Olympia: Sieg von Špotáková versetzte tschechische Nation erneut in Freudentaumel

Barbora Špotáková (Foto: ČTK)

Das Großereignis, das die Sportfans aus aller Welt zuletzt mehr als zwei Wochen in seinen Bann gezogen hat, ist am Sonntag zu Ende gegangen: die Olympischen Sommerspiele in Peking. Radio Prag zieht eine Bilanz aus tschechischer Sicht.

Kateřina Emmons  (Foto: ČTK)
Die 29. Olympischen Sommerspiele von Peking gehören seit Sonntagabend schon wieder der Vergangenheit an. An offiziell 16 Wettkampftagen kämpften die Sportler aus 204 Nationen um die insgesamt 302 Medaillensätze. Den Löwenanteil vom Medaillenkuchen schnitten sich Gastgeber China mit genau 100 Mal Edelmetall, davon 51 Mal Gold, und die Vereinigten Staaten mit 110 Medaillen, davon 36 goldene, ab. Aber auch große Nationen wie Russland, Großbritannien, Deutschland, Australien und Korea haben Gold im zweistelligen Bereich abgeschürft. Eine solche Ausbeute ist für die Tschechische Republik seit Jahr und Tag utopisch. Hierzulande werden kleinere Brötchen gebacken. Die Anzahl der Zutaten liegt dafür seit dem Jahr 2000 im einstelligen Bereich, denn sowohl aus Sydney als auch 2004 aus Athen kehrten die tschechischen Olympioniken mit jeweils acht Medaillen heim. Eine Zahl, die gerade im Jahr 2008, in dem man in Tschechien gleich mehrere polithistorische Jubiläen mit der Endziffer Acht begeht, eine magische Wirkung auszuüben scheint. Vor dem Startschuss zum ersten Wettkampf in Peking ließ daher auch der Vorsitzende des Tschechischen Olympischen Komitees (ČOV), Milan Jirásek, verlauten, dass er genau die neuerliche Zahl von acht Medaillen als Erfolg ansehen würde.

Nach dem Abpfiff der Spiele aber sieht die Realität ein klein wenig anders aus. Diesmal reichte es für die Athletinnen und Athleten aus dem Moldauland nur zu sechsmaligem Edelmetall, allerdings mit dem Zusatz, dass es sich dabei um stark glänzendes Metall handelt: drei Mal Gold und drei Mal Silber! Und genau diese Tatsache veranlasste Jirásek dann auch zu dem Fazit: „Die gewünschte Anzahl der Medaillen konnte nicht erreicht werden, aber das wird durch die Güte des Edelmetalls ersetzt.“

David Kostelecký  (Foto: ČTK)
Dabei konnte der Auftakt für die Tschechische Republik überhaupt nicht besser laufen. Gleich im allerersten Wettkampf der Spiele landete die Sportschützin Kateřina Emmons einen buchstäblich goldenen Treffer. Im Luftgewehrschießen der Damen holte sie sich mit einer tadelsfreien Leistung den Olympiasieg. Nach der großen Anspannung im finalen Wettkampstress verriet sie dann:

„Das war einer der schwersten Wettkämpfe meines Lebens. Ich habe zwar versucht, die vor einem großen Wettbewerb typische Nervosität nicht an mich ran zu lassen, aber es ist mir nicht gelungen. Am Morgen war ich zwar noch sehr relaxt, aber kurz vor Beginn der Konkurrenz war ich so nervös, dass ich ständig auf die Toilette gerannt bin.“

Danach aber hatte sich ihre ganze Nervosität entladen, sie war hoch konzentriert und gewann die Konkurrenz zudem mit neuem olympischem Rekord. Mit ihrem charmanten Lächeln, einer weiteren Silbermedaille im Wettbewerb Kleinkaliber-Dreistellungskampf und ihrer weithin sichtbaren ehelichen Liebesbeziehung zum amerikanischen Sportschützen Matt Emmons, füllte die 24-Jährige gleich Dutzende Seiten des internationalen Pressewaldes:

„In der gesamten Weltpresse waren auf den Titelseiten mehrere Fotos von ihr zu sehen. Zum einen, weil die Chinesen ihre Sportlerin ganz vorn erwartet hatten, zum anderen weil man die Berichte über das internationale Ehepaar Emmons zu einer großen Love-Story machte“, bestätigt Milan Jirásek.

