Philosophie und gesundes Leben: Gemeinschaftsgärten in Prag

MetroFarm

In Prag entstehen immer wieder neue Gemeinschaftsgärten. Auf diese Weise werden nicht nur Brachflächen wiederbelebt, sondern auch nachbarschaftliche Verhältnisse gepflegt. Einige der Hobbygärtner bieten ihr Obst und Gemüse auch zum Verkauf an und beleben den Lokal- und Biomarkt. Stadtteilverwaltungen unterstützen solche Projekte meist gern. Dies ist etwa der Fall bei der „MetroFarm“ auf der Kaiserinsel im Norden von Prag. Dort wird nicht nur gepflanzt, sondern auch gebeutelten Käfig-Hühnern ein neues Zuhause geboten. Koordinator Štěpán Řiha hat Radio Prag International über das Gelände geführt.

Štěpán Říha | Foto: MetroFarm

Er trage „alle Freuden und Sorgen des Projekts ‚MetroFarm‘“, erklärt Štěpán Řiha bei der Vorstellung. Den Gemeinschaftsgarten hat er vor gut zwei Jahren gegründet und bald erfahren müssen, dass eine solche Initiative von unten schnell auch wieder von einem großen Player verdrängt werden kann:

„Begonnen haben wir in Holešovice, nicht weit von hier entfernt, auf dem angeblich größten Brownfield in Prag – also einem ungenutzten Gelände. Dort ist unser Garten gewachsen. Im November mussten wir dann an einen neuen Ort umziehen, weil ein Immobilien-Projektentwickler andere Absichten hatte mit dem Areal. Seitdem sind wir hier auf der Kaiserinsel auf einem Grundstück des Prager Magistrats.“

Iva Kotvová | Foto: Petr Brož,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 4.0 DEED

Immer öfter unterstützen die Verwaltungen der einzelnen Stadtteile solche kollektiven Gärten. Iva Kotvová (Praha 4 sobě) etwa, Verordnete im Rathaus des vierten Prager Stadtbezirkes, erläutert in einem Promovideo, dass den dortigen Nachbarschaftsinitiativen regelmäßig Pflanzerde zur Verfügung gestellt würde. Auch für die „MetroFarm“ bedeutet der mehrjährige Mietvertrag mit dem Magistrat etwas mehr Sicherheit. Das heißt, dass nun in Ruhe angebaut und geerntet werden kann. Štěpán Řiha schaut sogar schon in die Zukunft:

„Der Magistrat hat langfristige Absichten, nach denen in sechs Jahren an diesem Ort das Projekt ‚Divoká Vltava‘ (zu Deutsch: Wilde Moldau, Anm. d. Red.) umgesetzt werden soll. Dabei werden zwei Flussarme miteinander verbunden. Durch unseren Garten werden dann mehrere natürliche Bächlein fließen.“

Foto:  MetroFarm

Diese zukunftsorientierten Pläne zeugen davon, dass sich das Konzept der Gemeinschaftsgärten in Prag durchgesetzt hat. Der erste wurde 2012 angelegt, ebenfalls im Stadtteil Holešovice. Die Pioniere von „Prazelenina“ (Urgemüse) betreiben auf ihrem Gelände inzwischen sogar eine Bauwagen-Bar und organisieren regelmäßig Kulturveranstaltungen.

Die Idee an sich ist aber viel älter und stammt ursprünglich aus New York. In den 1970er Jahren eigneten sich die Bewohner sozial schwacher Viertel ungenutzte Flächen an und züchteten dort Nutzpflanzen zur Eigenversorgung. In Tschechien kann das gemeinschaftliche Gärtnern lose an die Tradition der „chalupa“ anknüpfen – also an die Wochenendhäuschen auf dem Lande, in die Städter seit Jahrzehnten in ihrer freien Zeit entfliehen. Štěpán Řiha verweist aber auch auf den klassischen Schrebergarten:

Foto:  MetroFarm

„Es gibt da durchaus eine Verbindung. Allerdings kommt man in Kleingartenkolonien heute nicht so einfach rein. Es ist mit Sicherheit einfacher, sich bei uns für ein Beet anzumelden, sowohl finanziell als auch in der Frage der Entfernung.“

Initiative von unten

Tatsächlich entstehen die Gemeinschaftsgärten in reiner Selbsthilfe. Řiha selbst war gerade drauf und dran, Prag zu verlassen und einen eigenen Bauernhof auf dem Land zu gründen – als sich die Möglichkeit für die „MetroFarm“ ergab. Er fand es reizvoll, seinen Lebenstraum zunächst auf einer städtischen Brachfläche auszuprobieren. Und das mit allen Facetten, die auch ein eigener landwirtschaftlicher Betrieb mit sich bringt. Derzeit kommt Řiha selbst nämlich kaum zum Gärtnern. Er sei vielmehr voll beschäftigt mit der Koordination der einzelnen Mitglieder und bürokratischen Angelegenheiten, nähme dies aber mit Humor:

Foto:  MetroFarm

„Solange sich kein Freiwilliger findet, der mir dies abnimmt, mache ich es gerne weiter. Bisher finde ich es sinnvoll, und das Projekt wächst kontinuierlich weiter. Es gibt eben höhere Ziele und Prinzipien, für die sich diese Arbeit lohnt. Und für die man bereit sein sollte, sich durch etwas durchzubeißen, was vielleicht nicht so viel Spaß macht: Absprachen, Ämtergänge und ähnliches.“

