Pilsen: Ein Kamel im Stadtwappen und der höchste Kirchturm Tschechiens auf dem Stadtplatz
In unserer Serie „Entdeckungsreise durch Tschechiens Kreise“ stellen wir Ihnen jeden Monat einen der tschechischen Kreise und ein dortiges touristisches Highlight vor. Mit dem südböhmischen České Budějovice / Budweis haben wir bereits die Stadt präsentiert, die 2028 Europäische Kulturhauptstadt sein wird. In unserer aktuellen Folge nehmen wir Sie nun mit durch Plzeň / Pilsen – die Stadt, die den Titel 2015 innehatte.
Veronika Rybová wurde in Pilsen geboren, sie hat dort studiert und organisiert im Rahmen des Programms „Zažij Plzeň! / Erlebe Pilsen!“ Stadtrundgänge. Die sind aber deutlich anders, als klassische Führungen…
„Unser Programm ist interaktiv. Wir machen Sprachanimation und zeigen die Stadt aus unserer Sicht. Die Teilnehmer sind etwa Kindergarten- oder Schulgruppen, die Austausche machen, aber auch Junggesellenabschiede oder Rentner“, so Rybová über das tschechisch-deutsche Programm. Erdacht wurde es von Tandem, dem Koordinierungszentrum Deutsch-Tschechischer Jugendaustausch.
Die Rundgänge und Stadtrallyes von „Erlebe Pilsen!“ werden zumeist für die Zielgruppe maßgeschneidert. Die Führung für Radio Prag International beginnt auf dem prächtigen Hauptplatz von Pilsen, dem Náměstí Republiky. Die dortige St.-Bartholomäus-Kathedrale hat mit 103 Metern den höchsten Kirchturm Tschechiens. An ihrer Rückseite befindet sich eine Figurengruppe, die von einem Gitter geschützt wird. Was auffällt: Einer der Engel, die sich an den einzelnen Streben befinden, glänzt im Gegensatz zu den anderen silbern…
„Alle Pilsener fassen hier gerne und oft an, wenn sie vorbeikommen. Denn das ist ein Wunschengel“, sagt Rybová.
Und tatsächlich: Wer einen Moment verweilt und sich etwa auf eine der gegenüberliegenden Bänke setzt, sieht Menschen allen Alters, die kurz an dem Zaun haltmachen, um den Engel zu berühren und innezuhalten.
Was macht das Kamel im Stadtwappen?
In drei Ecken des Náměstí Republiky stehen goldene Brunnen. Veronika Rybová erläutert:
„Sie sind ganz modern, stammen aus dem Jahr 2010. Viele in der Stadt sagen, sie seien hässlich, aber ich mag sie. Die Brunnen stellen nämlich Teile unseres Stadtwappens dar.“
Mit ein bisschen Phantasie kann man dann auch erahnen, dass die Wasserspeier eine Hündin, einen Engel und ein Kamel symbolisieren. Aber Moment mal: Ein Kamel? Was hat das denn im Stadtwappen der westböhmischen Kreishauptstadt zu suchen?
„Im 15. Jahrhundert wurde Pilsen von den Protestanten belagert, die versuchten, die katholische Stadt zu erobern. Sie hatten aber keine Chance, denn unsere Stadt war damals sehr gut befestigt. Zudem gibt es im Untergrund 20 Kilometer Kellergänge zum Bierlagern. Über diese Anlage konnte Essen in die Stadt gebracht werden. Die Hussiten waren aber dennoch siegesgewiss – und sie hatten ein Kamel dabei. Sie dachten, dass die Pilsener dieses Tier nicht kennen und sich davor fürchten würden. Doch das funktionierte nicht. Die Einwohner gingen durch einen der Keller, stahlen das Kamel und brachten es in die Stadt.“
Eine der größten Synagogen der Welt
Vom Hauptplatz sind es nur ein paar Schritte zum Neuen Theater. Es wurde pünktlich im Vorfeld des Jahres 2015 errichtet, als Pilsen Europäische Kulturhauptstadt war.
„Das Theater wurde extra für diesen Anlass erbaut“, so Rybová über das Schauspielhaus, dessen Betonfassade an einen löchrigen Schweizer Käse erinnert.