Štěpánka Hilgertová  (Foto: ČTK)
Nur einen Tag später jubelte bereits der nächste tschechische Sportschütze über Gold – der 33-jährige David Kostelecký, der die Konkurrenz im Wurftaubenschießen in der Disziplin Trap gewann. Wer nun aber im tschechischen Lager glaubte, das könnte durchaus so weiter gehen, der sah sich getäuscht. Im Wildwasser-Kanuslalom gewann das Doppel Jaroslav Volf und Ondřej Štěpánek zwar Silber im C2, genauso wie der großartige Skuller Ondřej Synek beim Rudern im Einer der Herren, doch weit öfter zerplatzten berechtigte Medaillenträume wie Seifenblasen im feucht-stickigen Milieu der Dunstglocke in und um Peking.

Nennen wir nur Štěpánka Hilgertová, die Grand Dame im Kajak-Einer der Frauen. Klar auf Medaillenkurs liegend, wurde die zweifache Olympiasiegerin im reißenden Wildwasserkanal von Peking derart unvorbereitet von der Strömung erfasst, dass sie im entscheidenden Finallauf statt dem Siegerpodest nur das kalte Wasser von unten gesehen hat. Vielleicht sogar noch etwas ärger erwischte es den Modernen Fünfkämpfer David Svoboda. Nach den drei Disziplinen Schießen, Fechten und Schwimmen lag er nicht nur aussichtsreich auf Platz zwei, sondern dank seiner läuferischen Fähigkeiten sogar auf Goldmedaillenkurs! Doch im Gegensatz zu den Pferdesport-Spezialisten, die nach aufwendigem Transport auf ihre eigenen Vollblüter zurückgreifen können, bekommen die Fünfkämpfer ihren vierbeinigen Untersatz in der Disziplin Reiten zugelost. Und Svoboda zog dabei eine absolute Niete, ein chinesisches Pferd mit einem schwer verständlichen Namen, das dann auch ebenso bockig reagierte. Anstatt gemeinsam mit Svoboda über die Hindernisse des Parcours zu springen, verweigerte es einfach den olympischen Dienst, indem es zwei Hindernisse samt Reiter abwarf. Aus der Traum und am Ende nur Platz 29 für Svoboda. Der 23-Jährige aber trug sein Schicksal mit Fassung, ebenso wie die Anmerkung vom nationalen Fünfkampf-Trainer Jakub Kučera, dass er gerade in der Disziplin Reiten noch zu unerfahren sei: „Ausschließen kann ich das natürlich nicht. Es ist möglich, dass wenn ich schon ein paar Jahre älter wäre, dann hätte ich in einer Krisensituation vielleicht richtig reagiert.“

Barbora Špotáková  (Foto: ČTK)
Eine echte Enttäuschung aus tschechischer Sicht aber waren die Tennisspielerinnen und -spieler oder auch das Basketballteam der Damen, die nicht annähernd in die Nähe der erhofften Medaille kamen. Dafür aber wird das Bild der tschechischen Berg- und Talfahrt bei den Spielen in Peking vortrefflich abgerundet mit eine Goldmedaille, die eine ganze Nation erhofft, ja nahezu herbeigesehnt hatte – dem Olympiasieg von Barbora Špotáková im Speerwerfen der Damen. Dementsprechend emotional war auch der Aufschrei der tschechischen Fernsehkommentatoren, als die 27-jährige Athletin ihren letzten Versuch ausführte:

Das tschechische „snad, snad“, zu deutsch soviel bedeutend wie „vielleicht“ oder „hoffentlich“, wurde schließlich zur goldenen Realität: Mit der neuen Europarekord-Weite von 71,42 Meter übertraf die hoch aufgeschossene Špotaková tatsächlich die bis dahin führende Russin Maria Abakumowa, die bis dahin mit der Weite von 70,78 Meter in Führung gelegen hatte. Entsprechend ungläubig staunte Barbora Špotaková danach über ihren eben abgefeuerten Speerwurf:

Barbora Špotáková  (Foto: ČTK)
„Ich habe eigentlich nicht mehr so recht daran geglaubt, denn ich hatte den Kontakt zu ihr schon etwas verloren. Und vor dem sechsten Durchgang zu wissen, dass man um Gold zu gewinnen über siebzigeinhalb Meter werfen muss, das ist einfach unglaublich. Ich denke daher, es ist wie ein Wunder, was da geschehen ist. Mit normalen Überlegungen nicht zu beschreiben. Ich weiß wirklich nicht, wie ich das geschafft habe, es ist einfach schön!“

Und Jirásek brachte auf den Punkt, was wohl alle tschechischen Sportfans in diesem Moment gefühlt haben: „Das war eine Riesenfreude, die ich in etwa mit der vergleichen würde, die wir beim Olympiasieg des Eishockeyteams in Nagano hatten.“

„Ende gut, alles gut“, kann man da nur sagen. Gemeinsam mit ihrer Speerwurf-Olympiasiegerin durften die Tschechen am TV-Gerät dann noch ein drittes Mal ihre Nationalhymne auskosten.

Autor: Lothar Martin
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