International ohne großen Einfluss: Tschechien und seine Pro-Israel-Politik
Der Krieg im Gazastreifen hält seit 15 Monaten an. Am Mittwochabend wurde nun vermeldet, dass sich Israel und die Hamas auf einen Waffenstillstand geeinigt hätten. Seit langem gab es starken internationalen Druck auf die Regierung in Jerusalem, die Bombardierungen einzustellen. Tschechien jedoch ist eines der wenigen Länder, die scheinbar bedingungslos an der Seite Israels stehen. Zuletzt war es am 11. Dezember vergangenen Jahres, dass die Abordnung aus Prag bei den Vereinten Nationen gegen eine Resolution zum Frieden in Gaza gestimmt hatte. Tschechien besteht vielmehr auf das Recht Israels, sich zu verteidigen, nachdem die islamistische Terrororganisation Hamas am 7. Oktober 2023 ihren brutalen Überfall verübt hatte, bei dem mehr als 1100 Menschen getötet sowie 250 entführt wurden. Woher kommt diese unbedingte Unterstützung des jüdischen Staates? Und wie positioniert sich Tschechien dadurch innerhalb der EU?
Egal, ob Tschechien eine rechts- oder eine linksgerichtete Regierung hat: Gegenüber Israel wird eine unkritische Politik betrieben. Dieses Fazit äußert im Gespräch mit Radio Prag International der Historiker Jan Zouplna vom Orient-Institut der Prager Akademie der Wissenschaften. Diese Tradition reicht dem Forscher zufolge bis in die Zeit vor der Gründung des jüdischen Staates 1948 zurück. Zouplna erläutert:
„Da wäre die wohlwollende und verständnisvolle Einstellung der tschechoslowakischen Ämter gegenüber zionistischen Organisationen und Aktivitäten bereits in der Zwischenkriegszeit zu nennen. Die Tschechoslowakei war in dieser Epoche Austragungsort von drei weltweiten Zionistenkongressen. Darauf folgte die berühmte Waffenlieferung 1948, aber 1967 dann auch der Abbruch der diplomatischen Beziehungen.“
Die angesprochene Waffenlieferung umfasste 10.000 Gewehre, 4500 schwere Maschinengewehre und drei Millionen Schuss Munition, die die Tschechoslowakei dem entstehenden jüdischen Staat zukommen ließ.
Den diplomatischen Bruch 1967 hingegen erklärt Zouplna mit der Übernahme der Außenpolitik der Sowjetunion durch die kommunistische Regierung in Prag. Diese stellte sich an die Seite der verschiedenen Befreiungsbewegungen in der Welt und damit auch der Palästinenser. Nach der Samtenen Revolution 1989 sei es dann in Tschechien aber zu einer Kehrtwende um 180 Grad hin zu einer proisraelischen Politik rein unkritischer Prägung gekommen, so die Worte des Historikers.
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Und diese wird weiterhin betrieben – auch vor dem Hintergrund des Massakers der Hamas im Oktober 2023 und der nachfolgenden massiven Bombardierung des Gazastreifens durch israelische Truppen, die Zehntausende von zivilen Opfern forderte. Jan Zouplna:
„In Bezug auf den 7. und 8. Oktober 2023 sind die tschechischen Meinungsäußerungen gar nicht so außergewöhnlich. Das Entsetzen war eine europa- und weltweite Angelegenheit. Der Ausdruck von Unterstützung ist in einer solchen Situation nichts Überraschendes. Die tschechische Politik entwickelt sich klassischerweise seitdem nicht besonders weiter. Eine Reihe europäischer Akteure und Länder begann aber, bei der Unterstützung der israelischen Positionen zu schwanken. Sie haben ihre Haltung wenn nicht überdacht, so doch aber abgeschwächt. Währenddessen blieb die tschechische Unterstützung im Prinzip konstant, unabhängig davon, was in Gaza passiert.“
Positives Medienbild und provinzielle Politik
Laut Zouplna gibt es drei Hauptgründe für die anscheinend bedingungslose Israelsolidarität Tschechiens. Der erste sei der erwähnte historische Zusammenhang, bei dem hinzukomme, dass zwischen den 1920er und 1950er Jahren eine große Anzahl Juden aus dem mittel- und osteuropäischen Raum nach Palästina und später Israel ausgewandert seien. Der Historiker:
Israelische Themen sind hier allgegenwärtig und überdimensioniert angesichts der konkreten Bedeutung des Staates.
