„Neue Realismen“: Ausstellung in Prag zeigt Kunst der Zwischenkriegszeit

In der Galerie der Hauptstadt Prag (GHMP) werden derzeit in einer großen Ausstellung die Werke von Künstlern aus der Tschechoslowakei der Zwischenkriegszeit präsentiert. Dabei werden auch Bezüge zur Neuen Sachlichkeit in Deutschland geschaffen.

Foto: Jan Kolský,  GHMP

Die neueste Ausstellung in der Galerie der Hauptstadt Prag beginnt mit einer Landkarte. Gekennzeichnet sind dort die einzelnen Sprachgruppen in der Tschechoslowakei zwischen den beiden Weltkriegen: „Das heißt Tschechisch, Deutsch, Slowakisch und Ungarisch“, sagt Anna Habánová im Interview für Radio Prag International. Sie ist eine der Kuratoren der Ausstellung.

„Wenn man sich die Karte anschaut, bleibt von der Tschechoslowakei nur ein rudimentärer Teil übrig, in dem Tschechisch und Slowakisch gesprochen wurde. Das ist ein wichtiger Teil dieser Aussteilung, den wir hier verdeutlichen wollen.“

Wie Habánová im Interview ausführt, ist die Idee zur Ausstellung aus einer umfassenden Publikation zum Thema hervorgegangen. Auch diese stand bereits unter dem Titel „Nové realismy“, also „Neue Realismen“, den nun ebenso die Ausstellung in Prag hat. Aber: Neue Realismen – was genau verbirgt sich hinter diesem Begriff?

Helena Musilová,  Anna Habánová und Ivo Habán | Foto: Ferdinand Hauser,  Radio Prague International

„Erstens sind das Werke, die in der Zwischenkriegszeit entstanden sind. Es gibt also eine konkrete zeitliche Zäsur. Zudem gibt es eine geographische Grenze: von Asch bis Kassa beziehungsweise Kaschau (slowakisch Košice, Anm. d. Red.).“

Zum anderen würden die Bilder durch formale Elemente Gemeinsamkeiten aufweisen.

„Da ist der scharfe Blick, die geschlossene Linie und der Konstruktivismus. Im Zentrum des Ganzen liegt die Neue Sachlichkeit.“

Diese Strömung sei in Deutschland fest etabliert gewesen, meint Habánová. In Tschechien war dem aber nicht so.

František Gross,  Telefony,  1942 | Foto: Ferdinand Hauser,  Radio Prague International

„Wenn man hierzulande ‚Nová věcnost‘ sagt, muss man wissen, dass dieser Begriff auf die tschechischsprachige Kunst nicht zutrifft. Wir wollen aber zeigen, dass die Bilder formell doch nah beieinander liegen. Denn die tschechischen Künstler waren nicht nur nach Paris orientiert, sondern auch nach Deutschland. Wir wissen, dass sie nach Bayern und Sachsen und womöglich auch nach Stuttgart gereist sind.“

Um diese Verknüpfungen zu verdeutlichen, haben Anna Habánová und die beiden anderen Kuratoren – Ivo Habán und Helena Musilová – im ersten Ausstellungsraum Bilder zum Vergleich aufgehängt. Pravoslav Kotík und Ernest Neuschul hängen untereinander, und tatsächlich weisen die Bilder einige Ähnlichkeiten auf. In dem Raum wird auch auf andere Art in das Thema eingeführt…

„In der Mitte ist das, was man als Neue Sachlichkeit bezeichnen kann. Davon ausgehend ist die Aufteilung wie bis heute in der Politik. Auf der linken Seite befinden sich die sozialen Probleme, schwere Arbeit und politische Agitation. Rechts ist das Kapital, das Romantische und Zeitlose. Ich denke, dass die Ausstellung damit auch besonders interessant ist, denn sie spiegelt das, was vor 100 Jahren war, in die heutige Zeit und umgekehrt.“

Foto: Jan Kolský,  GHMP

Fotos und Gemälde

Foto: Jan Kolský,  GHMP

300 Ausstellungsstücke hat das Kuratorenteam für die Ausstellung ausgewählt. In einem der ersten Räume sind dabei an den Wänden nur Gesichter zu sehen.

„Das sind lebendige Menschen der damaligen Zeit, die fast zeitlos gefasst sind, wie mit dem Fotoapparat festgehalten. Es sind die damaligen Akteure, die die Kunst beeinflusst haben. Denn sie haben gesagt, dass sie gerade so ein Portrait haben möchten, weil das modern ist.“

Auf dem Tisch in der Mitte findet sich dazu der Gegensatz. Zu sehen sind hier keine Gemälde, sondern Fotografien. Und sie zeigen keine Menschen, sondern Gegenstände.

Foto: Jan Kolský,  GHMP

„Auf diesen Fotos kann man die Unterschiede sehen, wie man eine Sache in den 1920er und 1930er Jahren fassen konnte: entweder mit ganz scharfen Linien oder in einer extremen Detailaufnahme – einem Makrofoto.“

In einem der weiteren Räume sind dabei auch Fotografien des Schriftstellers Karel Čapek zu sehen. Dieser lichtete mit seiner Mittelformatkamera mit Vorliebe seinen Hund Dášeňka ab. Habánová zufolge wurden die Aufnahmen aus dem Nachlass des Autors vermutlich noch nie öffentlich gezeigt.

