Navigation durch Galileo und Satellitenkommunikation – die Euspa in Prag und ihre Aufgaben
Sie warten auf eine Straßenbahn in Prag und wollen sich über Ihr Handy informieren, ob sie Verspätung hat und wann sie ankommt – dann nutzen Sie dabei Galileo, den satellitengestützten Positionierungsdienst der EU. Verwaltet wird Galileo teilweise in Prag, und zwar von der Euspa, der EU-Agentur für das Weltraumprogramm. Seit 2012 schon hat diese Institution ihren Sitz in der tschechischen Hauptstadt. Vor drei Jahren, Ende April 2021, wurde das Weltraumprogramm der Europäischen Union neu aufgestellt – und die Euspa mit einem Paket zusätzlicher Aufgaben bedacht. Worin besteht also heute die Arbeit der Euspa, und wie wirkt sie in unseren Lebensalltag hinein? Antworten darauf gibt Euspa-Direktor Rodrigo da Costa im Interview für Radio Prag International.
Herr da Costa, Galileo ist das Satellitennavigationssystem der EU, das weltweit genutzt werden kann. Es wird von der Europäischen Union finanziert und von der Euspa betrieben. Werde ich immer mit Hilfe von Galileo an mein Ziel geleitet, wenn ich mit dem Auto oder zu Fuß auf dem Gebiet der Europäischen Union unterwegs bin und mein Navigationsgerät einschalte?
„Ja, auf jeden Fall. Sie müssen dafür ein Gerät besitzen, das mit Galileo ausgerüstet ist. Die gute Nachricht ist aber, dass heute fast alle Geräte Galileo haben. Alle modernen Handys und Navigationssysteme im Auto sind mit Galileo ausgerüstet, und das bedeutet im Endeffekt, dass Sie mit Galileo auch an Ihr Ziel geführt werden.“
Neben Galileo gibt es zudem Navigationssysteme der Vereinigten Staaten, Russlands und Chinas. Wie unterscheiden sich die Einsatzgebiete dieser Systeme voneinander?
„Galileo ist bei der Ortung gemeinhin präziser als die übrigen Satellitennavigationssysteme.“
„Alle Systeme, die Sie genannt haben, sind weltweite Systeme. Sie haben also eine weltweite Abdeckung, dennoch gibt es große Unterschiede zwischen ihnen. Galileo ist genauer. Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Messdaten, die wir jeden Tag erfassen, zeigen, dass Galileo genauer ist als GPS, Glonass und Beidou. Nicht weniger bedeutsam ist die Tatsache, dass Galileo ein ziviles System ist. Es steht unter ziviler Kontrolle. Das ist bei den anderen genannten Systemen nicht der Fall. Es ist deswegen von Bedeutung, weil vieles in unserer Gesellschaft und Wirtschaft heute von der Satellitennavigation abhängt.“
Was kann Galileo besser als andere Satellitennavigationssysteme, und wo hinkt es hinterher?
„Galileo ist bei der Ortung gemeinhin präziser als die übrigen Satellitennavigationssysteme. Doch Galileo bietet auch noch andere Dienstleistungen. Eine davon ist der High Accuracy Service (Hochpräzisionsdienst, Anm. d. Red.). Das sind hochpräzise Signale, die Anwendungen wie zum Beispiel das autonome Fahren ermöglichen. Wir sprechen hier über Genauigkeiten im Dezimeter-Bereich. Außerdem stellt Galileo auch den Public Regulated Service (öffentlich regulierter Dienst, Anm. d. Red.) bereit. Das sind verschlüsselte Dienste für die Regierungen der EU-Staaten und deren Organe. Diese Dienste sind zweifach verschlüsselt und hochsicher, sie können auch in kritischen Situationen zum Einsatz kommen. Zudem verfügt Galileo über einen Notfalldienst. Er ermöglicht es, Signale von Menschen zu empfangen, die in Not sind – zum Beispiel im Rahmen der Seenotrettung –, und diese Signale an die Rettungskräfte weiterzuleiten.“
Das System Egnos soll die Ortung noch verbessern. Können Sie ein Beispiel nennen, wo Egnos angewendet wird und wie dieses System in der Praxis funktioniert?
