Die Krisen der Welt überwinden: Wie Tschechien sich international für Menschenrechte einsetzt
Internationale Entwicklungszusammenarbeit – das sind nicht nur neue Straßen, Brunnen oder Schulen, die in ärmeren Regionen der Welt mit Hilfe aus reicheren Staaten gebaut werden. Tschechien etwa legt bei seinem Engagement in Entwicklungsländern auch großen Wert auf die Förderung der Menschenrechte. So werden von Prag aus Aktivisten oder unabhängige Journalisten unterstützt, deren Heimatstaaten die Bürgerfreiheiten einschränken und die Presse zensieren.
847 Millionen Kronen (34 Millionen Euro) stehen dem tschechischen Außenministerium in diesem Jahr für die internationale Entwicklungshilfe zur Verfügung. Neben der bilateralen Zusammenarbeit mit den sechs prioritären Ländern, über die Radio Prag International im vergangenen Jahr in einer ausführlichen Serie berichtet hat, fließt ein Teil der Gelder auch in die Unterstützung der Menschenrechte weltweit. Veronika Mítková leitet die Ministeriumsabteilung für Menschenrechte und Transformationspolitik und erläutert im Interview mit Radio Prag International:
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„Ein solches Instrument hat nicht jedes Land zur Verfügung, und das unsere ist von Seiten ausländischer Partner und internationaler Organisationen sehr anerkannt. In diesem Bereich spielt Tschechien sozusagen weit über seiner Liga. Das ist ein Erbe Václav Havels. Jene Menschen, die das Programm gegründet haben, hatten eine lange Geschichte mit Havel, und auch ich habe sechs Jahre in seinem Büro gearbeitet. Das Programm ist aber auch Teil der gesamten Außenpolitik Tschechiens, die an Havel und seine Ansichten anknüpft. Es betrifft den ganzen Bereich, der sich den Menschenrechten und der Transformation widmet.“
Mit Transformation ist der Übergang gemeint, mit dem einst diktatorische und autoritäre Länder den Weg in die Demokratie einschlagen. In Europa sind dies die Staaten des Westbalkans – so etwa Bosnien und Herzegowina, eines der sechs Schwerpunktländer, in dem das Prager Außenministerium auch praktische Aufbauhilfe leistet. Diese Staaten streben zudem eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union an, und diesbezüglich stehe Tschechien ihnen ebenfalls mit seinen eigenen Erfahrungen in diesem Prozess zur Seite, sagt Mítková:
„Denn eine starke Zivilgesellschaft – und darauf konzentriert sich unser Programm – ist ein untrennbarer Bestandteil der Mitglieder der EU. Die engagierte Öffentlichkeit fungiert für die Regierungen und andere Institutionen als eine Art Waage. Eine Zivilgesellschaft zu haben, ist grundlegend wichtig für jedes Land und die EU.“
Der zweite Schwerpunkt in Mítkovás Abteilung ist die Verteidigung der Rechte von konkreten Personen. Dies sind meist Journalisten, Anwälte oder Menschenrechtsaktivisten, die in ihren Ländern bei ihrer Arbeit eingeschränkt oder auch verfolgt werden. Dabei kooperiert das Ressort unter anderem mit tschechischen NGOs, die in dem jeweiligen Land aktiv sind. Dies sei eine Win-Win-Situation, erläutert Mítková, denn sowohl das Ministerium als auch die Organisationen erfüllten damit das Ziel ihrer Arbeit.
Ein solcher Partner ist Freedom House – eine US-amerikanische NGO, die auch in Tschechien ihre Vertretung hat. Lída Vacková ist die Programmmanagerin. Sie berichtet, dass Freedom House verschiedene Geldtöpfe habe, mit denen die weltweite Arbeit finanziert werde. Tschechien leiste konkret Beiträge zu einem Fonds namens Lifeline (Lebenslinie), den das Land 2011 auch mitbegründet habe und der inzwischen von 22 Staaten finanziert werde. Diese Gelder seien an keine konkreten Projekte gebunden, so Vacková weiter, sondern würden bei Krisen und akuten Diskriminierungsfällen eingesetzt:
„Unsere Unterstützung ist wichtig in Ländern, in denen sich die Lage schon auf den ersten Blick immer weiter verschlimmert, wie etwa Aserbaidschan oder Weißrussland, in lateinamerikanischen Ländern wie Nikaragua oder in Südostasien wie Myanmar. Dank unserer Aktivitäten gibt es in diesen Ländern immer noch Menschen, die in ihrer Arbeit fortfahren. Es wäre sehr verständlich, wenn sie sich entscheiden würden, das alles sein zu lassen und ins Ausland zu gehen. Aber sie bleiben eben, weil sie die Unterstützung spüren – nicht nur die finanzielle, die tatsächlich eher gering ist, sondern vor allem die moralische.“
Die beteiligten NGOs wie Freedom House oder auch Tschechiens größte Hilfsorganisation, Člověk v tísni (Mensch in Not), würden dafür etwa Seminare oder Weiterbildungskurse organisieren, ergänzt die Programmmanagerin.