Wenn sich also ein neuer Hobbygärtner anmeldet, schaut Řiha zuerst nach, ob es freie Beete gibt. Den Überblick behält der Koordinator bisher durch seine tägliche Anwesenheit vor Ort, ganz ohne Excel-Tabellen:

Foto:  MetroFarm

„Im vergangenen Herbst und Winter sind die Beete schnell belegt worden. Daran ist positiv, dass ein großes Interesse erkennbar ist. Am liebsten hätte ich es natürlich, dass jeder hier etwas anbauen kann, der das möchte. Aber selbst dieses recht große Gelände lässt sich nicht unendlich ausweiten.“

Findet sich aber ein freies Fleckchen, kann das Gärtnern für einen jährlichen Mitgliedsbeitrag von 1300 Kronen (51 Euro) beginnen. Řiha, der während des Gesprächs immer wieder Leute grüßt oder ein Schwätzchen hält, kommt auf den Gemeinschaftsaspekt des Projektes zu sprechen:

Foto:  MetroFarm

„Ein kommunaler Garten ist auch, so sagt es der Name, ein organisches Gebilde. Vieles hängt von den Menschen selbst ab. Worum sich jemand kümmert, das wächst und blüht hier dann auch. Eine zentrale Angelegenheit hingegen ist unser sogenanntes Produktionsfeld. Es hat etwa 750 Quadratmeter Fläche, und dort bauen wir gemeinsam etwas an. Jeder, der sich an der Arbeit beteiligt, bekommt etwas von der Ernte ab und auch von den Erfahrungen von Wendy, die das Produktionsfeld koordiniert.“

Verkauf von Gemüsekisten

Die Bandbreite der angebauten Pflanzen im gesamten Garten ist groß und jedes Beet individuell gestaltet. Wer ein solches übernimmt, müsse sich zunächst gut überlegen, wie viel Zeit und Arbeit er in die Pflege investieren wolle, so Řiha:

Foto: MetroFarm

„Wenn man weiß, dass man sich nicht sehr häufig um das Beet kümmern kann, dann passt man dem die Auswahl der Pflanzen und damit die Art der Bewirtschaftung an. Wer nur selten im Jahr vorbeikommen will, der pflanzt zum Beispiel einen Busch oder Stauden an. Darum muss man sich nicht groß kümmern. Oder – und das probieren wir in diesem Jahr gerade auf dem Produktionsfeld aus – man baut Nutzpflanzen an wie Sonnenblumen, Kartoffeln, Mais, Rüben oder Erbsen. Diese müssen für gewöhnlich nicht extra gegossen werden.“

Die Erträge, die nach der Aufteilung unter den Mitgliedern noch übrigbleiben, werden seit diesem Jahr offiziell verkauft. Wie zahlreiche andere Gemeinschaftsgärten auch bietet das Team der „MetroFarm“ Gemüsekisten an, die nach einer pauschalen Vorauszahlung regelmäßig geliefert werden. Řiha gefällt es am meisten, wenn die Abnehmer direkt zum Garten kommen und sehen, wie das Obst und Gemüse frisch geerntet wird. Zum Portfolio gehören auch Eier, die durch die Patenschaft für ein Huhn erworben werden können. Die meisten Tiere sind durch Abkauf aus der Käfighaltung befreit worden und haben nun auf der Kaiserinsel ein neues Zuhause mit viel Auslauf. Wer sich für 250 Kronen (knapp zehn Euro) monatlich eines Huhns annimmt, kann diesem einen Namen geben und jeden Monat 20 Eier mit nach Hause nehmen.

Foto:  MetroFarm

Für Nachschub im Pflanzenbereich sorgt die bereits erwähnte Wendy mit ihrem „Kultivarium“. In einem Folienzelt züchtet sie Setzlinge in Bio-Qualität, wofür sie sogar schon mit einem Wettbewerbspreis ausgezeichnet wurde. In eine ähnlich fachmännische Richtung soll es künftig mit dem gesamten Gemeinschaftsgarten gehen, erläutert Řiha:

„Es gibt den Plan, das alles ab der kommenden Saison etwas professioneller aufzuziehen. Wir möchten, dass der Garten mindestens eine ganze Koordinatorenstelle und vielleicht auch einen Gärtner finanziert und regulär beschäftigt. Jemand sollte sich auch um die Weiterentwicklung des Projektes kümmern, das ist unser Ziel. Wir wollen nicht nur hier auf der Insel bleiben. Die Idee, dass sich in Prag etwas anbauen lässt und wir ein wenig autarker sein können, soll sich auf landwirtschaftliche Nutzflächen in Prag oder weitere ungenutzte Gelände ausweiten.“

Foto: MetroFarm

Diese längerfristigen Ziele ließen sich nicht allein mit ehrenamtlicher Arbeit erreichen, fügt Řiha hinzu. Den eigentlichen höheren Zweck eines Gemeinschaftsgartens habe das Projekt aber allein mit seiner Existenz schon erfüllt:

„Dahinter steht auch ein philosophisches Prinzip: nämlich wie der Mensch zur Natur zurückkehren und sich mit frischen und lokalen Nahrungsmitteln versorgen kann. Dies ist wichtig in der heutigen Zeit, in der wir etwas genügsamer sein und unsere Bedürfnisse und Ansprüche an den Planeten zügeln sollten.“

Alle Informationen zur „MetroFarm“, einer möglichen Mitgliedschaft oder auch Patenschaft für ein Huhn gibt es auf Tschechisch und auf Englisch unter www.metrofarm.cz.