Gedenkakt zu 1968: Politiker betonen Parallelen zu Russlands Aggressionskrieg gegen Ukraine

In der Nacht auf den 21. August 1968 marschierten die Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei ein. Damit wurde der sogenannte „Prager Frühling“, die Zeit der Demokratisierung der Gesellschaft, mit Gewalt beendet. An die Opfer der Okkupation, die mehr als 20 Jahre lang dauerte, wurde am Montag an vielen Orten Tschechiens erinnert. Ein Gedenktakt fand auch vor dem Gebäude des Tschechischen Rundfunks statt.

Auf einer Tafel stehen die Namen all jener Bürger, die von sowjetischen Soldaten 1968 vor dem Funkhaus erschossen wurden. An der Gedenkveranstaltung nahmen Politiker, Hinterbliebene der Opfer sowie die Öffentlichkeit teil. Erstmals seit vielen Jahren nahm auch wieder das tschechische Staatsoberhaupt daran teil. Die Ereignisse vor 55 Jahren seien bis heute ein traumatisierender Moment der tschechischen Geschichte, merkte Präsident Petr Pavel an und fuhr fort:

„Das Beste, was man mit Traumata machen kann, ist es, sich damit auseinanderzusetzen. Dies sollte jedoch nicht mit einer schwarzweißen Optik geschehen, sondern mit der Bemühung, die Fakten sowie die Emotionen der damaligen Zeit kennenzulernen.“

Petr Pavel | Foto: Michaela Říhová,  ČTK

Pavel fügte eine persönliche Erinnerung an den Einmarsch hinzu. Er war damals, wie er erzählte, sieben Jahre alt, und seine Oma, die gerade Radio hörte, sagte ihm: „Die Russen haben uns überfallen.“ Als kleiner Junge, der zuvor immer gehört hatte, dass die Russen das Land befreit hätten, habe er nicht verstehen können, wie sie sein Land nun überfallen konnten. Es habe dann gedauert, bis er das verstanden habe, so der Präsident. Den Einmarsch beschrieb er als eine Verletzung internationalen Rechts. In der Ukraine spiele sich derzeit etwas Ähnliches ab wie 1968 in der Tschechoslowakei, sagte der Staatspräsident und betonte:

„Russland hat sich seitdem nicht geändert, auch wenn es anders heißt. Daran sollten wir uns erinnern. Genauso sollten wir der 137 Menschen gedenken, die während der Okkupation ums Leben kamen. Wir dürfen zudem die damaligen Redakteure des Rundfunks und des Fernsehens nicht vergessen, die bis zum letzten Moment über den Einmarsch informierten. Des Weiteren dürfen wir die vielen Tausend Menschen nicht vergessen, die sich mit den Verhältnissen nach dem Einmarsch nicht abfanden und auch während der sogenannten ,Normalisierung‘ bei ihrer Haltung blieben. Dafür wurden sie schikaniert, viele verloren ihre Arbeit, und mehrere von ihnen wurden ins Gefängnis geschickt.“

Markéta Pekarová Adamová | Foto: Zuzana Jarolímková,  iROZHLAS.cz

Die Vorsitzende des Abgeordnetenhauses, Markéta Pekarová Adamová (Top 09), erinnerte in ihrer Rede an die wichtige Rolle der Medien. Damals kam es vor dem Rundfunkgebäude in Prag zu Gefechten. Es sei ungleicher Kampf gewesen, betonte die Politikerin:

„Und im dunkelsten Moment erklangen aus dem Radio die Worte: ,Wir sind mit euch, seid mit uns.‘ Nach mehr als 50 Jahren hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj diese Worte von 1968 auch in seiner Rede im tschechischen Parlament genutzt. Die Ukrainer, mit ihrem Staatspräsidenten an der Spitze, verteidigen sich heute heldenhaft gegen die brutale russische Aggression. Diese erinnert in einiger Hinsicht an die Ereignisse in der Tschechoslowakei vor 55 Jahren. Wir dürfen die Opfer der damaligen langen Okkupation nicht vergessen. Genauso dürfen wir nicht die Opfer der russischen Aggression gegen die Ukraine vergessen.“

Petr Fiala | Foto: Zuzana Jarolímková,  iROZHLAS.cz

An die Ähnlichkeiten von 1968 und Russlands Aggressionskrieg gegen die Ukraine  erinnerte ebenso Premier Petr Fiala (Bürgerdemokraten):

„Die Ukraine zeigt der ganzen Welt, dass Russlands imperiale Instinkte derzeit genauso gefährlich sind wie 1968. Der Einmarsch in die Tschechoslowakei enthüllte nach Meinung mehrerer damaliger Historiker das Wesen des sowjetischen Denkens. Leider dauerte es mehr als 20 Jahre, bevor das kommunistische Regime in der Tschechoslowakei zusammenbrach. Die Zeit der sogenannten ,Normalisierung‘ war ein trauriges und beschämendes Kapitel unserer Geschichte. Daran sollten wir heute auch denken.“

Über den Einfluss der Okkupation von 1968 auf die tschechische Gesellschaft sprach Jan Květina vom Historischen Institut der Akademie der Wissenschaften am Montag in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks. Er betonte:

„Nach dem Einmarsch landete die Idee des freigeistigen Sozialismus, den man ohne Rücksicht auf die Meinung der Sowjetunion praktizieren wollte, im Mülleimer der Geschichte. Zudem wurde zum ersten Mal das Vertrauen der tschechoslowakischen Gesellschaft in die offiziellen Stellen enttäuscht. So entstand die Überzeugung, dass es viel besser und einfacher sei, sich anzupassen, sich ins Privatleben zurückzuziehen und zu resignieren.“