Aschenbrödel ist 50: Weihnachtskultfilm verbindet Tschechen und Deutsche

Aschenbrödel-Darstellerin Libuše Šafránková

Was wäre heute Weihnachten ohne „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“? Die Märchenverfilmung wurde vor 50 Jahren erstmals ausgestrahlt. Und seitdem hat sie Kultstatus erlangt – sowohl in Tschechien als auch in Deutschland.

Sie leidet unter ihrer boshaften Stiefmutter und Stiefschwester und muss wie eine Dienstmagd schuften. Wenn der Prinz einen großen Ball veranstaltet, muss sie zu Hause bleiben. Doch dank einiger magischen Helfer und mit der Hilfe der guten Tauben finden Aschenputtel und der Prinz zueinander. Kennen Sie die Geschichte?

Petr Bednařík | Foto: Karlsuniversität Prag

Ihre Verfilmung begeistert schon seit 50 Jahren Klein und Groß nicht nur in Tschechien. Der Märchenfilm „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ entstand 1973 unter der Regie von Václav Vorlíček. Petr Bednařík ist Medienhistoriker an der Prager Karlsuniversität und wirft einen Blick zurück:

„Die Premiere fand im Herbst 1973 statt und die TV-Ausstrahlung zu Weihnachten 1974. Das Echo war extrem. Damals wurde der Erfolg nicht nach den Zuschauerzahlen gemessen, sondern anhand der Zufriedenheit der Zuschauer. In den Tabellen für die gesamten 1970er Jahre war ‚Drei Haselnüsse für Aschenbrödel‘ die Sendung, bei der die Zuschauer am zufriedensten waren.“

Es wäre aber falsch zu denken, dass das Märchen so oft auf dem Programm stand wie heute:

„Wir sind heute dran gewöhnt, dass im Fernsehen zu Weihnachten von früh bis spät ein Märchen nach dem anderen läuft. Aber in den 1970er und 1980er Jahren war dies nicht der Fall. Es wurden etwa zwei Märchen pro Tag gezeigt. Selbst ein solch erfolgreicher Film wie ‚Drei Haselnüsse für Aschenbrödel‘ wurde nur im Abstand von mehreren Jahren gesendet. Erst seit den 1990ern gilt, dass es kein Heiligabend ohne dieses Märchen gibt.“

Weihnachten im TV: Märchen, Märchen, Märchen

Auf den Kult von Aschenbrödel beziehungsweise Popelka kommen wir später zurück. Wie sah aber dann vor 50 Jahren das Weihnachtsprogramm im Tschechoslowakischen Fernsehen aus?

„In jener Zeit wurden zu Weihnachten oft TV-Inszenierungen gesendet, die nach Literaturklassikern gedreht wurden. Vor allem wurden Werke von Autoren des 19. Jahrhunderts adaptiert. Oft wurden Sendungen mit klassischer Musik gebracht. Ein weiterer Schwerpunkt waren Folklore und Volkskunsttraditionen. Außerdem wurden ausländische Filme gezeigt, allerdings in einem viel geringeren Umfang als heute. Heute werden viele Märchen und Komödien gebracht, damals hingegen gehörten auch ernste Themen zu Weihnachten. Oft wurde zum Beispiel der TV-Film ‚Počítání oveček‘ (auf Deutsch: Das Schäfchenzählen) über ein schwerkrankes Mädchen gesendet. Er sollte die Leute zum Nachdenken darüber bringen, dass nicht jeder Mensch eine glückliche Kindheit erleben kann.“

Der Fokus auf Märchen, die das Weihnachtsprogramm heute stark prägen, sei eine typisch tschechische Angelegenheit, sagt der Medienforscher:

„Wenn man sich die Fernsehprogramme anderer europäischer Länder anschaut, sehen diese anders aus. Wenn es schon Märchen gibt, sind es oft Zeichentrickfilme aus US-amerikanischer Produktion. Oder man bringt sogenannte Familienfilme, amerikanische oder europäische. Aber eine solch starke Fokussierung auf klassische Märchen und eine solch große Zahl an einheimischen Produktionen findet man kaum anderswo.“

Vor allem der Start der kommerziellen TV-Sender hierzulande in den 1990er Jahren habe zu diesem Trend beigetragen, sagt der Medienexperte.

