Orthodoxe Kirche in Tschechien

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Die Religiosität der Tschechen lässt nach. Das lässt sich an wenigen Zahlen bereits dokumentierten. Bei der vorletzten Volkszählung im Jahr 1991 nannten sich 43,9 Prozent Einwohner Tschechiens „religiös“. Zehn Jahre später 32 Prozent, rund 3,3 Millionen Menschen also. 2,7 Millionen von ihnen waren Katholiken. Die Zahl derer, die sich zu den weiteren großen Kirchen im Lande bekennen, ist vergleichsweise gering. Ein anderer Trend ist bei den restlichen kleinen Kirchen zu verzeichnen.

Im Zeitraum zwischen zwei Volkszählungen sind ist die Mitglieder der kleineren Kirchen von 120.000 auf 330.000 angestiegen. Das ist ohne Zweifel auf die Grenzöffnung und Migration der Ausländer zurückzuführen. Zu diesen gehören zuvorderst Russen, die die geschrumpfte Gemeinde der alteingesessenen orthodoxen Gläubigen hierzulande besonders in den letzten zehn Jahren gestärkt haben.

Das heutige Tschechien liegt auf einem Gebiet, auf dem seit jeher die Kulturen des Westens und des Ostens aufeinander trafen. Dasselbe galt schon vor mehr als 1000 Jahren für die Religionen der beiden Teile Europas mit all ihren prinzipiellen Unterschieden in der Lebensweise: die orthodoxe Kirche mit ihrer Orientierung auf geistiges Leben und Mystik –die „vita contemplativa“. Ihr gegenüber stand die westliche Auffassung des Christentums mit der “vita activa“ – dem aktiven Leben.

Im 9. Jahrhundert kam das Christentum mit den Aposteln Kyrill und Method als Gesandten der östlichen Kirche in das damalige Großmährische Reich. Beide Kirchengelehrten brachten die altkirchenslawische Sprache und Schrift mit sich, die bei der Übersetzung lateinischer Bücher Verwendung fanden. Der mährische Fürst Rostislav nahm im östlichen Ritus das Christentum an. Josef Hauzar, Vertreter der orthodoxen Kirche in den Böhmischen Ländern und der Slowakei:

„Damals, als Kyrill und Method noch in Großmähren tätig waren, war die Kirche noch nicht formal geteilt. Geführt wurde aber ein Dialog zwischen der westlichen, lateinischen, und der östlichen, byzantinischen Kirche. Nicht immer konnte man in verschiedenen Fragen eine Übereinstimmung erreichen. Sehr oft kam es zum Streit.“

Auf tschechischem Gebiet lässt sich aber nicht von einer ununterbrochenen orthodoxen Glaubenstradition sprechen. Aufgrund historisch-politischer Umstände war hier stets die westliche Ausformung des Christentums tonangebend. Erst viel später, nämlich ab dem 19. Jahrhundert, kommt es zu einer gewissen, wenn auch deutlich geringeren Wiederbelebung der orthodoxen Religion in den böhmischen Ländern. Josef Hauzar:

„In der Zeit der so genannten nationalen Wiedergeburt tauchten wieder Bestrebungen um eine Annäherung an die russisch orthodoxe Kirche und überhaupt an Russland als das größte slawische Land auf. Damals war in Russland ein Zar an der Macht, der wie jeder Imperator solchen Tendenzen geneigt war. Als sich aber russophil orientierte Kulturträger im damaligen Böhmen etwas näher mit den politischen Verhältnissen in Russland bekannt machten, wurde ihr Enthusiasmus etwas gedämpft. Sie haben sich deswegen der serbisch-othodoxen Kirche zugewandt.“

Gorazd
Nach der Gründung der Tschechoslowakei im Jahr 1918 entstand als Reaktion auf die Reformbewegung innerhalb der katholischen Kirche die so genannte Tschechoslowakische evangelische Kirche. Zur selben Zeit wurde der orthodoxe Priester Matěj Pavlík in Belgrad zum Bischof geweiht und nahm den Namen Gorazd an. Er wurde auch zum Oberhaupt der orthodoxen Kirche in der Tschechoslowakei.