„Egnos ist ein regionales System. Wir haben bereits über Galileo gesprochen, Egnos ist ein Erweiterungssystem der Navigationsdaten über Europa. Es bietet zusätzliche Signale. Das System wird besonders in der Luftfahrt viel angewendet. Fast alle Flughäfen in Europa sind damit ausgerüstet. Das bedeutet, dass die Flugzeuge beim Landen Egnos einsetzen können. Doch auch in der Landwirtschaft wird es auf breiter Basis genutzt. 99 Prozent aller Traktoren, die in Europa verkauft werden, sind mit Egnos ausgerüstet. Und seit kurzem ist ein weiterer Dienst angelaufen, der für die Schifffahrt in Europa bestimmt ist.“
Welche Erdbeobachtungen werden mit Copernicus durchgeführt? Stammen einige der Bilder und Daten, die in den Medien verbreitet werden, wenn sich irgendwo auf der Welt ein Erdbeben oder eine andere Naturkatastrophe ereignet, von Copernicus?
„Copernicus ist das Erdbeobachtungssystem der Europäischen Union. Mit Copernicus werden grundlegende Parameter für den Schutz des Klimas, für Verbesserungen in der Landwirtschaft und Weiteres gemessen. Ein großer Vorteil dabei ist, dass die Daten dieses Erdbeobachtungssystems rund um den Globus erfasst und genutzt werden können. Copernicus verfügt auch über einen Notfall-Management-Dienst, der bei Erdbeben oder anderen Naturkatastrophen Aufnahmen für die Rettungskräfte bereitstellt, damit sie ihre Mission durchführen können.“
Die Euspa ist für den laufenden Betrieb von Galileo, Egnos und anderen Systemen verantwortlich und sorgt für ihre praktische Nutzung. Woher kommen die wissenschaftlichen Grundlagen dafür?
„Wir arbeiten mit Partnerschaften. Bei der technischen Entwicklung kooperieren wir mit den EU-Mitliedstaaten, der Europäischen Raumfahrtagentur, aber auch mit Universitäten und Forschungsinstituten in ganz Europa, um genau die Technologien zu entwickeln, die wir dann bei unserer Arbeit nutzen können.“
Ihre Agentur hat seit September 2012 ihren Sitz in Prag. Zuvor war sie in Brüssel angesiedelt. Damals hatte sie 40 Mitarbeiter, hieß GSA und beschäftigte sich hauptsächlich mit Galileo. Knapp ein Jahrzehnt später, im Frühjahr 2021, wurde sie in die Euspa umgewandelt. Mit dieser organisatorischen Änderung ging eine Ausweitung des Verantwortungsbereichs einher. Welche Aufgaben sind neu hinzugekommen?
„Hinzugekommen ist zum Beispiel die Erdbeobachtung, die ich bereits erwähnt habe, und insbesondere auch die kommerzielle Nutzung von Bildern des Erdbeobachtungssystems. Es besteht ein großes Potential dafür, dass private Firmen in Europa diese Aufnahmen nutzen, die nicht nur einen Mehrwert für die Gesellschaft darstellen, sondern auch die Wirtschaft voranbringen können.“
Die Überwachung des Weltraumschrotts mit dem System SSA ist ein weiteres Aufgabenfeld, an dem Sie teilhaben. Welche Phänomene werden dabei erfasst, und wofür ist das Monitoring des Weltraumschrotts wichtig?
„Die Abkürzung SSA steht für Space Situational Awareness (Weltraumlageerfassungssystem, Anm. d. Red.). Es geht dabei darum zu verstehen, was im Weltraum passiert. Obwohl der Weltraum groß, ja immens ist, gibt es eigentlich nur relativ wenige Umlaufbahnen, die für uns auf der Erde nutzbar sind, und diese befinden sich relativ nahe bei der Erde. Deswegen müssen wir immer gut darüber Bescheid wissen, was auf diesen Umlaufbahnen passiert. Im Weltall gibt es bereits viele Satelliten. Das bringt es mit sich, dass sich dort auch viel Weltraumschrott bewegt, und diesen müssen wir im Auge behalten, um unsere Aktivitäten schützen zu können. Wir arbeiten dabei mit den Mitgliedsländern zusammen, um mögliche Kollisionen zu berechnen und zu vermeiden. Damit beugen wir zugleich der Erzeugung von weiterem Schrott vor.“
Mit SSA hängt auch SST zusammen. Können Sie kurz erklären, was sich hinter dieser Abkürzung verbirgt?