„Den zweiten Bereich würde ich als positive mediale Darstellung Israels im tschechischen Umfeld nennen. Israelische Themen sind hier allgegenwärtig und überdimensioniert angesichts der konkreten Bedeutung des Staates. Sie werden zudem in einem bewundernden Stil präsentiert. Man kann sagen, dass eine deutlichere Form der Kritik erst im letzten Jahr aufgekommen ist, im Zusammenhang mit dem neuen Krieg in Gaza. Bis dahin habe ich kritische Stimmen nicht allzu sehr wahrgenommen beziehungsweise waren sie eher eine Randerscheinung.“
Es sei ganz logisch, dass ein Jahrzehnte lang gepflegtes positives Medienbild Auswirkungen auf die öffentliche Meinung in Tschechien habe, ergänzt der Wissenschaftler und fährt fort:
„Der dritte Bereich ist eine gewisse Provinzialität. Die tschechische Einstellung und der Blick auf den israelisch-palästinensischen Konflikt sind nicht so neu, wie es einigen Beobachtern vorkommen könnte. Sie erinnern vielmehr an die Haltung der westeuropäischen Gesellschaft in den 1960er Jahren. Eigenartig ist aber, dass diese offensichtliche Verzögerung und die wachsende Isolierung der tschechischen Haltung von den hiesigen Eliten nicht als Grund zur Beunruhigung gesehen werden, sondern eher als Beweis einer Art Außergewöhnlichkeit und Weltgewandtheit.“
Die Isolierung, von der Zouplna spricht, lässt sich in Zahlen ausdrücken: Im Dezember 2023 war Tschechien eines von zehn Ländern, die gegen die UN-Resolution für einen humanitären Waffenstillstand stimmten – während 153 Staaten sich dafür aussprachen. Am 11. Dezember 2024 waren es noch neun Länder – einschließlich Tschechiens –, die gegen eine weitere Resolution waren, und schon 158 Zustimmungen.
In der Europäischen Union mit ihren 27 Mitgliedsländern sind die Meinungen nicht so eindeutig verteilt. Aber auch hier tue man sich mit einer gemeinsamen Haltung zum israelisch-palästinensischen Konflikt schwer, schildert Jan Zouplna:
„Da gibt es die Gruppe jener Länder, die vereinfacht gesagt propalästinensisch ist. Spanien und Irland sind dabei wohl die besten Beispiele. Auf der anderen Seite sind die Länder, die eindeutig proisraelisch sind – Tschechien, Österreich und natürlich Deutschland. Früher war dieser Verbund aber größer. Dann gibt es auch die goldene Mitte, die also die diplomatische Tradition der EU einhalten, vertreten etwa durch Frankreich.“
Eine Meinungsvielfalt sei nicht von vornherein schlecht, wirft der Historiker dazu ein. Die EU habe aber ein Problem, sich auf einen Standpunkt zum Nahost-Konflikt zu einigen:
„Trotz all dieser Unterschiede hält Europa als Ganzes an zwei Säulen fest: einerseits an der Befreiung der Geiseln, die im Gazastreifen festgehalten werden, und andererseits an der Entsendung humanitärer Hilfe nach Gaza. Es ist nun relativ eigenartig, dass entgegen dem Konsens in diesen beiden zentralen Fragen Europa in dem aktuellen Nahost-Prozess meiner Einschätzung nach keine bedeutende Rolle spielt.“
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Es sei dieser Politik des ewigen Widerspruchs geschuldet, wie Zouplna es nennt, dass die Haltung und Forderungen der EU derzeit nur wenig Gewicht in Israel hätten. Einen besseren Zugang zur Regierung von Benjamin Netanjahu hätten da andere…