„Neben dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen kamen damals noch zwei neue Sender hinzu, die ihr Programm irgendwie füllen mussten. Sie waren auch an jenen Märchen im Nationalen Filmarchiv interessiert, die das Tschechische Fernsehen wohl nicht gesendet hätte – und sie kauften die Senderechte an diesen. Über sie hat sich das Phänomen stark ausgebreitet.“

Zudem gelte allgemein, dass die tschechischen Zuschauer sehr an einheimischen Produktionen mit tschechischen Schauspielern interessiert seien. Und zwar nicht nur zu Weihnachten:

„Die Hauptsendezeit von 18 bis 22 Uhr sowohl im öffentlich-rechtlichen Fernsehen als auch bei kommerziellen Sendern basiert auf einem tschechischen Programm. Nicht einmal kommerzielle Sender bringen in dieser Zeit ausländische TV-Serien.“

„Drei Haselnüsse“ in 28 Ländern der Welt

Kein anderes Märchen wird heute in der Weihnachtszeit so oft ausgestrahlt wie „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“. Der Ruhm und Erfolg des Märchenfilms reichte von Anfang an weit über die Grenzen der Tschechoslowakei hinaus. Petr Bednařík:

Drei Nüsse für Aschenbrödel | Foto: Tschechisches Fernsehen

„Interessant ist, dass dieses Märchen in 28 Länder der Welt verkauft wurde. Überraschenderweise waren darunter auch Länder wie Algerien, Iran, Island, Tansania oder Indien. Der Film wurde auf eine solche Art gedreht, dass auch Zuschauer, die aus einem völlig unterschiedlichen Kulturkreis stammen, ihn als schönes Märchen wahrnehmen und die Figuren und die Handlung verstehen. Gleich nach der Premiere wurde sowohl hierzulande als auch im Ausland die Interpretation von Aschenbrödel gelobt: Sie ist kein passives Mädchen, das wartet, bis ein Prinz kommt und es rettet. Sondern sie ist aktiv, geht selbst ihren Weg zum Glück und trifft eigene Entscheidungen.“

Eine besondere Stellung unter den 28 Ländern hat Deutschland. Der Film wurde nämlich Anfang der 1970er Jahre als Koproduktion der Tschechoslowakei und der DDR gedreht. Steffen Retzlaff ist ein deutscher Kulturwissenschaftler:

„Der Film wurde 1974 in Ostdeutschland zuerst im Kino aufgeführt und im westdeutschen Fernsehen zu Weihnachten 1975. Der Film war in beiden Teilen Deutschlands gleich sehr erfolgreich und wurde wiederholt. Aber dieser Kult, den wir heute kennen, hat tatsächlich erst nach der Wende begonnen. Irgendwann in den 1990ern fing es an, dass ‚Drei Haselnüsse für Aschenbrödel‘ immer mehr wiederholt wurde. Heute gibt es bis zu 20 Ausstrahlungen jedes Jahr.“

Božena Němcová und die Brüder Grimm

Das Drehbuch entstand auf Grundlage eines Märchens der tschechischen Schriftstellerin Božena Němcová. In Deutschland ist derselbe Stoff in der Bearbeitung der Brüder Grimm bekannt. Unterscheiden sich die beiden Erzählungen? Der Märchenforscher:

Božena Němcová | Foto: e-Sbírky,  Nationalmuseum,  CC BY 1.0 DEED

„Ja und Nein. Der Zauber bei den Märchen ist ja, dass die sogenannten Grundmotive immer gleich sind. Also ein Aschenbrödel-Märchen, bei dem sie zum Ball geht, den Schuh verliert und danach die Schuhprobe gemacht wird, oder mit dem Motiv, dass sie zu Hause unterdrückt wird und dann Prinzessin wird, gibt es in jeder Variante. Was sich in den vielen Varianten in der Welt unterscheidet, das sind die Einzelheiten. Und das bleibt auch bei der Verfilmung, in der die Einzelheiten geändert werden können.“