„SST bedeutet Space Surveillance and Tracking (System zur Beobachtung und Verfolgung von Objekten im Weltraum, Anm. d. Red.), damit sind ganz spezifische Aufgaben der Weltraumüberwachung gemeint. Denn SSA deckt ein sehr weites Feld ab. Dabei wird, wie bereits erwähnt, genau beobachtet, was im Weltraum vor sich geht, wo sich welche Satelliten befinden und wohin sie sich bewegen, um Kollisionen zu vermeiden. Doch es geht nicht nur um mögliche Kollisionen im Weltraum. Denn Satelliten, die lange genug im Weltraum gewesen sind, kommen irgendwann wieder auf die Erde zurück. Und wir müssen sicherstellen, dass dann die Landflächen, die Städte und Dörfer geschützt werden. Und dafür sorgt SST.“
Viele von uns haben Satellitenschüsseln auf dem Dach, mit denen wir Rundfunk- und Fernsehprogramme aus der ganzen Welt empfangen können. Text-, Video- und Audionachrichten erreichen über unsere Mobiltelefone heute in Sekundenschnelle die andere Seite der Erde. Mischt die Euspa auch bei der Weiterentwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien mit?
„Die Satellitenkommunikation ist ein neuer Bereich für uns, mit dem wir gerade beginnen.“
„Die Satellitenkommunikation ist ein neuer Bereich für uns. Damit beginnen wir gerade. Wir befinden uns in der Anfangsphase des Programms Govsatcom – Governmental Satellite Communication. Mit diesem Programm wollen wir den EU-Regierungen erstmals ein Werkzeug bereitstellen, das sie zu sicherer, verschlüsselter Kommunikation untereinander befähigt. Das ist ein bedeutender Schritt, denn damit entsteht zugleich ein neuer Markt mit vielen neuen Anwendungen, die auch mit Blick auf unsere Sicherheit von entscheidender Bedeutung sein können. Dieses Projekt ist derzeit in der Anfangsphase, und es wird uns zweifellos im kommenden Jahrzehnt sehr beschäftigen.“
Die öffentlichen Verwaltungen der EU-Staaten werden derzeit Schritt für Schritt digitalisiert. Sichere Übertragungskanäle spielen dabei eine Schlüsselrolle. Was trägt die Euspa hierzu bei?
„Die Digitalisierung ist eine der Prioritäten der Europäischen Kommission. Ich habe vorher über die Tatsache gesprochen, dass die Satellitenkommunikation eines unserer aktuellen Themen ist. Das hat auch mit der Digitalisierung zu tun. Denn digital und isoliert zu sein, bringt im Allgemeinen nicht viel. Mit der Digitalisierung braucht man auch die Verbindungsfähigkeit. Das ist in den Großstädten genauso wichtig wie auf dem Land. Telekommunikation ist ein Element der Kohäsion der gesamten EU von Nord nach Süd, von Ost nach West. Deshalb kann die Raumfahrt einen wichtigen Beitrag zur Digitalisierung leisten.“
Euspa und Tschechien
Die Euspa ist die einzige EU-Institution, die ihren Sitz in Tschechien hat. Sie ist die Agentur der Europäischen Union für das Weltraumprogramm. Derzeit befindet sich ihr Sitz noch im Prager Stadtteil Holešovice. Da das Aufgabengebiet der Agentur erweitert wurde, soll die Euspa aber in nächster Zeit in ein neues und größeres Gebäude ziehen, und zwar im Stadtteil Libeň.
2012 war es Tschechien nach längerem Bemühen gelungen, mit der GSA als Vorläuferin der Euspa endlich eine europäische Institution hierzulande anzusiedeln. Es handelte sich um die Aufsichtsbehörde für das Satellitennavigationssystem Galileo.
Ein Thema, das die Menschen in Europa derzeit sehr beschäftigt, ist Frieden und Sicherheit. Was kann die Euspa zu Frieden und Sicherheit in Europa beitragen?
„Mit dem Thema Sicherheit befassen wir uns unter zwei Aspekten. Das ist zum einen die Sicherheit unserer Satelliten sowie unserer Bodensysteme, die immer geschützt und vor Angriffen sicher sein müssen. Dieser Aspekt ist derzeit von vorrangiger Bedeutung für uns. Und die zweite Frage lautet: Wie können wir Daten und Signale so bereitstellen, dass die Regierungen diese in Anwendungen für die Sicherheit nutzen können? Der heutige konkrete Beitrag des EU-Raumfahrtprogramms zum Beispiel zum Krisenmanagement, etwa bei Naturkatastrophen wie Erdbeben, sind unsere Daten, die auch bei den Bevölkerungsschutzsystemen ankommen und dort für konkrete Einsätze genutzt werden.“
Der Klimawandel ist ein anderes Thema, das die Menschen heute sehr bewegt. Welche Datenbanken, technischen Hilfsmittel oder Dienstleistungen bringt die Euspa in die Auseinandersetzung mit den klimatischen Herausforderungen ein?