Wenige Hundert Meter weiter befindet sich an einer stark befahrenen Straße die Große Synagoge. Sie ist eines der fünf größten jüdischen Gotteshäuser der Welt.
„Früher hatte Pilsen mehrere Synagogen. Neben dieser hier ist aber nur noch die Alte Synagoge erhalten geblieben. Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es ungefähr 2000 Juden in der Stadt. Sie wurden 1942 in drei Transporten nach Theresienstadt gebracht. Nur 200 von ihnen kamen zurück, sie blieben jedoch nicht hier. Heute ist die hiesige jüdische Gemeinde sehr klein, es werden keine regelmäßigen Gottesdienste abgehalten. Die Große Synagoge dient vor allem als Ausstellungshalle oder für Konzerte.“
Schräg vor dem Gotteshaus befindet sich ein markantes Denkmal. Es zeigt das Profil von George S. Patton. Unter seiner Leitung haben die US-amerikanischen Truppen 1945 Pilsen befreit. An diesen geschichtsträchtigen Augenblick erinnert alljährlich auch ein Fest. Rybová schildert:
„Bis 1989 durfte man hier nicht darüber reden, dass Pilsen von den Amerikanern befreit wurde. Denn die Kommunisten wollten nicht zeigen, dass dies auch einer anderen Armee als nur der sowjetischen gelungen war. Nach 1990 änderte sich das, und es kam zu dem Fest. Seitdem ist es immer größer geworden. Jedes Jahr kommen zu diesem Anlass Veteranen hierher, die teils schon 100 Jahre alt sind, oder ihre Kinder.“
Die Kulturhauptstadt hat Spuren hinterlassen
Hinter dem Denkmal befindet sich das 1902 erbaute Josef-Kajetán-Tyl-Theater. Was verbindet die Stadt Pilsen mit dem Namensgeber der Bühne?
„Nichts. Josef Kajetán Tyl ist nicht in Pilsen geboren, er hat auch nie hier gelebt. Er ist nur zufälligerweise bei einem Aufenthalt hier gestorben. Das war’s. Aber er hat hier mehrere Statuen in der Stadt, und das Theater trägt den Namen des Dramatikers.“
Hinter dem Theater schließt sich ein Grüngürtel an. Und auch an vielen weiteren Orten ist Pilsen auffallend schön und grün. Das hänge mit der Zeit als Europäische Kulturhauptstadt zusammen, sagt Veronika Rybová:
„Man wollte Pilsen damals schöner machen. Denn zuvor war die Stadt industriell geprägt, und die paar Touristen, die kamen, waren nie sonderlich begeistert gewesen. Seit man wusste, dass Pilsen Europäische Kulturhauptstadt sein wird, hat sich das geändert.“
Neben dem neuen Theater, den schickgemachten Parks und den schönen Häuserfassaden ist auch noch mehr aus dieser Zeit geblieben:
„Ich denke, die Dienstleistungen wurden wirklich besser. Wenn mich heute jemand fragt, welches Restaurant ich empfehlen kann, sage ich: alle. Man kann hier gut essen und natürlich auch trinken – schließlich sind wir in Pilsen, das Bier schmeckt also immer gut“, so die Stadtführerin.
Eine noch deutlichere Spur des Kulturhauptstadtjahres findet sich in Form eines ehemaligen O-Bus-Depots:
„Dort war 2015 das Zentrum des kulturellen Lebens. Es gab dort viele Veranstaltungen, Ausstellungen und Konzerte. Und das Depo 2015 ist bis heute in Betrieb und hat seinen Namen behalten. Ich kann diesen Ort wirklich empfehlen.“
Wenn Sie die Stadt selbst einmal erkunden wollen, können Sie einen der Stadtrundgänge von „Erlebe Pilsen!“ buchen. Oder Sie nutzen das Online-Format des Programms. Unter www.spiele.erlebepilsen.eu lässt sich die Stadt auf eigene Faust erkunden, und man kann dabei spannende Aufgaben lösen. Angeboten wird auch ein digitaler Stadtspaziergang zu Pilsen und dem Holocaust.
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