Das deutsche Publikum sehe die „Drei Haselnüsse“ aber durchaus als tschechisches Produkt, lautet die These von Steffen Retzlaff:

„Das liest sich auch in der Beschreibung, da wird von der böhmischen Landschaft geschwärmt. Obwohl es ja wenig Zeichen – bis etwa auf die Kolatschen – gibt, die es wirklich als tschechisch markieren. Ich höre hier sehr oft, dass es als böhmische Landschaft, als tschechisches Märchen wahrgenommen wird. Auch wenn man die Geschichte natürlich kennt, gibt es diesen fast schon exotischen Diskurs dazu, dass das eben die tschechische Variante ist.“

Gedreht wurde im Prager Studio Barrandov und in Babelsberg:

„Die Projektidee war eine genuin tschechische. Der Drehbuchautor František Pavlíček durfte nicht mehr am Theater arbeiten und hat dann Projekte umgesetzt, die er schon längst geplant hatte. Schon lange hatte er ein Drehbuch für diesen Stoff im Sinn gehabt und hat dies dann Anfang der 1970er Jahre verwirklicht. Die Idee war, das im Studio Barrandov umzusetzen. Die Koproduktion entstand erst, als man in die Planung gegangen ist.“

Aschenbrödel. Ein Wintermärchen

Eigentlich sollte „Aschenbrödel“ ein Sommermärchen sein. Eben in Folge der Zusammenarbeit mit dem Defa-Studio wurde die Handlung letztlich in den Winter verlegt:

Foto: Nationalinstitut für Denkmalpflege,  CC BY-NC-ND 3.0 CZ

„Nach Angaben von Regisseur Václav Vorlíček ist das so entstanden. Laut seinem Bericht hieß es vom Studio Defa, dass man im Sommer belegt sei, aber man das später machen könnte. Und dann hat er gesagt, man mache das gleich im Winter. Aber es gibt keinen anderen Beleg, dass das so war. Der ursprüngliche Entwurf von Pavlíček spielt im Sommer. Erst im Prozess der Produktionsplanung wurde gesagt, man verlege es in den Winter.“

Unter anderem eben der winterlichen Kulisse und den Aufnahmen der verschneiten Landschaft wird der Erfolg des Films zugeschrieben:

„Das glaube ich auch. Wenn man sich anschaut, wie sie durch den Schnee reitet oder wie sie durch den verschneiten Wald tollen, dann hat das natürlich Schauwerte. Viele Filme haben dies gescheut, weil der Aufwand natürlich viel größer ist. Es gibt interessante Geschichten von Václav Vorlíček, dass da alle gefroren haben, dass man da feststeckte und so. Es ist natürlich viel risikoreicher, im Winter zu drehen. Dass man diesen Schritt gegangen ist, hat definitiv Erfolg gehabt.“

Václav Vorlíček | Foto: Adam Kebrt,  Tschechischer Rundfunk

Die Besetzung war ein weiterer wesentlicher Schritt zum Erfolg. Regisseur Václav Vorlíček wählte die Hauptdarstellerin Libuše Šafránková aus eintausend Kandidatinnen aus. Aber auch deutsche Schauspieler waren dabei:

„Am Anfang wollte man auch die Stiefschwester mit einer deutschen Schauspielerin besetzen, man hat aber keine gefunden. Deswegen sind es relativ wenig. Die Stiefmutter Carola Braunbock und das Königspaar Rolf Hoppe und Karin Lesch, die waren damals schon bekannt. Alle anderen waren unbekannt, und die tschechischen Schauspieler sowieso. Insofern war das für die Zuschauer eine Entdeckung. Und Libuše Šafránková hat es dann auf das Cover des ‚Filmspiegels‘ gebracht, sie ist durchaus berühmt geworden.“

Emanzipierte Hauptheldin

Als ein weiterer Grund gilt die Darstellung der Hauptheldin als selbstständig und emanzipiert…