„Die Raumfahrt ermöglicht es uns nicht nur, Forschung zu betreiben, sondern auch besser vorherzusehen, was auf uns zukommt. Denn die vielen Parameter, die schon durch Messungen erfasst worden sind und auch heute Tag für Tag gemessen werden, ermöglichen die Erstellung von wissenschaftlichen Modellen. Und diese helfen uns zu verstehen, in welche Richtung wir gehen. Die Raumforschung und Satellitenbilder helfen uns daher zum Beispiel auch im Fall von Naturkatastrophen, die durch den Klimawandel ausgelöst werden.“
Die Euspa verwaltet Daten aus dem Weltraumprogramm der EU und fördert deren praktische Nutzung. Wie werden die Ergebnisse Ihrer Agentur in die Wirtschaft und Gesellschaft transferiert, damit sie ihren vollen Wert für die Menschen entfalten können?
„In unserem Marktbericht schauen wir, wo die Raumfahrt schon heute konkrete Vorteile bringt und welches Potential sich für die Zukunft abzeichnet.“
„Das ist eine sehr gute Frage. Denn alles, was wir machen, alle unsere Aufgaben haben im Grunde letztlich das Ziel, die Raumfahrt in den Dienst der Nutzer zu stellen – in den Dienst der Europäischen Union. Wie machen wir das? Wir setzen bei der volkswirtschaftlichen Analyse an und stellen uns die Frage: Wo kann uns die Raumfahrt helfen? Und sie kann in sehr vielen Bereichen hilfreich für uns sein. Wir veröffentlichen alle zwei Jahre einen Marktbericht, in dem wir viele Sparten der Wirtschaft analysieren und schauen, wo die Raumfahrt schon heute konkrete Vorteile bringt und welches Potential sich für die Zukunft abzeichnet. Wir haben 15 verschiedene Gebiete benannt, die bereits jetzt von der Raumfahrt profitieren, so zum Beispiel Straßenverkehr, Schienenverkehr, Schifffahrt, Landwirtschaft oder Versicherungswesen. Doch wir blicken auch nach vorne und stellen uns die Frage: Was folgt als Nächstes? Und da haben wir ebenso Fördermittel, die wir dann in der Privatwirtschaft einsetzen, um Anwendungen zu entwickeln. Denn ohne konkrete Anwendungen bringen die komplexen Signale nicht viel. Diese Signale müssen übersetzt werden in Informationen, die konkret genutzt werden können – in den genannten Bereichen, aber auch in unserem Alltag.“
Die Euspa beschäftigt derzeit rund 300 Personen. Welcher Anteil davon arbeitet in der Verwaltung, im fachlich-technischen Bereich und in anderen Gebieten?
„Die Verwaltung ist bei uns relativ klein. Die Mehrheit unserer Belegschaft sind hochspezialisierte Kräfte wie Ingenieure, Wirtschaftswissenschafter und Juristen, die in der Raumfahrt bewandert sind und sich täglich damit beschäftigen.“
Die Europäische Union ist bestrebt, im Weltraum unabhängiger und wettbewerbsfähiger zu werden. Was hat die Euspa in dieser Hinsicht bereits erreicht, und welche Ziele sind am dringlichsten?
„Ich glaube, wir haben bereits sehr viel erreicht. Mit der Inbetriebnahme von Galileo im Jahr 2016 und dessen nachfolgender Weiterentwicklung verfügt Europa heute über ein unabhängiges Satellitennavigationssystem. Selbstverständlich gibt es auch andere Systeme wie GPS, doch Europa hat ein eigenes Navigationssystem, das unabhängig ist. Das ist von großer Bedeutung. Vieles in unserem Alltag, aber auch in der Wirtschaft und im Bereich der Sicherheit, hängt mit der Satellitennavigation zusammen. 50 Prozent der Apps, die heute in Handys installiert sind, nutzen diese Fähigkeit. Diese Autonomie ist für Europa sehr wesentlich. Und wir leisten eigentlich täglich unseren Beitrag dazu, zum einen durch den Betrieb von Galileo und von Egnos, aber auch dadurch, dass wir sicherstellen, dass diese Systeme sicher und funktionsfähig sind und genutzt werden. Es gibt aber noch viel zu tun. Unser großes neues Thema, mit dem wir nun begonnen haben und das wir Schritt für Schritt weiterverfolgen werden, ist das der sicheren Satellitenkommunikationssysteme. Das ist selbstverständlich von großer Bedeutung für Europa, für unsere Unabhängigkeit und für unsere Wettbewerbsfähigkeit.“