Ein besonderer Fall sei zudem die Ukraine. Der Krieg bringe auch die dortige Entwicklungszusammenarbeit in eine beispiellose Lage, bemerkt Vacková. Vor dem Krieg sei das Engagement Tschechiens vor allem auf den proeuropäischen Integrationsprozess ausgerichtet gewesen. Das werde nun durch akutere Probleme etwas überlagert:
„Aber Tschechien hat schon in den vergangenen 15 bis 20 Jahren mit den dortigen Organisationen zusammengearbeitet und später ebenfalls mit staatlichen Institutionen. Und jetzt sind wir ebenfalls sehr aktiv und bereiten uns auf eine hoffentlich baldige Phase des Wiederaufbaus nach dem Krieg vor. Dadurch ist unsere Position in der Ukraine im Gegensatz zu anderen Ländern, auch jenen aus Mitteleuropa, sehr stark – und dies nicht wegen der zur Verfügung gestellten Gelder, sondern wegen des Know-hows.“
Keine politische Einflussnahme
Lída Vacková war eine der Teilnehmer bei der Podiumsdiskussion, die beim ersten tschechischen Entwicklungstag Ende April im Außenministerium stattfand. Diese prominent besetzte Veranstaltung sollte die Bedeutung der internationalen Hilfe unterstreichen. Diese ergebe sich, so sagte Ressortleiter Jan Lipavský (Piraten) bei seiner Rede, aus den Herausforderungen, die die heutige Zeit stelle. Er verwies auf regionale Konflikte, die Nachwirkungen der Pandemie oder die stärker werdenden Auswirkungen des Klimawandels. Um politische Einflussnahme gehe es bei der Entwicklungshilfe jedoch nicht, betonte Vacková im Interview am Rande der Konferenz:
„Wenn Tschechien im Ausland etwas finanziert, denken viele Leute oft an konkrete Hardware wie Schulen, Krankenhäuser oder Brunnen. Aber es gibt eben auch die Software, die oft politisiert wird mit dem Vorwurf: Wer die Zivilgesellschaft eines Landes unterstützt, ist also gegen das dortige Regime. Ich denke aber, dass dies nicht zutrifft. Die Unterstützung der Zivilgesellschaft besteht nicht darin, dass Tschechien etwas diktiert. Wir unterstützen das, was von den dortigen Partnern selbst kommt.“
So würden sich Menschenrechtsaktivisten oder Journalisten oft mit der Bitte um Hilfe an Tschechien wenden, die sich sehr konkret auf ihre Arbeitsbedingungen beziehe, sagt Vacková. Und auch Veronika Mítková legt Wert auf die Neutralität der Unterstützung:
„Dabei ist eine Sache wichtig: Wir schreiben den Menschen in den Ländern nicht vor, was sie zu sagen oder zu denken haben. Vielmehr helfen wir ihnen, sich zu emanzipieren und jene Rechte wahrzunehmen, die ihnen durch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte eigentlich garantiert werden, die ihr Staat aber nicht einhält. Tschechien gibt nicht vor, in welche Richtung das Engagement der Partner gehen soll. Sie sollen nur so arbeiten können, wie es die internationalen Verträge vorsehen.“
Komme es zum Äußersten und jemand werde inhaftiert, setze sich Tschechien für dessen Freilassung ein, so die Abteilungsleiterin weiter. Und will jemand sein Land verlassen, dann gebe es Aufenthaltsprogramme oder auch Unterstützung bei Konsulatsgenehmigungen oder der Visavergabe.
