Pater Leitgöb: „Damals dachte ich mir sogar, Prag sei viel schöner als Wien.“ (Teil 2)

Martin Leitgöb (Foto: Sophie Marie Strich)

Am vergangenen Sonntag hat der Gemeindeseelsorger Martin Leitgöb seinen Posten in der Kirche Sankt Johannes Nepomuk am Felsen abgegeben. Er war dort acht Jahre Seelsorger der deutschsprachigen katholischen Gemeinde in Prag. Für Radio Prag International hat er noch einmal Bilanz gezogen.

Kirche St. Kajetan in der Nerudova-Straße  (Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prague International)

Wie lange waren Sie in Prag und wie sind Sie in die tschechische Hauptstadt gekommen?

„Meine Beziehung zu Prag oder der Tschechischen Republik beginnt eigentlich damit, dass ich 1972, 20 km von der tschechisch-österreichischen Grenze entfernt geboren bin. Die nächste tschechische Stadt war Znojmo / Znaim. Es ist den politischen Verhältnissen meiner Kindheit und Jugend zuzuschreiben, dass es bis 1990 gebraucht hat, bis ich in das wunderschöne tschechische Nachbarland gekommen bin. Davor gab es den Eisernen Vorhang. Wenn ich ein bisschen in meine Seele hinein horche, dann denke ich mir: Ich habe dieses Land wohl heute besonders gern, weil ich in meiner Kindheit und Jugend eine Sehnsucht für diese Terra incognita, dieses unbekannte Land entwickelt habe. Also das ist der Beginn der langen Geschichte. Vielleicht noch ein kurzes Blitzlicht: 1996, als Student war ich zum ersten Mal in Prag. Es war zur Sommerzeit und ich kann mich noch gut erinnern. An einem Nachmittag saß ich vor dem Rudolfinum in einem kleinen Park. Und habe mir gedacht, dass die Stadt wunderschön ist. Damals dachte ich mir sogar, Prag sei viel schöner als Wien. Da hatte ich den Tagtraum, wie schön es wäre, wenn ich hier mal eine Wohnung hätte. Das ist meine Beziehungsgeschichte mit Prag. Ich habe Theologie studiert und war zum Doktoratsstudium drei Jahre in Rom. Dann bin ich in meine Ordensgemeinschaft eingetreten und war mehrere Jahre in Wien. Dort ergab sich dann die Situation, dass ich dachte, es wäre gut, für mich mal etwas anderes zu machen. Und dann habe ich meinem Ordensoberen Prag vorgeschlagen. Da hatte ich aber ein anderes Projekt im Sinne: Ich wusste, dass meine Ordensgemeinschaft, die Redemptoristen, in Prag eine Kirche hat, die sich im Dornröschen-Schlaf befindet. Das ist die Kirche St. Kajetan in der Nerudova-Straße.

Kirche St. Kajetan  (Foto: Dušan Šulc,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 4.0)

Meine Idee war es, dort die Kirchentüren weit zu öffnen und ein Angebot vor allem für Touristen zu machen. Die kommen da ja von der Burg in Richtung Karlsbrücke vorbei. Ich habe dann versucht dieses Projekt zu beginnen, es ist aber leider aus verschiedenen Gründen nicht gelungen. Das war vor zehn Jahren. Ich war also in Prag und hatte begonnen, Tschechisch zu lernen. Dann ergab es sich, dass hier in der deutschsprachigen katholischen Gemeinde ein neuer Seelsorger gesucht wurde, und mein Vorgänger ist direkt auf mich zugegangen und hat mich gefragt, ob ich mir das vorstellen könne. Ich habe das sehr gerne angenommen. Wenn ich da mit religiösen Augen drauf schaue, dann denke ich: Aus dem Projekt, das ich mir selbst ausgemalt habe, ist zwar nichts geworden. Es ist mir aber eigentlich noch etwas viel Schöneres geschenkt worden. Als Priester sage ich: So arbeitet der liebe Gott.“

Kirche Sankt Johannes Nepomuk am Felsen  (Foto: Archiv der Deutschsprachigen Katholischen Pfarrei Prag)

Was sind Ihre Aufgaben in der deutschsprachigen katholischen Gemeinde? Wie sieht ihr Alltag aus?

„Im Grunde genommen ist es ein ganz normales Gemeindeleben, wie man es in jeder anderen Gemeinde findet. Natürlich gehören zu den Aufgaben eines Pfarrers die Gottesdienste. In ganz besonderer Weise wichtig für unsere Gemeinde sind die Sonntags-Gottesdienste. Die Menschen unserer Gemeinde leben über ganz Prag verteilt. Das ist vielleicht auch ein Unterscheid zu anderen Gemeinden, wo die Leute sozusagen um den Kirchturm herum leben. Bei uns ist die Streuung geografisch sehr viel weiter. Der Sonntags-Gottesdienst ist dann auf der einen Seite die Liturgie. Ganz wichtig für uns ist aber auch die Gelegenheit, einander zu begegnen. Wir treffen uns vor und nach dem Gottesdienst. So entfaltet sich ein sehr schönes Netzwerk über die Gemeinde hinweg. Sonst gibt es natürlich auch alle anderen Kasualien, die zum Priesteramt gehören. Also zum Beispiel Taufen und Hochzeiten. Beerdigungen hatten wir in den letzten Jahren relativ wenig, weil wir eine sehr junge Gemeinde sind. Und es gibt verschiedene Gruppen und Runden. Wir hatten viele Jahre hinweg einen Gesprächskreis, wo wir uns mit aktuellen Themen beschäftigt haben. Wir haben seit zwei Jahren einen sehr erfolgreichen Senioren-Kreis. Das ist auch etwas Neues.