„Mit Blick auf das Vorgehen Israels überrascht nicht unbedingt, dass der Partner Nummer eins die USA sind. Aber auch in diesem Fall geht es Israel um Hilfe und nicht um Ratschläge. Eine zweite Gruppe, die in gewisser Weise einen Einfluss auf die israelische Sichtweise hat, sind jene arabischen Staaten, die mit dem Land Kontakt halten. Und dann gibt es einen dritten, weitergefassten Kreis globaler Akteure, in dem sich auch die großen europäischen Länder finden.“
Tschechien würde zu keiner dieser drei Gruppen gehören, so Zouplnas Analyse, die dem Land innerhalb der EU keine besonders rühmliche Rolle zuordnet:
„Wenn wir die gesamteuropäische Politik betrachten, dann gibt es die Haltung Tschechiens auf der einen und Irlands auf der anderen Seite. Beide zielen in absolut gegenteilige Richtungen ab. Im Falle Tschechiens ist diese Politik eindeutig destruktiv. Ihr größtes Potential für Israel besteht darin, dass Tschechien im Rahmen der EU Obstruktion betreibt. Das Ergebnis ist wie es ist, dass nämlich Europa im Prinzip keinen Einfluss hat auf das Geschehen in seinem unmittelbaren Umfeld.“
Kritischere Haltung bei Akademikern und Künstlern
Als der Krieg im Gazastreifen unmittelbar nach dem 7. Oktober 2023 begann, rief er weltweite und anhaltende Proteste hervor. Studenten in New York und in Berlin streikten, und Hunderttausende Demonstranten machten in den Straßen Londons auf die katastrophale Lage der Zivilbevölkerung in dem von der Hamas kontrollierten Gebiet aufmerksam. Die sich ausweitenden Bombardierungen und steigenden Opferzahlen haben auch dazu geführt, dass gegen Premier Netanjahu und seinen ehemaligen Verteidigungsminister Yoav Galant im vergangenen November ein internationaler Haftbefehl erlassen wurde.
In dem künstlerischen und auch dem akademischen Umfeld existiert sicherlich eine propalästinensische Einstellung.
Trotz dieser Entwicklungen würde sich die Haltung der tschechischen Außenpolitik nicht ändern, konstatiert Jan Zouplna. Anders sei dies in weiteren Bereichen der Gesellschaft:
„In dem künstlerischen und auch dem akademischen Umfeld existiert sicherlich eine propalästinensische Einstellung. Die Frage ist allerdings, ob sie wirklich das Ergebnis einer Selbstreflexion ist, also einer Ablehnung der offiziellen tschechischen Haltung aus einem breiteren Interesse an der Problematik heraus. Oder ob es sich nicht vielmehr um eine automatische Übernahme handelt von – ich will nicht sagen einer Mode, aber doch von gewissen Trends, die in akademischen Kreisen im Ausland üblich sind.“
In der breiteren Gesellschaft Tschechiens sei im letzten Jahr eine leichte Verschiebung der Haltung zu Israel zu beobachten, fasst der Historiker zusammen. Dies ließe sich jedoch nicht von der Regierung behaupten. Zouplna verweist hier noch einmal auf den seiner Meinung nach eher provinziellen Charakter dieser Politik. Denn diese werde trotz ihrer eindeutig proisraelischen Ausrichtung in dem Nahostland selbst nur kaum registriert:
„Ich verfolge die israelischen Medien regelmäßig und kann sagen, dass die Tschechische Republik in all diesen Jahren in diesem Kontext nur sehr selten erwähnt wurde. Es ist also eine sehr naive Vorstellung, dass die israelische Bevölkerung, die dortige Regierung und Sicherheitskreise Tschechien für einen Anker ihrer Außenpolitik halten würden oder für einen zentralen ausländischen Partner. Ich fürchte, dies ist eine rein tschechische Fiktion, die keine Resonanz im israelischen Umfeld hat.“