Von der reaktiven in die proaktive Phase übergehen
Beim ersten tschechischen Entwicklungstag stand auch der Staatspräsident am Rednerpult. Er sei überzeugt, sagte Petr Pavel, dass die Investitionen Tschechiens in die Entwicklungs- und Transformationszusammenarbeit einen großen Anteil hätten an der Überwindung der weltweiten Krisen – egal ob diese eine Pandemie, die Sicherheitspolitik oder das Klima beträfen. Lída Vacková bestätigt das. Tschechien habe diesbezüglich einen guten Namen und gelte international als ein Staat, der zwar eher klein, dafür aber sehr aktiv ist. Die Hilfsaktivitäten hätten sich in den vergangenen Jahren auch weiterentwickelt, urteilt die Vertreterin von Freedom House:
„Obwohl Tschechien finanziell wie auch logistisch weniger Möglichkeiten als größere Staaten hat, sprechen die Ergebnisse doch für sich. Damit wächst das Selbstbewusstsein Tschechiens auf diplomatischer Ebene, aber auch im Bereich der Entwicklungshilfe und bei der Umsetzung der Transformationspolitik. Es ist erkennbar, dass wir nicht mehr nur mit den großen Geldgebern mitlaufen, sondern laut sagen, was wir gut können und wissen. Es gibt dazu auch positive Rückmeldungen von den Hilfsempfängern und Partnern in den betreffenden Ländern. Deshalb stehen wir dahinter und werden dies auch weiter so betreiben.“
Das gehe auch gar nicht anders, meint Veronika Mítková. Denn durch die aktuellen Entwicklungen werde es für ihre Ministeriumsabteilung in Zukunft eher mehr als weniger Arbeit geben:
„Die Demokratie nimmt weltweit ab. Das gilt für alle Regionen und ist bei weitem nicht nur die Angelegenheit von einem bestimmten Regime. Dies ist die größte Herausforderung, die sich uns gerade stellt. Die Menschenrechte werden inzwischen auch bei der Bekämpfung des Extremismus beleuchtet, beim Kampf gegen Terrorismus oder jegliche weitere Einschränkung. Der Bedarf an Unterstützung und die Arbeit von NGOs, die sich diesen Themen widmen, wächst immer weiter.“
Und Lída Vacková hat schon eine konkrete Vorstellung, welcher Weg bei der internationalen Entwicklungsarbeit und beim Schutz der Menschenrechte eingeschlagen werden sollte:
„Die Welt um uns herum verändert sich sehr dynamisch und manchmal auch plötzlich. Die wichtigste Herausforderung für uns ist, von der reaktiven Phase in eine eher proaktive Phase überzugehen. Bei den Projekten sowohl in der Entwicklungszusammenarbeit als auch in der Transformationshilfe sollten wir darüber nachdenken, welche langfristigen Effekte sie haben sollen. Dafür müssen die einzelnen Elemente verbunden werden, also die Hardware mit der Software. Wird irgendwo ein Krankenhaus oder eine Schule gebaut, dann sollte es auch ergänzende Projekte geben, etwa für mediale Bildung, zu Bürgerrechten oder zur Unterstützung jener Aktivisten, die die Prozesse beobachten und wenn nötig auf Korruption aufmerksam machen. Es sollte erklärt werden, was ein aktiver Staatsbürger ist.“
Dies alles solle verstärkt in Kooperation mit den Akteuren, Firmen und auch der Regierung vor Ort geschehen, wünscht sich Vacková. So könne die Lage in dem betreffenden Land gemeinsam weiterentwickelt werden.
Und was hat Tschechien davon? Veronika Mítková hat eine klare Antwort:
„Die Unterstützung von Menschenrechten und Demokratie ist unglaublich wichtig. Abgesehen davon, dass sie moralisch und ethisch richtig ist, trägt sie auch zur Verbesserung unserer Sicherheitslage bei. Denn in letzter Zeit hat sich gezeigt, dass jene Staaten, die die Menschenrechte ihrer Bevölkerung und das Rechtssystem nicht beachten, zum Risiko für alle anderen Länder werden. Ein klassisches Beispiel ist Russland. In dem Moment, als es seine Verpflichtungen im Inneren aufgab, führte das zu einer Aggression gegen einen anderen Staat. Unsere Unterstützung ist also nicht nur richtig, sondern auch im Interesse Tschechiens.“