Elisabeth Veronika Förster-Blume und Martin Leitgöb  (Foto: Archiv der Deutschsprachigen Katholischen Pfarrei Prag)

Wichtig in den letzten Jahren war für mich auch der Religionsunterricht an der deutschen Schule. Da gibt es auch eine Besonderheit. Der Religionsunterricht dort wird ökumenisch gehalten. Das heißt die evangelische Pfarrerin, Frau Förster-Blume, und ich standen zusammen im Unterricht. Das war zwar sehr herausfordernd für uns, weil es viel mehr Abstimmung braucht als üblicherweise. Aber ich denke das könnte ein Zukunftsmodell sein. Nicht nur in Prag, vielleicht auch in Deutschland.“

Wie groß ist die deutschsprachige katholische Gemeinde in Prag und was sind das für Menschen?

„Ich werde ganz oft gefragt, wie groß unsere Gemeinde ist. Es ist nicht ganz einfach eine Antwort auf diese Frage zu geben. Anders als ein Pfarrer in Deutschland oder Österreich, bekomme ich vom Einwohnermeldeamt keine Statistiken, wie viele Katholiken in meinem Gebiet wohnen. Das gibt es so nicht. Deswegen haben wir im Grunde genommen immer nur Kontakt zu den Menschen, die zu uns kommen. Es gibt aber einen Richtwert. In Prag und der nahen Umgebung leben etwa 12.000 Deutschsprachige. Dann könnte man sagen, vielleicht ein Drittel davon sind katholisch. Man käme also etwa auf eine Zahl von 3000-4000 deutschsprachigen Katholiken und Katholikinnen in Prag. Ich denke, das ist ein ganz guter Wert. In den letzten Jahren gab es im Schnitt bei uns etwa 8-10 Erstkommunion-Kinder. Eine Gemeinde in Deutschland mit etwa 3000-4000 Einwohnern, hat etwa die gleiche Zahl von Erstkommunionen. Im Jahresdurchschnitt haben wir etwa 80 Kirchenbesucher am Sonntag. Das ist eigentlich ganz zufriedenstellend.“

Martin Leitgöb  (Foto: Sophie Marie Strich)

Was für Menschen kommen denn in die Kirche? Sind es zum Beispiel auch oft Leute die nur zeitweise in Prag leben und arbeiten?

„Unsere Gemeinde steht auf drei bis vier Säulen. Die erste Säule sind die Expats. Also Menschen, die, oft auch mit ihrer Familie, aus beruflichen Gründen für einige Jahre in Prag leben. Danach aber auch wieder in ihre Heimat zurückkehren oder weiterziehen. Als ich vor acht Jahren hier in der Gemeinde begonnen habe, spielten die Expats die Hauptrolle im Gemeindegeschehen. Die zweite Säule sind die gemischten Ehen. Also ein Ehepartner Tschechisch und einer Deutsch. Die Kinder werden dann in der Regel zweisprachig erzogen und gehen normalerweise in die lokalen tschechischen Schulen. Umso dankbarer sind die Familien dann, wenn sie irgendwo in Prag auch an deutschsprachige Organisationen andocken können. Da gehören wir auch dazu.

Die dritte Säule ist quantitativ relativ schwach, aber mir persönlich war sie immer sehr wichtig. Das sind die Angehörigen der deutschen Minderheit in der Tschechischen Republik und insbesondere in Prag. Wir wissen ja, dass es in Tschechien bis 1945/46 einen Bevölkerungsteil von 3 Millionen deutschen Menschen gab. Die meisten wurden dann vertrieben, aber es konnten auch einige da bleiben. Die Angehörigen dieser Heimatverbliebenen und die Nachkommen von denen sind, wenn sie katholisch sind, auch ganz gerne in unserer Gemeinde. Auch wenn sie nicht in Prag heimisch sind, sondern zum Beispiel im Sudetenland leben, kommen sie dann gerne zu Treffen nach Prag.

Dann gibt es noch eine vierte Säule, die auch sehr wichtig ist. Das sind die Touristen. Allerdings habe ich in den letzten Jahren sehr ungern von Touristen gesprochen, denn wir alle die in Prag leben, wissen, dass der Tourismus ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist. Auf der anderen Seite, ist der Tourismus für die Prager auch manchmal ein unangenehmes Phänomen. Deswegen habe ich lieber von Gästen gesprochen. Die Gastfreundschaft ist etwas ur-christliches und auch ur-biblisches. Ich denke, wenn man die Menschen als Gäste sieht, verändert sich der Blick auf sie.“