Gas-Importe nach Tschechien: Bis zu 50 Prozent stammen Schätzungen zufolge aus Russland

Angesichts des Wintereinbruches dreht so manch einer in Tschechien gerade wieder die Heizung auf. Was viele dabei nicht wissen: Nachdem der Anteil russischen Gases in Tschechien zu Beginn des Jahres gegen Null ging, steigt er derzeit wieder. Schätzungen zufolge könnten bis zu 50 Prozent des Erdgases, das derzeit nach Tschechien geleitet wird, aus Russland stammen.

LNG-Terminal | Foto: Matthew Smith,  Flickr,  CC BY 2.0

In Folge des Angriffskrieges in der Ukraine hat Tschechien seine Abhängigkeit im Energiesektor von Russland zurückgefahren. Gas etwa, das zuvor fast ausschließlich von dort stammte, wird seitdem etwa aus Norwegen importiert oder in Form von Flüssigerdgas aus Belgien und den Niederlanden. In der vergangenen Woche hatte die tschechische Regierung zudem eine weitere Neuerung zu vermelden. So hat man sich ab 2027 Kapazitäten am LNG-Terminal im niedersächsischen Stade gesichert. Zwei Milliarden Kubikmeter Gas sollen dort jährlich für Tschechien bereitgehalten werden können – das ist etwa ein Viertel des hiesigen Jahresbedarfs.

„Wir gehen nun einen wichtigen Schritt, damit die Gaslieferungen nach Tschechien langfristig sichergestellt sind“, sagte Premier Petr Fiala (Bürgerdemokraten) am Donnerstag vor Journalisten. Während die Regierung also zuversichtlich in die Zukunft blickt, ist der Status quo rund um das russische Gas längst nicht mal so rosig. Denn seit Oktober dieses Jahres ist der Anteil russischen Gases hierzulande massiv angestiegen. Über welchen Weg kommt der Rohstoff aus Russland aber nun auf einmal wieder ins Land? Das erläutert der Wirtschaftswissenschaftler Lukáš Kovanda:

Lukáš Kovanda | Foto: Karolína Němcová,  Tschechischer Rundfunk

„Wir kennen nicht alle Daten und müssen von daher Schätzungen anstellen. In Lanžhot an der Grenze zur Slowakei fließen täglich etwa 40.000 bis 50.000 Megawattstunden Gas nach Tschechien. Ungefähr 90 Prozent davon könnten aus Russland kommen. Es ist deshalb davon auszugehen, dass derzeit bis zu 50 Prozent des Gases, das aktuell nach Tschechien strömt, ursprünglich aus Russland stammen.“

In den ersten neun Monaten dieses Jahres hatte der Anteil russischen Gases laut dem Industrie- und Handelsministerium dabei noch bei nur 1,2 Prozent gelegen. Was verursacht nun auf einmal diesen rasanten Zuwachs? Kovanda sieht einen klaren Grund:

„Es gibt derzeit einen Überschuss an russischem Gas in ganz Mitteleuropa. Das heißt, dass man in Ungarn, Österreich und der Slowakei nicht hinterherkommt, das Gas in die Speicher zu leiten oder in die Ukraine. Aufgrund des Überschusses gehen die Preise nach unten. Das Gas aus dem Osten – und auch das aus Russland – ist günstiger als das aus dem Westen. Für die Händler ist es von daher natürlich attraktiver, dieses überschüssige, unter anderem russische, Erdgas aus dem Osten nach Tschechien zu leiten.“

Beim Industrie- und Handelsministerium ist man derweil bemüht, den Wind aus den Segeln zu nehmen. René Neděla ist Staatssekretär für Energiefragen. In den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks sagte er am Montag:

René Neděla | Foto:  ČT24

„Ich denke, was die Suche nach den Gründen angeht, handelt es sich um Spekulationen. Denn es kann sein, dass das Gas gar nicht aus Russland kommt, sondern aus Speichern in der Ukraine. Genauso gut ist es möglich, dass der Rohstoff lediglich über Tschechien zu Kunden in anderen Ländern gebracht wird.“

Aber russisches Gas überhaupt in die EU einzuführen – sollte nicht genau das vermieden werden, auch durch die Sanktionen gegen Russland? Nein, sagt Ökonom Kovanda:

„Gas wurde von der Europäischen Union nicht mit einem Embargo belegt. Die Händler, die russisches Gas nach Tschechien liefern, können deshalb nicht zur Rechenschaft gezogen werden.“

Dass es in der EU keine Sanktionen auf russisches Erdgas gibt, hängt vor allem damit zusammen, dass einige Länder aufgrund ihrer Abhängigkeit von dem Rohstoff darauf drängten, ihn weiter beziehen zu können. Auf diese Situation verweist dann auch René Neděla und sagt, Tschechien hätte schlichtweg keine Kompetenzen, etwaige Händler mit russischem Gas strafrechtlich zu verfolgen. Hinzu käme, so der Staatssekretär, dass die Herkunft des Energieträgers oft nicht gesichert festgestellt werden könne:

„Die Händler schließen Verträge ab mit Unternehmen in Europa. Gas wird oft am Spotmarkt gekauft. Es kann dann gar nicht mehr gesagt werden, wo es physisch herkommt. Unseren Informationen zufolge hat keine der tschechischen Firmen Geschäftsverbindungen nach Russland.“

Dennoch lässt die Einschätzung von Lukáš Kovanda aufhorchen. Tschechien bilde damit aber in der EU keinesfalls eine Ausnahme, meint er. Denn auch anderswo seien jüngst wieder steigende Gas-Importe aus Russland verzeichnet worden, so der Wirtschaftswissenschaftler:

„Staaten wie Frankreich, Belgien und weitere westliche Länder führen russisches Gas in verflüssigter Form ein. Der Unterschied dazu besteht lediglich darin, dass es zu uns durch die Pipelines gelangt.“

Die NGO Global Witness sprach jüngst sogar von Rekordwerten bei der Einfuhr von LNG aus Russland in die EU. So seien von Januar bis Juli dieses Jahres 40 Prozent mehr eingeführt worden als noch 2021, also vor dem Einmarsch in die Ukraine.

Ein komplettes Aus für russisches Gas hat die Europäische Union derweil für 2027 anberaumt. Dann soll der Energieträger weder in seiner verflüssigten Form über den Seeweg, noch über die Pipelines aus Russland nach Europa gelangen.

Autoren: Ferdinand Hauser , Renata Kropáčková
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