In der Zeit zwischen den Weltkriegen erlebte die orthodoxe Religion hierzulande ihre Blüte. Das hing damit zusammen, dass nach dem Ersten Weltkrieg relativ viele Emigranten aus Russland, Weißrussland und der Ukraine in die Tschechoslowakei kamen. Sie flüchteten vor den Bolschewiki in der Sowjetunion. Anastasia Kopřivová, Spezialistin für die Geschichte der russischen Emigration in der Zwischenkriegszeit:

„In der Zwischenkriegszeit gab es in der Tschechoslowakei nur eine vom Staat offiziell anerkannte orthodoxe Kirche mit Patriarch Gorazd an der Spitze. Sie gehörte rechtlich zur serbischen Kirche. Damit wurde die Tradition aus der Zeit fortgesetzt, als Böhmen und Mähren Teil der Habsburgermonarchie waren. Außerdem existierten de facto auch drei weitere orthodoxe Kirchen, die aber rechtlich nicht verankert waren. Eine Eheschließung oder Taufe bei ihnen war zum Beispiel ohne rechtliche Gültigkeit. Wer etwa in der Prager Nikolaus-Kirche am Altstädter Ring geheiratet hatte, brauchte im Nachhinein noch eine Beglaubigung von der zuständigen Behörde“.

Russische Emigranten wurden in der damaligen Tschechoslowakei im Prinzip mit offenen Armen empfangen. Für sie wurde unter anderem eine Reihe bedeutender Kulturinstitutionen errichtet – zum Beispiel die Russische Volksuniversität oder die Slawische Bibliothek in Prag. Zur Verfügung standen ihnen auch mehrere Gotteshäuser. Anastasia Kopřivová:

„Die russische Emigration hatte eine tiefe Beziehung zur orthodoxen Religion. Für sie war es ein Band, das sie mit der Heimat, mit der Kindheit, mit Eltern und Weiterem verknüpfte.“

Während des Zweiten Weltkriegs unterstützten Vertreter der orthodoxen Kirche die aus dem Ausland organisierte Widerstandbewegung. Bischof Gorazd gewährte 1942 den Attentätern auf den stellvertretenden Reichsprotektor Reinhard Heydrich Zuflucht. Sie konnten sich in der Krypta des Prager Doms der Heiligen Kyrill und Method verstecken. Gorazd und seine Mitarbeiter wurden deswegen hingerichtet. Andere Geistliche wurden zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt. Die Kirche selbst wurde außer Gesetz gestellt.

Prager Dom der Heiligen Kyrill und Method
Im Zweiten Weltkrieg wurde die orthodoxe Kirche zerrüttet und auch die neuen geopolitischen Verhältnisse in Europa haben sich auf die Lage nach dem Krieg ausgewirkt. Vertreter der zersplitterten und dezimierten orthodoxen Kirche in der Tschechoslowakei baten die russische Partnerkirche, sie aufzunehmen und in ihre Struktur zu integrieren. So etablierte sich in der Tschechoslowakei bereits 1946 eine vereinigte orthodoxe Kirche. 1951 wurde ihr der Status einer autokephalen, das heißt rechtlich und geistlich voll selbständigen Kirche zuerkannt. Das sei eine Geste seitens der Sowjetunion gewesen, sagt Anastasia Kopřivová. Ihre Erklärung:

„Man wollte nicht einen Teil der hiesigen Bevölkerung ohne Einfluss aus Moskau lassen. Eine Rolle spielte auch der kulturelle Einfluss. Es war eine zum Teil leere Geste guten Willens.“

Einschneidende Änderungen der Kirchenstruktur brachte erst das Jahr 1993 mit sich, als die Tschechoslowakei in zwei Nachfolgestaaten zerfiel. Auf diesen politischen Wandel reagierte die offizielle orthodoxe Kirche im Dezember 1992 mit einer Namensumbenennung in „Orthodoxe Kirche in den Böhmischen Ländern und der Slowakei“. Novelliert wurde auch ihre Verfassung. Der bisher für den Gemeinschaftsstaat zuständige Metropolitrat wurde in zwei selbständige Organe aufgeteilt. Ihre Sitze haben sie in Prag und im ostslowakischen Prešov / Preschau. Beide haben aber ein gemeinsames Oberhaupt. Es ist der Metropolit Krischtov mit dem Titel „Prager Erzbischof und Metropolit für die Tschechische und die Slowakische Republik“.