Foto: Jan Kolský,  GHMP

Werke von Vertretern nationaler Minderheiten

Foto: Jan Kolský,  GHMP

In den weiteren Räumen der Ausstellung sind des Öfteren Fotografien neben Gemälden zu sehen. Ein Foto von Karel Čapek hängt so neben einer Malerei von Paul Gebauer. Es sei ein zentrales Anliegen, so Habánová, auch Vertreter der Minderheiten in der Ausstellung zu zeigen. Und stellvertretend hierfür könne eben gerade Gebauer stehen.

„Paul Gebauer hat in Zossen zwischen Bruntál und Troppau gelebt. Er war ein akademischer Maler und hat in Dresden studiert. Gebauer war aber auch der einzige Sohn eines Landwirts und musste dessen Hof übernehmen. Für ihn kam deshalb an erster Stelle die Arbeit auf dem Feld und erst dann das Malen.“

Foto: Jan Kolský,  GHMP

Deutlich zu sehen sind diese Einflüsse etwa in einem Gemälde aus dem Jahr 1933:

„Dieses Bild heißt ‚Mein schlesisches Dorf‘. Es zeigt den Stolz und die Zugehörigkeit der Menschen zum Leben auf dem Land.“

Ein weiterer Abschnitt der Ausstellung trägt den Titel „Lebendige Realität“ oder „Gelebte Realität“. Die ausgestellten Bilder und Skulpturen zeigen laut Habánová, wie das Leben in der Zwischenkriegszeit war – beziehungsweise wie es damals gesehen wurde. Der Kunsthistorikerin zufolge weisen die hier gezeigten Exponate auch ganz deutliche Gegensätze zur Neuen Sachlichkeit in Deutschland auf.

„Die Bilder der deutschen Neuen Sachlichkeit sind sehr sozialkritisch. Das findet man in der tschechoslowakischen Kunstszene von damals überhaupt nicht, denn die politische und gesellschaftliche Situation war einfach ganz anders.“

Foto: Jan Kolský,  GHMP

Deutlich wird dies laut Habánová etwa in einem Bild von Miloslav Holý aus dem Jahr 1923. Dargestellt wird ein Kriegsopfer, ein einarmiger Mann, der an einem Stand Eis verkauft. Das Gemälde sei so fast schon eine zeitlose Idylle, meint die Kuratorin, und stehe damit für eine Reihe ähnlicher Abbildungen, die jeweils einen verwundeten Mann eher positiv darstellten:

„Er ist zumeist nicht wirklich zufrieden mit der Situation, aber er kann damit leben. Die Künstler wollte daraus keine Tragödie machen, sondern den Mann als unmittelbaren Teil der damaligen Gesellschaft zeigen.“

Foto: Ferdinand Hauser,  Radio Prague International

Electroswing-Konzerte und Filmvorführungen

Miloslav Holý,  Jednoruký zmrzlinář,  1923 | Foto: Ferdinand Hauser,  Radio Prague International

Laut Anna Habánová kann die Ausstellung in der Galerie vor allem dank ihrer Multimedialität punkten:

„Ich denke, sie ist dadurch besonders zugänglich und besucherfreundlich. Denn wir zeigen nicht nur Zeichnungen, Grafiken und Plastiken, sondern auch Fotos und Filme. Die Filme wurden für unsere Schau extra neu aufbereitet und aus dem Archiv ausgewählt. Es sind Streifen von Alexander Hackenschmied, Reklamevideos und Kinofilme.“

Foto: Ferdinand Hauser,  Radio Prague International

Gezeigt werden die Streifen auch im Prager Kino Ponrepo. Geplant sind zudem weitere Begleitveranstaltungen – unter anderem ein Abendprogramm, das unter dem Titel „Swing in der Galerie“ steht und bei dem etwa DJ Mackie Messer auftritt.

„Die Besucher können in die Galerie kommen und hier tanzen. Dazu erklingt zeitgenössische Musik, die neu gemixt wird, in neuem Gewand daherkommt und die Anwesenden in die Zeit der 1920er und 1930er Jahre zurückführt.“

Im Juli und August sollen die Electroswing-Konzerte dabei auch unter freiem Himmel auf dem Vorplatz der Galerie und der Stadtbibliothek, dem Mariánské náměstí, stattfinden.

Die Ausstellung „Nové realismy“ wird in der Galerie der Hauptstadt Prag in der Prager Stadtbibliothek gezeigt. Geöffnet ist täglich außer Montag von 10 bis 18 Uhr, donnerstags zudem bis 20 Uhr. Nach vorheriger Anfrage können Führungen in deutscher Sprache für Gruppen angeboten werden. Zu sehen ist die Ausstellung noch bis zum 25. August. Anschließend ziehen die Exponate weiter in die Slowakei und werden in Liptovský Mikuláš und Košice gezeigt.

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