu arbeiten. Nachhaltigkeit ist für uns eines der wichtigsten Attribute unserer Arbeit. Wir wollen, dass etwas bleibt und nach unserem Weggang weiter funktioniert. Und genau das, denke ich, gelingt uns auch.“
Partner des tschechischen Außenministeriums bei der Entwicklungszusammenarbeit in Georgien:
Česká rozvojová agentura, ČRA (Tschechische Entwicklungsagentur):
Seit 2008 finanziert die staatliche Agentur, die direkt dem Außenministerium unterstellt ist, vor allem bilaterale Entwicklungsprojekte und humanitäre Hilfe in anderen Ländern. Dabei arbeitet sie mit Verwaltungsorganen, NGOs, Universitäten und weiteren Forschungseinrichtungen sowie mit dem Privatsektor zusammen.
Člověk v tísni (Mensch in Not):
Tschechiens größte nicht-staatliche Hilfsorganisation nahm ihre Arbeit 1992 als Stiftung für humanitäre Hilfe in Kriegsgebieten auf. Heute haben auch Entwicklungszusammenarbeit, Bildungsprogramme und Hilfsangebote für Bewohner strukturschwacher Regionen in Tschechien einen wichtigen Platz in der Strategie der NGO. Bisher hat die Organisation Projekte in über 50 Ländern der Erde umgesetzt. In Tschechien organisiert sie zudem jedes Jahr das Dokumentarfilmfestival zu Menschenrechtsthemen, „Jeden svět“ (Eine Welt).
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