Drei Haselnüsse für Aschenbrödel | Foto: © Barrandov Studio a.s./DEFA

„Ich sehe das im Grunde ähnlich, finde aber, dass in den Diskussionen dieses Motiv etwas überbewertet wird. Wenn man in die Märchenvarianten guckt, ist Aschenbrödel – im Unterschied zum Beispiel zu Dornröschen – doch immer eine aktive Figur. Sie geht ja selbst zum Ball oder in die Kirche, also diese Aktivität ist durchaus angelegt. Was in dem Film noch unterstützt wird, ist die Initiative und dieses Freche. Allzu heftige Interpretationen in Richtung Emanzipation finde ich aber übertrieben.“

Grundsätzlich müsse da irgendetwas Übergreifendes sein, was den Film überall so erfolgreich mache, sagt Steffen Retzlaff. Es gebe Elemente, die sowohl in Tschechien als auch in Deutschland wirken würden:

„Dazu gehört die Gestaltung, die Hauptdarsteller und der Schnee. Das sind Elemente, die überall verfangen. Und dann gibt es die Einzelheiten, die sicher landesspezifisch sind. Und da könnte man für Tschechien den Gesang von Karel Gott nennen und den Bezug zu Božena Němcová. Dann wiederum ist Schloss Moritzburg der einzige Ort, der konkret zu erkennen ist, das wäre ein Bezug, der vielleicht in Deutschland besser funktioniert.“

Steffen Retzlaff beschäftigt sich seit über zehn Jahren auf verschiedenen Ebenen damit, warum sich „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ zu solch einem Kult entwickelt haben:

„Der Kult, der da stattfindet, wie man ihn jedes Jahr in Moritzburg sieht, den wird man nie gänzlich erklären können. Mit dem wissenschaftlichen Besteck können wir uns ein bisschen annähern, die Phänomene erklären und manche Fragen beantworten – der Schnee, der fällt, der Zauber, wie der Film gemacht ist, der Humor. Aber wir werden den Zauber, der zu diesem Kult führt, der wirklich alles überstrahlt, wahrscheinlich nie endgültig erklären können. Das steckt tatsächlich in den Herzen der Zuschauer und Zuschauerinnen.“

Zauber auch nach 50 Jahren

Und der Film werde sicher auch weiter in den Herzen der Zuschauerinnen und Zuschauer bleiben, meint Retzlaff. Er rät davon ab, den Stoff wieder aufzunehmen und ihn mit den Möglichkeiten, die man heute hat, wie die Animation, noch einmal umzusetzen:

„Man kann das machen, aber es funktioniert nicht. Das sieht man bei den neueren Filmen von Václav Vorlíček. Das kommt bei den Leuten zwar an, aber nie in dem Maße wie diese alten handwerklichen Filme. Das heißt, man wird es nie wieder so hinbekommen, der Kult um den Film wird weiter bestehen bleiben. Was die Entwicklung des Genres angeht, kann man schlecht in die Zukunft schauen. Entscheidend ist, dass es stilgebend war. Wenn man sich die Neufassung anguckt, die neue ZDF-Reihe, findet man gewisse Elemente, wie die Außenaufnahmen und einen gewissen Humor. Das sind Sachen, die der tschechische Märchenfilm und besonders ‚Die drei Haselnüsse‘ ins Genre eingebracht haben und die jetzt schon aufgenommen werden. Im Grunde schreibt das die Märchentradierung weiter.“

Und wie schätzt Petr Bednařík die Stellung von Vorlíčeks Aschenbrödel-Verfilmung heute ein:

„Ich denke, dass ihre Poetik auch nach 50 Jahren immer noch funktioniert. Ich denke mir oft bei den neuen Märchen, dass dort zu viel darauf gedrängt wird, Scherze und lustige Figuren zu haben. Das funktioniert aber oft nicht. Der Erfolg von ‚Aschenbrödel‘ beruht darauf, dass man nicht darauf gedrängt hat, dort lustige Figuren rumhüpfen zu lassen, sondern man sich an die Handlung gehalten hat. Der Zuschauer fiebert mit Popelka mit, er hat Sympathien mit ihr. Und obwohl man weiß, wie alles ausgeht und einzelne Szenen auswendig kennt, schaut man sich das Märchen immer wieder gerne an.“

Drei Haselnüsse für Aschenbrödel | Foto: Nationales Filmarchiv Prag
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